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Wenn Deutsche ein Buch kaufen, dann wollen sie was zum Anfassen. Print ist tot? Von wegen. Print geht es gut und besonders gut geht es dem gedruckten Buch. Es bleibt trotz aller gegenteiligen Vorhersagen die meistverkaufte Buchform im Jahr 2019. Welche der digitalen Verbreitungsmöglichkeiten leiden, sind die täglichen Nachrichten und dementsprechend Zeitungen. Sie funktionieren im Internet einfach besser, wenn es schnell gehen muss. Nicht so beim Buch: Es lebt von Entschleunigung. Und das zeigt sich auch an den Zahlen. 12,3 Bücher erwarb ein Käufer 2019 im Durchschnitt und damit mehr als im Jahr zuvor. Fast 30 Millionen Menschen legten sich mindestens ein Buch zu.
Schon als Amazon 2007 seinen E-Book-Reader Kindle auf den Markt brachte, befürchteten Buchhändler und Verleger, dass der Siegeszug von E-Books nun unaufhaltsam sei. Die Sorgen, dass das E-Book das gedruckte Buch ersetzt, waren aber unbegründet. Denn zumindest zur Lesebereitschaft der Deutschen hat das E-Book wenig beigetragen. Im Gegenteil: 2012 und 2013 gab es zwar einen fulminanten Anstieg der Verkäufe, in den vergangenen Jahren stagniert das E-Book allerdings und zeigt nur minimale Wachstumsschübe bei den Verkaufszahlen. Mit 8,9 E-Books ist der Pro-Kopf- Kauf 2019 im Vergleich zum Vorjahr sogar etwas gesunken. Interessant ist auch: Es sind die 50- bis 59-Jährigen, die sich die meisten digitalen Bücher zulegen, nicht etwa die Digital Natives.
Für Buchhändler ist das steigende Verlangen der Deutschen nach gedruckten Büchern aber kein Grund zur Freude. Denn immer weniger Menschen in Deutschland lesen überhaupt. Dass der Buchhandel finanziell so stabil geblieben ist, ist jenen Käufern zu verdanken, die mehr und teurere Bücher kaufen.
Erst Katze, dann Buch
Wenn die Deutschen immer weniger lesen, was tun sie dann? 30.000 Personen wurden 2019 gefragt, wie sie ihre Freizeit verbringen. Die klare Antwort: 90 Prozent der Deutschen verbringen ihre Freizeit mehrmals wöchentlich vor dem Fernseher. Streaming- Angebote sind besonders populär. Fortsetzungen sind beliebt, beim Film wie beim Buch. Im Ranking der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen belegt das Lesen von Büchern immerhin Platz zwölf. 16,7 Prozent der Deutschen über 14 Jahre gaben an, mehrmals wöchentlich ihre Freizeit mit Lesen zu verbringen, fast genauso viele wie im Jahr zuvor. Müssen sich die Deutschen zwischen Tieren und einem Buch entscheiden, dann wählen sie Tiere: Nur wenige Prozentpunkte mehr erreichte die Freizeitaktivität »Mit Tieren beschäftigen«. »Computerspiele« und »Unternehmungen mit der Familie« haben gegenüber dem Lesen hingegen knapp verloren.
Die verbliebenen Leser und Verkäufer am deutschen Buchmarkt sind in der Mehrheit weiblich: Frauen lesen nicht nur häufiger als Männer, sie kaufen auch mehr Bücher. 2019 erwarben 62 Prozent der Frauen mindestens ein Buch. Bei den Männern kauft nur knapp jeder Zweite ein Buch pro Jahr. Auffallend sind auch die Unterschiede bei Alter, Einkommen und Schulbildung: Am häufigsten wird ein Buch von jemandem gekauft, der über 40 ist, viel verdient und in einer größeren Stadt lebt. Teilzeitbeschäftigte kauften nach eigenen Angaben die meisten Bücher, jene mit Volks- oder Hauptschulabschluss die wenigsten.
Ein E-Book im Regal lässt dich weniger intelligent aussehen
Immer weniger Menschen lesen ein Buch, aber dafür kaufen die Wenigen mehr. Warum? Auch, weil sie sich besser fühlen wollen. Menschen konsumieren Bücher nicht einfach nur, sie verbinden auch Ansprüche, Wertvorstellungen und teilweise sogar ihr Selbstwertgefühl mit ihnen. In einer aktuellen Studie hat die norwegische Kommunikationswissenschaftlerin Linn-Birgit Kristensen rund 1.500 Teilnehmer befragt, warum sie welche Buchform beim Kauf gewählt haben. Die Forscherin wollte herausfinden, welche Faktoren zum Lesen und Kaufen anregen, unabhängig vom Genre. Zusätzlich fragte sie, welche Gedanken sich Leser machen, »wenn sie ein Format auswählen und verschiedene Formate unabhängig vom Genre miteinander vergleichen«. Das Ergebnis war eindeutig: 75 Prozent der Befragten bevorzugten es, gedruckt zu lesen. Die Frage, ob dem gedruckten Buch etwas fehlen würde, was nur das E-Book bieten könne, beantworteten zwar etwas mehr als ein Viertel der Studienteilnehmer mit ja. Auch das gedruckte Buch habe Defizite gegenüber dem digitalen Buch. Aber dem E-Book rechneten sie viel mehr Schwächen zu. Fast die Hälfte der Befragten gab an, beim digitalen Lesen etwas zu vermissen.
Vor allem der soziale Charakter eines Buches war den Befragten wichtig. Viele Teilnehmer verbinden mit dem gedruckten Buch eine Art Aufwertung ihres Selbstwerts. Ein volles Bücherregal wirke laut den Befragten nicht nur als materieller Besitz, es hat auch kulturellen Wert für einen selbst und Wirkung auf andere – man werde als intelligenter wahrgenommen. Bücher werden zudem als identitätsstiftend erachtet. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die beiden Forscher Ozgun Atasoy und Carey Morewedge. Sie untersuchten die Zahlungsbereitschaft für digitale und physische Güter. Sie stellten fest, dass Personen bereit waren, mehr für ein anfassbares Gut zu bezahlen als für sein digitales Gegenstück. Zudem belegen sie in ihrer Studie, dass Menschen sich eher mit realen Gegenständen verbunden fühlen und sich mit ihnen identifizieren. Wer etwas besitzt und tatsächlich auch anfassen kann, kann damit sein Selbstwertgefühl steigern und zeigen, wer er oder sie ist. Das Buch ihres Lieblingsautors wollten die Testpersonen lieber gedruckt in der Hand halten, genauso wie ein Erinnerungsfoto. Mit digitalen Gütern fühlten sie nicht die gleiche Verbundenheit, sie werden dafür als zu schnelllebig und unsicher empfunden. Die Testpersonen waren demnach auch in jedem der insgesamt fünf Experimente dazu bereit, mehr für das physische Produkt zu zahlen als für das digitale Pendant.
Höheres Textverständnis mit Buch
Auf gedrucktem Papier zu lesen, hilft auch beim Verstehen eines Textes. Wissenschaftler bestätigen in einer aktuellen Studie erneut die Ergebnisse früherer Forschungen, wonach das Textverständnis beim Lesen auf Papier besser ist als auf digitalen Geräten. In ihren neuen Untersuchungen wurden den Testpersonen Geschichten vorgelegt, in denen einerseits klassische, traditionelle Inhalte vorkamen und Begriffe wie »Bleistift« oder »Papier«. Im anderen Text kamen moderne Inhalte vor, in denen viele Begriffe rund um neue Technologien verwendet wurden wie zum Beispiel die Verwendung von Bildschirmen. Vorgelegt wurden die Texte jeweils in traditionellen (Büchern, Zeitschriften) und modernen Formaten (E-Books, Tablets). Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmer leichter in Geschichten eintauchten, wenn sie diese im gedruckten Buch lasen. Die Autoren können jedoch durch eine weitere Studie ein interessantes Detail ergänzen: Je nach Thema gibt es ein Medium, das das Textverständnis eher fördert. Hierzu legten sie den Befragten keine Kurzgeschichten vor, sondern Magazinartikel und zeigten, dass es für moderne Themen – in dieser Studie ging es konkret um Lösungsvorschläge für Fettleibigkeit – ein größeres Textverständnis auf digitalen Lesegeräten gab.
Linn-Birgit Kristensen erforschte außerdem die Emotionen beim Lesen. Die Befragten in ihrer Untersuchung gaben an, sich beim Lesen digitaler Texte weniger entspannt zu fühlen als beim Lesen auf Papier. Außerdem empfanden sie weniger Lesefreude und -komfort vor dem Bildschirm. Den Antworten zufolge gelinge es bei gedruckten Büchern besser, sich »von allem anderen ab[zu]koppeln « und sich von elektronischen Alltagsgeräten zu lösen. Andere Personen erzählten von einem angenehmen Gefühl, das Buch in der Hand zu halten, es zu fühlen, darin zu blättern, den Geruch des Papiers zu genießen oder den Zeilen besser folgen zu können.
65 Prozent weniger Umsatz durch Corona
Der traditionelle Buchmarkt hatte in den letzten Jahren immer wieder neue Krisen zu bewältigen: erst die Sorge, das E-Book werde das gedruckte Buch verdrängen, dann die mächtige Konkurrenz für traditionelle Buchläden durch den Onlinehandel. Jeder kann online sein eigenes Buch verlegen, das verändert die Arbeit von Verlagen und ihr Geschäft. Und dann kam Corona. Das Virus hatte große Auswirkungen auf das Buchgeschäft: Deutsche Buchläden meldeten vom 23. März bis zum 19. April 65 Prozent weniger Umsatz als im selben Zeitraum 2019. Im März wurde eine der wichtigsten Veranstaltungen für Bücher in Deutschland abgesagt: die Leipziger Buchmesse. Dann machten auch noch in 14 der 16 deutschen Bundesländer die Buchläden zu, nur Berlin und Sachsen-Anhalt stuften Buchhandlungen als »systemrelevant« ein. Online konnten weniger Bücher bestellt werden, da Amazon, der größte Partner im Versandgeschäft, Bücher weniger priorisierte als etwa Hygieneartikel oder Haushaltswaren. Verlage konnten geplante Neuerscheinungen nicht veröffentlichen, das wirkte sich vor allem auf unbekannte und neue Autoren aus.
Rund 13.400 Verlage gibt es in Deutschland. Nicht alle sind reine Buchverlage, zählt man nur diese, sind es 1.918. Für diese Verlage hieß es in den letzten Monaten: alles neu organisieren. Und das ging – wider Erwarten – erstaunlich schnell. Der Buchmarkt erhole sich bereits wieder, meldeten Branchenmagazine im Juni 2020. Es gibt sogar eigens schnell produzierte Krisenbücher, die gar nicht schlecht ankommen, wie »Trotzdem« von Alexander Kluge und Ferdinand von Schirach. Das Buch schoss sofort auf Plat eins im Sachbuchsegment. Vor allem Kinderbücher wurden während Corona vermehrt gekauft und verzeichneten sogar ein Plus von 3,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch E-Books werden Prognosen zufolge 2020 mehr Umsatz erzielen als im vergangenen Jahr. Etwas anders sehen nur die Buchvorschauen mit den Neuerscheinungen aus, die an die Buchläden verschickt werden. Die kommen nämlich gerade nicht mehr, wie gewohnt, in gedruckter Form, sondern nur noch digital.
Ein Problem lässt sich im Verlagswesen aber nicht nur an Corona festmachen: Der Gesamtumsatz der Unternehmen ist gesunken. Über acht Milliarden Euro setzten die Buchverlage 2018 insgesamt um, zwei Prozent der Unternehmen sichern sich davon fast 80 Prozent. Das zeigt die Konzentration der Branche, zu der beispielsweise Bertelsmann gehört, der Eigentümer des größten Verlags Random House. Der Konzern hatte bereits 2017 seine Anteile an der größten englischen Verlagsgruppe Penguin Random House auf 75 Prozent ausgeweitet – in diesem Jahr allerdings will Bertelsmann den englischen Verlag komplett übernehmen und wird damit seine Marktmacht erheblich ausdehnen. Die deutsche Verlagsgruppe Random House geriet erst im vorigen Jahr erneut in die Kritik, weil sie für alle ihre vertriebenen Marken die gedruckte Vorschau abgeschafft hat – ein Schritt, den vor allem kleine Buchhändler kritisieren. Buchhandlungen mit wenigen Mitarbeitern haben keine Lust, tausende Seiten auf Bildschirmen durchzusehen. Das Sichten dieser Druckvorschauen wurde von den Mitarbeitern immer als privilegierter Teil ihrer Arbeit erachtet. Da wurden auch mal handschriftlich Notizen hineingeschrieben und ein durchgeblätterter Katalog als Erfolgserlebnis wahrgenommen. Jetzt ist dieser Job eine reiner Schreibtischarbeit am PC geworden.
Das Geschäft mit dem gedruckten Buch ist zwar geblieben, aber Verlage versuchen schon seit Jahren, neue Wege zu finden, ihre Bücher schneller und direkter an die Leser zu bringen. Die meisten Bücher werden in Deutschland trotz digitaler Anbieter zwar immer noch im Sortimentsbuchhandel verkauft, der Absatz ist trotzdem rückläufig. Auch Corona hat es noch einmal verdeutlicht: Wer keinen Onlineshop betreibt und keine digitale Kommunikation nutzt, findet keinen Weg zur Leserschaft. Verlage setzen verstärkt auf digitale Angebote wie etwa Onlineshops, soziale Medien oder themenzentrierte Digitalausgaben. In den letzten Jahren konnten sie vor allem damit ihre Umsätze steigern – um stolze 33,2 Prozent seit 2018. Der Axel-Springer-Verlag hatte 2018 schon über 70 Prozent seines jährlichen Umsatzes durch digitale Angebote bestritten. Auch der Burda-Verlag macht bereits mehr als die Hälfte seines Gesamtumsatzes online.
Immer mehr Buchläden schließen
Eine Konzentration des Marktes, so wie bei den Verlagen, ist jedoch auch bei den Buchhandlungen zu erkennen. Erst im vergangenen Jahr fusionierte Thalia, die größte Buchhandelskette Deutschlands, mit der Mayerschen Buchhandlung, der Nummer vier am deutschen Buchmarkt. Damit decken sie zusammen fast den kompletten Buchhandel in Nordrhein-Westfalen ab und sind dort in 28 von 30 Großstädten Marktführer. Der Zusammenschluss erhöht den Druck auf die vielen eigentümergeführten Läden noch mehr, die sich ohnehin schon durch die wachsenden Onlineanbieter bedroht fühlen. Der Konzern betreibt 288 Buchhandlungen in Deutschland. Zum Vergleich: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es gerade einmal 60 Buchläden. Die Gesamtzahl der Buchhandlungen in Deutschland ist rückläufig, mehr als 400 Einzelhändler mussten in den vergangenen Jahren dichtmachen.
Laut Schätzungen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels setzten deutsche Buchhändler im vergangenen Jahr knapp viereinhalb Milliarden Euro um. Ein Prozent mehr als im Vorjahr – klingt nicht nach besonders viel und heißt angesichts der schwindenden Leserschaft auch: Die Bücher sind teurer geworden. Durchschnittlich 13,47 Euro kostet ein Buch aktuell. Besonders der Absatz über das Internet wächst jedes Jahr, auch für das Jahr 2020 wird mit einem Anstieg gerechnet. Aber auch der Sortimentsbuchhandel hat 2019 erstmals wieder ein Plus bei den Verkäufen verzeichnen können, in den Vorjahren sah das anders aus.
Die meisten Menschen schätzen ihre Buchhandlungen, das hat sich auch während der Corona-Krise gezeigt. Und die Läden selbst sind teilweise kreativ mit der Krise umgegangen, haben etwa Bücher mit dem Fahrrad zur Kundschaft geliefert. Eine Berliner Buchhandlung verteilte in ihrem Schaufenster kleine Monster und Plastikfiguren, die Kinder suchen können, während Erwachsene auf ihre Bücher warten. Bestellungen wurden per Mail und Telefon angenommen und am nächsten Tag abgeholt. Auch wenn das Stöbern im Laden selbst fehlt, Kunden merken jetzt, dass nicht nur Amazon Bücher liefern kann, sondern eben auch die kleine Buchhandlung ums Eck. Meist sogar schneller.
Dieser Text erschien in der 19. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.
Autor:innen
Seit 2020 Redakteur bei KATAPULT.
Ehemalige Redakteurin bei KATAPULT. Hat Journalismus und Kommunikation in Wien und Amsterdam studiert. Themenschwerpunkte sind Gesellschaftspolitik und feministische Themen. Macht auch Podcasts.