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Der niederländisch-britische Öl- und Erdgaskonzern Shell wurde vom Bezirksgericht in Den Haag dazu verurteilt, seine CO2-Emissionen um die Hälfte zu reduzieren. Für viele Beobachter:innen ist dieses Urteil wegweisend für die weltweiten Bemühungen um einen besseren Klimaschutz. Denn: Zum ersten Mal wurde ein privatwirtschaftliches Unternehmen von einem Richter zu mehr Engagement beim Klimaschutz gezwungen.
Die Verurteilung des Konzerns ist beispiellos, der Versuch die Klimapolitik in den Gerichtssaal zu bringen, ist es nicht. Eine Studie von Forscherinnen der London School of Economics zählt zwischen 1986 und Mitte 2020 über 1.500 Verfahren mit Bezug zum Klimawandel. Der Großteil der gerichtlichen Auseinandersetzungen fällt auf die Zeit nach der Jahrtausendwende. Gerade in den vergangenen Jahren saßen meist Regierungen auf der Anklagebank.
Verklagt wurden sie in aller Regel von Privatpersonen oder Unternehmen. Letztere nutzten den Rechtsweg vor allem, um gegen Klimaschutzgesetze zu klagen, die den Unternehmensinteressen entgegenstehen. 2018 klagte etwa IPC Petroleum in Frankreich gegen die Regierung. Der Konzern sah seine Eigentumsrechte verletzt, nachdem die französische Regierung zeitliche Obergrenzen für die Nutzung fossiler Energiequellen verhängt hatte. Erfolgreich war IPC damit nicht. Außerhalb der USA endeten seit 1994 immerhin rund ein Drittel der Verfahren mit Urteilen, die dem Klimaschutz schadeten.
Eine intakte Umwelt ist Menschenrecht
In knapp 60 Prozent der Fälle konnten die Klimaschützer:innen jedoch Erfolge verbuchen. Wohl auch deswegen zieht es immer mehr Aktivist:innen nicht nur auf die Straße, sondern auch vor Gericht. Geklagt wird häufig gegen die Verletzung der Menschenrechte aufgrund unterlassener oder unzureichender Klimaschutzgesetzgebung. Knapp 40 derartige Fälle kamen seit 2015 weltweit vor die Gerichte. In Europa machte vor allem die Klage der Urgenda-Stiftung gegen die niederländische Regierung Schlagzeilen. Ende 2019 entschied der Oberste Gerichtshof in den Niederlanden in letzter Instanz, dass der Staat dazu verpflichtet sei, seine Treibhausgasemissionen zu reduzieren, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Dieser stelle eine Gefahr für das menschliche Leben dar. Und das sei durch die Menschenrechte geschützt. In nicht ausreichendem Umfang gegen den Klimawandel vorzugehen, verstoße also gegen die Menschenrechte. Es handelte sich um das erste Urteil dieser Art.
Die erfolgreiche Klage gegen Shell nimmt nun auch privatwirtschaftliche Unternehmen in die Verantwortung. Für Umweltschutzorganisationen ist das eine Errungenschaft. Shell hingegen will gegen das Urteil Berufung einlegen.
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Authors
Tobias Müller
geboren 1986, ist seit 2020 Redakteur bei KATAPULT. Er hat Politikwissenschaft und Geschichte in Freiburg und Greifswald studiert und wurde mit einer Arbeit im Bereich politische Ideengeschichte promoviert. Zu seinen Schwerpunkten zählen die deutsche Innenpolitik sowie Zustand und Entwicklung demokratischer Regierungssysteme.