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Dunkle Charakterzüge

Jeder Zehnte ist ein Arschloch

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Wissenschaftler haben den bösen Kern der Charaktere herausgeschält, die die Welt zu einem schlechteren Ort machen. Egoismus, Gehässigkeit, der sogenannte Machiavellismus, Narzissmus, Psychopathie, Sadismus und andere gehören zu den »dunklen« Charakterzügen, die für die Schattenseiten der menschlichen Persönlichkeit stehen. All diese Eigenschaften haben einen gemeinsamen »dunklen Kern«. Psycholog:innen bezeichnen deshalb Persönlichkeitseigenschaften, die mit solchen Verhaltensweisen zusammenhängen, als dunkel.

In einer Studienreihe mit mehr als 2.500 Teilnehmenden untersuchten die Forscher Morten Moshagen, Benjamin Hilbig und Ingo Zettler, inwieweit Menschen folgenden Aussagen zustimmen: »Ich freue mich darüber wenn andere leiden«, »Man sollte alle Mittel zu seinem Vorteil nutzen; natürlich achtgebend, dass es andere nicht herausfinden« oder auch »Ich würde meine Ziele nicht verfolgen, wenn dies anderen Probleme bereiten würde«. Darüber hinaus untersuchten die Psychologen andere Neigungen – in der Psychologie spricht man auch von Tendenzen – und Verhaltensweisen, wie Aggression oder Impulsivität sowie egoistisches und unethisches Verhalten.

Vergewaligungen an Männern in Europa

Dabei fanden sie typische Zusammenhänge zwischen allen dunklen Charakterzügen. So erzielt eine Person, bei der beispielsweise eine hohe Ausprägung von Narzissmus nachgewiesen wird, typischerweise auch hohe Werte bei allen anderen dunklen Eigenschaften wie Psychopathie, Sadismus und so weiter. Das Böse kann sich bei einer bestimmten Person als Narzissmus zeigen, bei einer anderen als Psychopathie – oder eben als eine Kombination dunkler Eigenschaften. »Wenn Sie also eine dieser Tendenzen haben, haben Sie wahrscheinlich auch eine oder mehrere der anderen«, erklärt Mitautor Morten Moshagen gegenüber KATAPULT. Er ist Leiter der Abteilung Psychologische Forschungsmethoden an der Universität Ulm. »In der Praxis bedeutet dies, dass eine Person, die ein bestimmtes böswilliges Verhalten zeigt, auch mit höherer Wahrscheinlichkeit andere böswillige Dinge tut.«

Jemand, der andere demütigt oder mobbt, ist demnach auch jemand, der eher betrügt, lügt und andere ohne Gewissensbisse beklaut. Und obwohl es zwischen diesen Charakterzügen auf den ersten Blick klare Unterschiede zu geben scheint – und manche gesellschaftlich akzeptierter sind als andere –, beruhen alle auf derselben Tendenz. Menschen mit einer dunklen Persönlichkeit sind übrigens gar nicht so selten. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung gelten laut Moshagen als böswillig: »Das deckt sich auch mit Alltagsbeobachtungen: Etwa jeder Zehnte ist ein Arschloch. Da sind dann aber alle mit dabei, vom Steuerhinterzieher und Ehebrecher bis zum Massenmörder.«

Vergewaltigungen an Frauen in Europa

Der dunkle Kern der Persönlichkeit

Wie lässt sich denn nun aber dieser gemeinsame Nenner, der dunkle Kern, begreifen? Die Wissenschaftler definieren ihn als die allgemeine Neigung, den eigenen Nutzen zu maximieren und dabei Nachteile für andere zu missachten, hinzunehmen oder böswillig hervorzurufen. Dieses Streben wird begleitet von der inneren Überzeugung, man habe ein unveräußerliches Recht darauf, ohne Rücksicht auf Verluste seinen eigenen Willen auf Kosten anderer durchzusetzen. Mit anderen Worten: Alle dunklen Züge lassen sich auf die Neigung zurückführen, die eigenen Interessen über die anderer zu stellen, bis hin zur sadistischen Freude daran, andere damit zu verletzen – gepaart mit einer Vielzahl von Überzeugungen, die dafür als Rechtfertigung dienen. Wie stark dieser dunkle Kern ausgeprägt ist, messen Wissenschaftler:innen unter anderem mithilfe von Fragebögen. Das Ergebnis ist der sogenannte Dark Factor, oder kurz D-Factor, ein aus den Antworten errechneter Wert zwischen 1 (sehr niedrig) und 5 (sehr hoch). Personen mit einem hohen D-Factor verfolgen ihre eigenen Interessen besonders rücksichtslos und mit festen Überzeugungen, die ihr Verhalten rechtfertigen. Ab einem D-Factor von 3 gelten Menschen als böse.

Bemerkenswert dabei ist: Dadurch, dass sich böse Menschen im Recht sehen, empfinden sie weder Schuld noch Scham. Im Gegenteil: Erweist sich ihr bösartiges Verhalten als vorteilhaft für sie, verfestigt und intensiviert es sich, was zu einer Steigerung der negativen Eigenschaften führt. Denn dunkle Persönlichkeiten streben nach Ruhm – und sind dabei oft erfolgreich. In vielen Bereichen gelangen sie bis an die Spitze.

„Eigenschaften, die unter psychopathischen Serienmördern üblich sind – ein grandioses Selbstwertgefühl, Überzeugungskraft, oberflächlicher Charme, Rücksichtslosigkeit, Mangel an Reue und die Manipulation anderer – werden auch von Politikern und anderen Anführern geteilt“

Kevin Dutton, Psychologe und Autor

Vor allem im Zusammenhang mit erfolgreichen Menschen fällt des Öfteren der Begriff der Dunklen Triade. Dieses 2002 eingeführte psychologische Konzept bezeichnet eine besonders heikle Mischung aus den drei Eigenschaften Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. Drei eng verwandte, bösartige, antisoziale Persönlichkeitsmerkmale. Sie eint, dass die Betroffenen – je nach Ausprägung – tendenziell gleichgültig gegenüber Mitmenschen und stattdessen stark auf sich selbst bezogen und unmoralisch sind. Im Falle der Dunklen Triade sind diese Persönlichkeitsmerkmale jedoch nicht so stark ausgeprägt, dass man von einer psychischen Störung spricht. Im Zusammenspiel können sie jedoch die Triebkraft hinter unvorstellbar Unmenschlichem sein.

Weibliche Opfer vorsätzlicher Tötung auf der Welt

„Psychopathen sind sehr charismatisch. Sie haben eine ansteckende Energie, sie umgibt eine Aura der Unbezähmbarkeit. Das hat einen Grund: Psychopathen werden nicht von denselben Ängsten geplagt wie der Rest von uns. Für sie ist alles möglich. Sie konzentrieren sich auf das Positive. Das wirkt sehr inspirierend. Jeder von uns möchte ein bisschen so sein wie sie.“

Kevin Dutton, Psychologe und Autor

Psychopathie, als ein Faktor der Dunklen Triade, ist vor allem durch einen Mangel an Empathie gekennzeichnet. Die Meinung anderer ist Betroffenen egal, sie fürchten die Konsequenzen ihres Handelns nicht. Sie sind besonders impulsiv, risikofreudig, rücksichtslos und daher unberechenbar.

Narzissten hingegen suchen ständig nach Bestätigung und Aufmerksamkeit. Sie besitzen ein großes Ego und sind von ihrer Überlegenheit und eigenen Großartigkeit überzeugt – und deshalb überempfindlich gegenüber Kritik. Narzissmus wurde als eine der beständigsten Vorhersagbarkeitsvariablen für den Wunsch nach Berühmtheit identifiziert. Personen der Dunklen Triade posten auch mehr Selfies in den Sozialen Medien als weniger böse Persönlichkeiten. Werden Narzissten in ihrer Großartigkeit nicht bestätigt, so ist ihr narzisstisches Ego tief verletzt. »Dabei scheitern Narzissten oft an der Realität«, sagt Moshagen.

Bei Machiavellisten stehen Manipulation, Täuschung und Gleichgültigkeit vor ethischen und moralischen Normen und Gesetzen. Sie achten – ähnlich wie Narzissten – immer auf sich selbst, und sie sind schlau, trügerisch, hochgradig manipulativ und berechnend, sagen Forscher:innen. Narzissten neigen ebenso dazu, gefühllos und zynisch zu sein, die Menschheit zu verachten und nach Zielen wie Geld, Macht und Status zu streben. Machiavellisten sind strategische Strippenzieher in allen Lebensbereichen und diejenigen, die im Zweifel über Leichen gehen, um ihr Ziel zu erreichen.

Schlimmer geht immer: Die dunkle Tetrade

Ist ein Mensch darüber hinaus noch sadistisch veranlagt, spricht die Psychologie von der Dunklen Tetrade. Sadismus, oder die subklinische – das heißt medizinisch schwer erkennbare – Form des Alltagssadismus, zeigt sich besonders daran, dass die Betroffenen Freude am Leid anderer empfinden. Thomas Elbert, Neuropsychologe an der Universität Konstanz, attestiert beispielsweise den Tätern des Massakers von Butscha im Frühjahr 2022 in der Ukraine und dem russischen Präsidenten Merkmale der Dunklen Triade beziehungsweise Tetrade. »Der Zweck heiligt die Mittel« ist eines der machiavellistischen Prinzipien Putins im Krieg gegen die Ukraine.

Was bringt Menschen dazu, kaltblütig zu rauben, zu vergewaltigen und zu morden? Die Lust an Gewalt und aggressivem Verhalten, auch appetitive Aggression genannt, stammt evolutionsgeschichtlich aus einer Zeit, in der Jagen und Töten für das menschliche Überleben notwendig waren. Die erfolgreicheren Kämpfer waren oft auch die, die ohne Angst und Hemmungen den Feind im Blutrausch töten wollten – und es auch ohne Skrupel konnten. Bei dunklen Persönlichkeiten verselbständigen sich nach Erfolgserlebnissen mit Gewalt die kriminellen Energien. Bis die Gewalt zur Lust wird. Elbert vermutet daher auch eher kampferprobte Kämpfer hinter den Taten von Butscha, die den Krieg in Tschetschenien oder Syrien bereits erlebt haben, und nicht junge Soldaten, die zum ersten Mal an der Front waren.

Werden potenzielle Opfer entmenschlicht, indem sie etwa mit Tieren gleichgesetzt werden, steigt die Bereitschaft, Gewalt gegen sie anzuwenden. »Aus dieser Dehumanisierung einerseits und der biologischen Anlage zu appetitiver Aggression andererseits resultiert dann nicht nur die Fähigkeit, den Feind ohne Empathie, sondern auch mit Lust abzuschlachten«, so Elbert. Der »Blutrausch« werde zudem durch mehrfache Kampferfahrungen verstärkt. Kämpfer in Kriegsregionen vergleichen ihre Erfahrungen mit einer Heroindosis. »Sind die moralischen Hemmschwellen überwunden, regt sich der Jäger beziehungsweise Kämpfer im Menschen.«

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Die Wurzeln der Gewaltbereitschaft

Wie Menschen solche Aggressionen ganz genau ausprägen und unter welchen Voraussetzungen und Umständen sie gewalttätig werden, versuchen Wissenschaftler:innen schon seit langer Zeit herauszufinden. Eine im Juni 2022 veröffentlichte Studie belegt Zusammenhänge zwischen elterlicher Erziehung, dunklen Persönlichkeitseigenschaften bei Kindern und Jugendlichen und daraus resultierender Gewaltbereitschaft. Alle böswilligen Merkmale der Dunklen Triade wurden hierbei sowohl einzeln als auch in Kombination mit einer Neigung zu Gewalt nachgewiesen. Durch emotionale Vernachlässigung und Ablehnung, strafende, kontrollierende, aber auch überfürsorgliche Eltern können Kinder und Jugendliche verschiedene Merkmale der dunklen Triade ausprägen. Neben miterlebter Gewalt erhöht das bei Heranwachsenden wiederum das Potenzial von hoher Gewaltbereitschaft und aggressivem Verhalten. Elterliche emotionale Wärme und Verfügbarkeit hingegen befördern weder Machiavellismus noch Psychopathie. Narzisstische Merkmale können sich durch elterliche Überbewertung und Idealisierung aber trotzdem ausbilden.

Insgesamt, so stellen die Autor:innen der Studie fest, hätten Mütter bei der Erziehung einen größeren Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder als Väter. Warum, darüber können die Wissenschaftler:innen nur spekulieren. So sei dies wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass in den Familien traditionelle Muster gelebt werden, in denen Väter häufiger bestrafen und Grenzen aufzeigen als die als warmherzig empfundenen Mütter. »Daher können Elterntrainings und Familieninterventionen ein vielversprechender Ansatzpunkt sein, um asoziales Verhalten im Zusammenhang mit Machiavellismus, Psychopathie und Narzissmus und vor allem gewalttätiges Verhalten in zukünftigen Generationen zu verhindern«, empfehlen die Wissenschaftler:innen. Denn dunkle Merkmale sind ein ausgeprägter Risikofaktor für Gewaltbereitschaft.

Eine strenge Erziehung und Kontrolle durch die Mutter hat entsprechend den stärksten Einfluss auf die Entwicklung dunkler Merkmale bei Kindern und Jugendlichen. Zweitstärkster Faktor für die Ausbildung einer böswilligen Persönlichkeit ist laut Studie die exzessive Bestrafung und Ablehnung durch die Mutter – wohingegen die väterliche Kontrolle, Strafe und Zurückweisung bei der Persönlichkeitsentwicklung nicht ins Gewicht fallen würden. Die Folgen einer fehlenden Vaterfigur oder eines männlichen Rollenvorbildes sind allerdings noch nicht hinreichend untersucht worden.

Sexismus macht böse

Die Einstellungen von Persönlichkeiten der Dunklen Triade gegenüber Feminismus hat nun erstmals eine aktuelle australisch-britische Studie erforscht. Bei der Untersuchung mit 343 Teilnehmer:innen zeigte sich unter anderem, dass alle Merkmale der Dunklen Triade signifikant negativ mit Feminismus korrelierten. Das bedeutet, dass sich dunkle Persönlichkeiten gegen feministische Einstellungen positionierten. Obwohl die Dunkle Triade bei beiden Geschlechtern diesen Einfluss zeigte, waren die Auswirkungen bei Männern stärker. Die Werte bei den Feminismus-Befürworter:innen unterschieden sich hingegen nicht nach Geschlecht. Hinzu kommt, dass die Werte der Dunklen Triade bei Männern signifikant höher ausgeprägt waren. Hinsichtlich des Einflusses der Dunklen Triade bei den Frauen weisen die Studienautor:innen jedoch darauf hin, dass es in der Forschung diesbezüglich durchaus »eine gewisse Komplexität« in Bezug auf Geschlechterrollen und Sexismus gebe. So würden Frauen, die sich eher mit stereotypisch männlichen Eigenschaften identifizieren, weniger Sexismus zeigen, und diejenigen, die sich eher mit maskulinen Verhaltensweisen identifizieren, mehr Sexismus. Dass sich das nicht direkt mit ihren Ergebnissen deckt, deuten die Forschenden derart, dass Frauen, die auf der Dunklen Triade hohe Werte erzielen, »möglicherweise flexiblere Lebensansätze verfolgen« und ihre Einstellung gegenüber dem Feminismus situativ anpassen. »Die Forschung legt nahe, dass die Beibehaltung anpassungsfähiger zwischenmenschlicher Einstellungen die Ausbeutung anderer erleichtert.«

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Die Autor:innen einer Studie aus dem Jahr 2020 kommen sogar zu dem Schluss, dass Sexismus eine Quelle für die Merkmale der dunklen Triade sein könnte. Ihre Ergebnisse stimmten demnach mit der Idee überein, »dass die Dunkle Triade (...) teilweise das Ergebnis von Sexismus und der sozial unterstützten, unverdienten männlichen Macht und Privilegien ist, die der Sexismus widerspiegelt«. Ein Teufelskreis. In beiden Fällen sei es »angesichts der negativen Folgen von Sexismus und seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft wichtig, die zugrundeliegenden Faktoren solcher Einstellungen zu verstehen. Nur so können Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung ergriffen werden«, resümieren die Autor:innen.

Jenseits von Gut und Böse

Studien mit Betroffenen von häuslicher Gewalt durch psychopathische Täter zeigen: Diese können sich problemlos an einer Vielzahl von Misshandlungen beteiligen. Durch ihre emotionale Loslösung und räuberische Natur können sie es, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Dadurch können sie leichter intime Beziehungen aufrechterhalten. Dabei kann der Grad der psychopathischen Eigenschaften von Tätern sogar die Schwere der darauffolgenden posttraumatischen Belastungsstörung ihrer Opfern voraussagen. Weitreichende Schäden an der psychischen Gesundheit der Überlebenden sind dabei nur eine Folge der zerstörerischen Kraft dunkler Persönlichkeiten.

Persönlichkeiten mit Merkmalen der dunklen Triade verhalten sich in sozialen Situationen mitunter nicht nur unangemessen, sondern vertreten auch Einstellungen, die zu sexuellem Missbrauch führen können. Die Merkmale der dunklen Triade gelten als Wegbereiter für ausbeuterische Paarbeziehungen. Eine aktuelle Studie stellt Unterschiede zwischen Männern und Frauen mit sozial unverträglichen Persönlichkeitsmerkmalen bei sexueller Nötigung fest. Bei Männern konnten die Forscher:innen ein höheres Maß an Merkmalen der Dunklen Triade und auch sexueller Nötigung feststellen als bei Frauen. Eine thematisch verwandte Studie untersuchte, wie die Merkmale der Dunklen Triade mit Überzeugungen verknüpft sind, die Vergewaltigungen erst denkbar machen – und dadurch schließlich ermöglichen. Die Ergebnisse zeigen: Ein Grund, weshalb Männer mit größerer Wahrscheinlichkeit vergewaltigen als Frauen, liegt darin, dass sie häufiger von den antisozialen Eigenschaften der Dunklen Triade geprägt sind.

Summen im Vergleich. Die Kosten geschlechtsspezifischer Gewalt in der EU beliefen sich 2019 hochgerechnet auf 366 Milliarden Euro

Willkommen in der Hölle: Teufels Werk und Gottes Beitrag?

Seitdem die Wissenschaft das Dunkle untersucht, hat es nicht nur in der Verhaltenspsychologie zahlreiche Studien gegeben. Auch in den Bereichen Unternehmenspsychologie, Terrorismusbekämpfung, Religion, Geschichte, Literatur und Popkultur fasziniert uns der Kern des Übels.

Woher das Böse kommt, fragte man sich aber wohl auch schon zu der Zeit, als das Konzept der sieben Todsünden entstand. Denn sie weisen mit dunklen Neigungen erhebliche Übereinstimmungen auf, wie verschiedene Studien herausgefunden haben. Die sieben Todsünden sind selbstzerstörerische und anderweitig destruktive Verhaltensweisen, wie sie einst von der katholischen Kirche definiert und später in philosophischen, wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Kontexten aufgenommen wurden. Sünde und Böses gehen dem kirchlichen Verständnis nach von Personen aus, die unmoralisch handeln. Eigennutz und Egoismus führen zu weiterem sündigen Verhalten. Lebt man stattdessen nach den Tugenden der christlichen Moral, kann man kein Sünder sein. Wissenschaftler:innen vermuten jedoch, dass Menschen eher aufgrund ihrer dunklen Persönlichkeitsmerkmale und sozioökonomischen Bedingungen sündigen als aufgrund fehlender Moral. Eine Studie hat deshalb untersucht, inwieweit individuelle Unterschiede dunkler Persönlichkeitsmerkmale mit moralischen Grundlagen zusammenhängen, und gezeigt: Überwiegend die Persönlichkeit bestimmt individuelle Unterschiede beim Sündigen – nicht die gesellschaftlich geltenden Moralvorstellungen. Menschen sündigen aufgrund ihrer Persönlichkeit, Erfahrungen und individuellen Verhaltensweisen in bestimmten Situationen. Menschen, die der dunklen Triade zuzuordnen sind, neigen demnach zu sündigem Verhalten, wenn man die sieben Todsünden Neid, Völlerei, Missgunst, Wut, Lust, Stolz, Trägheit und Gier zum Maßstab nimmt. Dann wäre die Hölle nach christlichem Verständnis voll von Angehörigen der dunklen Triade.

Wie setzen sich die Kosten für geschlechtsspezifische Gewalt zusammen?

Alle besessen?

Doch auch das Glaubensbekenntnis ist kein Garant für moralisches Handeln. Zahlreiche Missbrauchsskandale durch höhere katholische Geistliche wurden in den letzten Jahren bekannt – viele von ihnen wurden jahrzehntelang durch die Kirche gedeckt. Zuletzt traten Nachforschungen des Recherchekollektivs Correctiv und des ZDF-Magazins Frontal 21 über den wegen Kindesmissbrauch verurteilten Priester Peter H. in Bayern eine Welle der Aufklärung los – mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die katholische Kirche. Ein Missbrauchsopfer verklagte im Sommer sogar den ehemaligen Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger. Ist die Klage erfolgreich, wäre die Kirche gezwungen, vor einem weltlichen Gericht auch bereits verjährte Missbrauchstaten aufzuarbeiten.

Nicht nur Minderjährige fallen Männern der Dunklen Triade zum Opfer, auch Frauen. Das zeigt sich etwa in den frauenfeindlichen Onlineforen der sogenannten Incel-Bewegung. Die meisten Beiträge stammen dort aus der Feder dunkler Charaktere. Die Selbstbezeichnung Incel ist die englische Abkürzung für involuntary celibat und bedeutet unfreiwillig sexuell enthaltsam. Aus Frust und Wut darüber, keine Partnerin zu haben, streben Incels nach Rache an den Frauen. Zahlreiche Femizide – Ermordungen von Frauen und Mädchen einzig aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit – wurzeln in der Incel-Ideologie. Sowohl die Attentäter von Hanau 2020 und Halle 2019 als auch der norwegische Massenmörder Anders Breivik stammen aus diesem radikalen Milieu.

Während der Pandemie wuchsen extremistische Bewegungen von männlichen Fanatikern stark an. In den letzten drei Jahren eskalierte die Incel-Gewalt nicht nur in Nordamerika, sondern auch in Europa, wie mehrere Anschläge und Verhaftungen zeigen. Einer der bekanntesten Vorfälle war der des Attentäters von Plymouth, der 2021 fünf Menschen, darunter seine Mutter und ein dreijähriges Mädchen, und sich selbst ermordete. Ereignisse wie diese verdeutlichen die anhaltende Bedrohung, die von gewalttätigen, extremistischen Randgruppen wie der Incel-Bewegung ausgeht, und haben eine Debatte darüber entfacht, ob extremistische Angriffe auf Frauen Terrorakte darstellen.

Mein Kollege, der Narzisst?

Dunkle Persönlichkeiten finden sich aber nicht nur in Randgruppen. Sie sind geradezu erfolgreich darin, sich nach oben zu schummeln, und tummeln sich zuhauf in Chefetagen. Lange konzentrierte sich die Organisationspsychologie besonders auf den Einfluss von Führungskräften auf den Unternehmenserfolg. Das britische Wirtschaftsmagazin Management Today fragte 2021 seine Leser:innen sogar direkt, welche der drei Triade-Merkmale ihnen entspricht: »Sind Sie eine psychopathische, narzisstische oder machiavellistische Führungskraft?« Mittlerweile wird aber auch der manipulative Einfluss von Angestellten mit Eigenschaften der Dunklen Triade untersucht. Und es zeigt sich – in oberen wie in unteren Etagen –: Dunkle Persönlichkeiten kommen weit, legen strategisches und manipulatives Verhalten an den Tag und haben damit negative Auswirkungen auf Kolleg:innen und die gesamte Firma.

Für jede Eigenschaft der Dunklen Triade haben Wissenschaftler:innen Warnzeichen definiert, Verhaltensweisen, vor denen Unternehmen bei ihren Mitarbeitenden auf der Hut sein sollten. Das Verhalten von Narzisst:innen am Arbeitsplatz ist dabei die meistuntersuchte Eigenschaft der Dunklen Triade, denn sie landen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in einer Führungsposition. Allerdings nur, wenn sie neu in einem Team sind. Das Verhalten von Narzisst:innen wird davon dominiert, das eigene, grandiose Selbstbild aufrechtzuerhalten – und auf den ersten Blick machen sie auch einen grandiosen Eindruck. Letztendlich überschätzen sie sich aber selbst, denn langfristig kristallisieren sich bei narzisstischen Persönlichkeiten ein unbeständiger Führungsstil, eine impulsive, übermütige Entscheidungsfindung und schlechtes Management heraus.

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Obwohl Öffentlichkeit und Medien oft annehmen, dass Persönlichkeiten der Dunklen Triade erfolgreicher, attraktiver und talentierter sind als ihre Mitmenschen, zeigen Studien das Gegenteil. Es gibt zahlreiche empirische Belege dafür, dass sie weder besonders erfolgreicher noch sonderlich erfolgloser sind als andere. Das gilt für verschiedene Lebensbereiche. Was Untersuchungen auch zeigen: Dunkle Individuen sind keine geborenen Anführer, ihre Arbeitsleistung ist nicht besser als die von anderen, sie haben weniger enge Freunde und eine geringere generelle Lebenszufriedenheit. Dennoch verdienen sie durchaus mehr Geld und sind erfolgreicher beim Dating. »Während die Forschung darauf hindeutet, dass es einige Nischen geben könnte, in denen die Dunkle Triade gedeiht, sind die meisten dunklen Individuen einfach mittelmäßig normal«, schreibt Moritz Michels in der Zeitschrift Psychology Today. Davon ist auch Morten Moshagen überzeugt. Aktuell untersucht er, wie sich dunkle Eigenschaften entwickeln und möglicherweise verändern lassen. »Die Frage ist: Sind sie erst unglücklich und werden deshalb böse oder ist es andersherum? Dann hat man die Situation, dass Leute, die sich böse verhalten, letzten Endes auch vereinsamen.«

Einen Lichtblick gibt es dennoch: Mit dem Alter würden böse Menschen auch zunehmend weniger böse. »Dabei sind die Menschen im Verhältnis zu anderen immer noch böser, aber weniger als in jungen Jahren«, erklärt Moshagen.

Wer selbst herausfinden möchte, wie stark der dunkle Kern der eigenen Persönlichkeit ausgeprägt ist, und wie böse er oder sie im Vergleich zum Rest der Welt ist, kann den Dark-Factor-Test von Moshagen, Hilbig und Zettler ganz einfach selbst durchführen. Bislang haben den Onlinefragebogen weltweit über 1,2 Millionen Menschen beantwortet.

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Fußnoten

  1. Moshagen, Morten; Hilbig, Benjamin E.; Zettler, Ingo: The dark core of personality, in: Psychological Review, (125)2018, S. 656-688, hier S. 89.
  2. Ebd., S. 66.
  3. Telefonat mit Morten Moshagen am 2.11.2022.
  4. Moshagen; Hilbig; Zettler 2018, S. 7.
  5. Dutton, Kevin: The Wisdom of Psychopaths: What Saints, Spies, and Serial Killers Can Teach Us About Success, 2012, S. 68.
  6. Stern (Hg.): In diesen zehn Jobs gibt es die meisten Psychopathen, auf: stern.de (ohne Datum).
  7. Paulhus, Delroy L.; Williams, Kevin M.: The Dark Triad of personality: Narcissism, Machiavellianism, and psychopathy, in: Journal of Research in Personality, (36)2002, S. 557.
  8. Fox, Jesse; Rooney, Margaret C.: The Dark Triad and trait self-objectification as predictors of men’s use and self-presentation behaviors on social networking sites, in: Personality and Individual Differences, (76) 2015, S. 161.
  9. NTV (Hg.): Massaker von Butscha: »Der Mensch empfindet Lust am Töten«, auf: n-tv.de (12.4.2022).
  10. Yendell, Alexander u.a.: What makes a violent mind? The interplay of parental rearing, dark triad personality traits and propensity for violence in a sample of German adolescents, in: PloS ONE, 18(2022).
  11. Ebd., S. 5.
  12. Ebd., S. 5.
  13. Douglass, Melanie D. u.a.: The relationship between the Dark Triad and attitudes towards feminism, in: Personality and Individual Differences, (200)2023, S. 5.
  14. Gluck, Melissa; Heesacker, Martin; Choi, Hemy Dorothy: How much of the Dark Triad is accounted for by sexism?, in: Personality and Individual Differences, (154)2020, S. 1.
  15. Douglass 2023, S. 6.
  16. Humeny, Courtney; Forth, Adelle; Logan, John: Psychopathic traits predict the severity of post-traumatic stress in survivors of intimate partner abuse, in: Personality and Individual Differences, (193)2022.
  17. Humeny, Courtney; Forth, Adelle; Logan, John: Psychopathic traits predict survivors’ experiences of domestic abuse, Personality and Individual Differences, (171)2021.
  18. Jonason, Peter; Girgis, Mary; Milne-Home, Josephine: The Exploitive Mating Strategy of the Dark Triad Traits: Tests of Rape-Enabling Attitudes, in: Archives of Sexual Behavior, 2017, S. 706.
  19. Lyons, Minna u.a.: The Dark Triad and Sexual Assertiveness Predict Sexual Coercion Differently in Men and Women, in: Journal of Interpersonal Violence, 2022, S. 8-9.
  20. Jonason/Girgis/Milne-Home 2017, S. 706.
  21. Veselka, Livia; Giammarco, Erica A.; Vernon, Philip A.: The Dark Triad and the seven deadly sins, in: Personality and Individual Differences, (67)2014.
  22. Jonason, Peter K.; Zeigler-Hill, Virgil; Okan, Ceylan: Good vs. evil: Predicting sinning with dark personality traits and moral foundations, in: Personality and Individual Differences, (104)2017, S. 180-185.
  23. Bensmann, Marcus; von Daniels, Justus; Keller, Gabriela: Opfer verklagt Ex-Papst Benedikt XVI. im Missbrauchsskandal, auf: correctiv.org (22.6.2022).
  24. Sparks, Brandon; Zidenberg, Alexandra; Olver, Mark.: Involuntary Celibacy: A Review of Incel Ideology and Experiences with Dating, Rejection, and Associated Mental Health and Emotional Sequelae, 2022, S. 6.
  25. Ware, Jacob (Hg.): Hassobjekt, auf: ipg-journal.de (25.11.2021).
  26. Ebd.
  27. International Center of Counter Terrorism (Hg.): Spring Provides Timely Reminder of Incel Violence – And Clarifies How to Respond, auf: icct.nl (28.8.2020).
  28. Schiemann, Sandra Julia; Jonas, Eva: Streben nach Macht fern von Ethik: Die »dunkle Triade« bei Führungskräften und die Folgen für Organisationen, in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching (7)2020.
  29. Coleman, Brendan; Dulewicz, Victor (Hg.): Are you a psychopathic, narcissistic or Machiavellian leader?, auf: managementtoday.co.uk (17.9.2021).
  30. Schyns, Birgit; Wisse, Barbara; Sanders, Stacey: Shady strategic behaviour: recognizing strategic behaviour of dark triad followers, Academy of management perspectives, S. 7, auf: dro.dur.ac.uk.
  31. Ebd., S. 11.
  32. Ebd., S. 9.
  33. Ebd., S. 11.
  34. Ebd., S. 11.
  35. Michels, Moritz: Why the Dark Triad Has Little to Do With Being Successful, auf: psychologytoday.com (3.3.2022).
  36. Hartung, Johanna u.a.: Age and Gender Differences in Socially Aversive (»Dark«) Personality Traits. European Journal of Personality, (36)2021, S. 29-30, auf: darkfactor.org.
  37. Dark Factor Test, auf: qst.darkfactor.org.

Autor:innen

Geboren und aufgewachsen in Vorpommern. Hat Geographie, European Studies und Journalistik unter anderem in Dresden, Flensburg und Odense (Dänemark) studiert und ist seit Mai 2021 für KATAPULT MV als Redakteurin vor allem zwischen Greifswald und Stralsund unterwegs.

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