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Mit ihrer Liste will die größte Hilfsorganisation Norwegens auf die Not derjenigen aufmerksam machen, deren katastrophale Lebensumstände selten bis nie die internationalen Schlagzeilen bestimmen. Stärker über diese Menschen und die sie umgebenden Krisen zu informieren, ist ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung ihrer Situation. Der NRC wertet hierzu zahlreiche Faktoren aus dem jeweiligen Vorjahr aus und arbeitet dabei mit drei Hauptkriterien: Wer berichtet, wer bemüht sich um Verbesserung - und wer schickt Geld?
Schon zum zweiten Mal führt die ehemalige deutsche Kolonie Kamerun das Ranking an. Ihre Bevölkerung ist von mehreren Krisen betroffen. Im Norden kämpft die islamistische Terrormiliz Boko Haram gegen Regierungstruppen, zugleich harren rund 300.000 Flüchtlinge aus der seit 2013 im Bürgerkrieg zerfallenden Zentralafrikanischen Republik im westlichen Teil des Landes aus. Die wohl gefährlichste Krise in Kamerun aber ist ein teils brutal ausgetragener Konflikt zwischen englisch- und französischsprachiger Bevölkerung, der auf die koloniale Spaltung der Region nach dem Ersten Weltkrieg zurückgeht. Auch in Kamerun droht nun ein Bürgerkrieg.
40 Geheimbünde bereichern sich am Öl-Reichtum Nigerias
Nirgends ist Boko Haram so aktiv wie in Nigeria, dem mit über 200 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Doch die terroristische Gruppierung und ihre Abspaltungen sind bei Weitem nicht die einzigen bewaffneten Gruppen, die in dem rasant wachsenden Land ohne Rücksicht auf die Bevölkerung um Einfluss kämpfen. Beispielsweise bereichern sich allein 40 Geheimbünde - meist aus studentischen Gruppen hervorgegangene, nun schwerkriminelle Organisationen mit mehreren Tausend Zellen - am Reichtum des Landes, das pro Jahr etwa 100 Millionen Tonnen Öl fördert. Schwere Dürren und Überschwemmungen haben die Situation 2019 weiter verschlimmert.
Im Nordwesten Nigerias, dem Sahel, sind vor allem Mali, Burkina Faso und Niger von gewaltsamen Auseinandersetzungen und Hungersnöten betroffen. Entstanden ist auch in diesen Gebieten südlich der Sahara eine schwer zu durchblickende Gemengelage. Der Wegfall der Lebensgrundlagen verschärft sich durch den Klimawandel stetig, die allgegenwärtige Gewalt, die hier vor allem auch von islamistischen Gruppen ausgeht, führt zu einer unerträglichen Situation für die Bevölkerung. Wer kann, flieht.
Fast vier Millionen Kinder in Kongo mangelernährt
Der radikale wirtschaftliche Zusammenbruch, die brutale Unterdrückung der Opposition und eine Malaria-Epidemie, in deren Verlauf sich über 70 Prozent der Bevölkerung des Landes infizierten, bringen Burundi auf die Liste des NRC. 3.100 Menschen starben - aber im Gegensatz zum Ebola-Ausbruch im benachbarten Kongo erhielt diese humanitäre Katastrophe kaum Aufmerksamkeit von internationalen Medien. Auch in Burundis riesigem Nachbarstaat, der Demokratischen Republik Kongo, leiden die Menschen unter mehreren Krisen. Das Land, dessen Einwohnerzahl mit 84 Millionen der Deutschlands gleicht, hatte 2019 mit fast 1,7 Millionen die weltweit höchste Zahl an neuen Binnengeflüchteten. Abgesehen von diversen gewalttätigen Konflikten seit der Wahl 2018 gab es im darauffolgenden Jahr den weltweit zweitgrößten Ebola-Ausbruch und die größte Masernepidemie, die das Land seit Jahrzehnten gesehen hat. Nach dem Jemen spielt sich im Kongo die zweitgrößte Hungerkatastrophe der Welt ab. Über 15 Millionen Menschen waren 2019 nicht dazu in der Lage, sich selbst ausreichend mit Nahrung zu versorgen, und fast vier Millionen Kinder unter fünf Jahren waren akut mangelernährt.
Auch im nordöstlich angrenzenden Südsudan verschlechterte sich die Situation. 2011 erklärte sich das Land für unabhängig, schon 2013 begann der Bürgerkrieg: 380.000 Menschen starben, vier Millionen flohen. 2018 unterzeichneten Regierung und Opposition ein Friedensabkommen, doch dessen Umsetzung gelingt nur schleppend, weswegen es Ende 2019 noch immer nicht zu einem Ende der Gewalt gekommen war. Stattdessen sorgten starke Überschwemmungen für eine Hungerkatastrophe. Etwa sieben Millionen Menschen waren nicht mehr dazu in der Lage, sich selbst zu versorgen.
Venezuela: Armut, Gewalt und Kriminalität vertreiben fast ein Sechstel der Bevölkerung
Das einzige nicht-afrikanische Land im NRC-Ranking ist Venezuela, wo nicht erst 2019 regierungskritische Proteste zu heftigen Gewaltausbrüchen eskalierten, eine Gegenregierung um die Macht rang und Hyperinflation und schwere Versorgungsengpässe zu einem Ausufern der Kriminalität führten. Mehr als 15 Prozent der Gesamtbevölkerung haben mittlerweile die Flucht ergriffen. Die Gewaltbereitschaft der Regierung, der schwere Menschenrechtsverstöße bei der Bekämpfung der Opposition vorgeworfen werden, vor allem aber die katastrophale Versorgungslage treibt die Menschen ins Ausland. Seit 2015 sind pro Jahr etwa eine Million Menschen aus dem Land geflohen. Anfang 2019 lebten rund 87 Prozent der Venezolaner in Armut. Das Gesundheitssystem, das öffentliche Leben und der Rechtsstaat liegen brach.
Corona verschärft die Krisen und lenkt von ihnen ab
Einzelne bewaffnete Konflikte haben aufgrund der Bedrohung durch das Coronavirus zeitweise an Heftigkeit verloren, hier und da gab es wohl kurzzeitige Waffenstillstände. Dennoch sind sich Beobachter sicher, dass sich die Lage der Krisenländer durch Covid-19 stark verschlechtern wird. Nicht nur andere Epidemien und Umweltkatastrophen - auch die Kämpfe gehen weiter. Es ist davon auszugehen, dass die ohnehin eher unbeachteten Krisen durch die Pandemie noch weiter aus dem Fokus der weltweiten Medien geraten werden.
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Autor:innen
Geboren 1987, war 2020 Redakteur bei KATAPULT und hat Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Germanistik in Regensburg und München studiert.
Zu seinen Schwerpunkten zählen politische Philosophie, Medientheorie und politischer Extremismus.