Zum Inhalt springen

Sanctuary Cities

Wie Städte gegen den Staat rebellieren

Von

Artikel teilen

Migrationspolitik liegt im Aufgabenbereich und innerhalb der Entscheidungsmacht von Nationalstaaten. Ob sie Vertriebene aufnehmen, die Grenzen dichtmachen oder bereits aufgenommene Flüchtlinge wieder zurückschicken, darüber verfügen vorrangig die obersten Regierungsbehörden der Zielländer. Es gibt aber auch Ausnahmen.

In den USA lehnen es einige »ungehorsame« Städte ab, mit der Bundesregierung bezüglich der Abschiebepolitik gegenüber illegalen Einwanderern uneingeschränkt zusammenzuarbeiten.[1] In Krankenhäusern, auf Polizeistationen und in Schulen fragen die Angestellten und Beamten nicht nach dem Aufenthaltsstatus. Zudem übergeben städtische Behörden Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung nach kriminellen Vergehen nur in besonders schweren Fällen der Heimatschutzbehörde.[2]

Festnahmen illegaler Einwanderer sind freiwillig

Die Geschichte der Sanctuary Cities begann in den Achtzigerjahren. Ausschlaggebend war der große Flüchtlingszustrom aus Mittelamerika in die USA. Präsident Ronald Reagan unterstützte zu jener Zeit einige der dortigen Militärregierungen, unter anderem in Guatemala und El Salvador, und verweigerte Flüchtlingen Asyl. Innerhalb der US-Bevölkerung stieß die Haltung Reagans auf Ablehnung. An der Grenze zwischen Mexiko und Arizona, aber auch in einigen Großstädten, entstand in der Folgezeit das »Sanctuary Movement« (Asylbewegung, wörtlich auch: Kirchenasyl), das mehrere Kirchengemeinden verschiedener Konfessionen unterstützten. Diese arbeiteten innerhalb kurzer Zeit mit den jeweiligen Stadtverwaltungen und lokalen Einrichtungen zusammen und konnten so Abschiebungen von Kriegsflüchtlingen verhindern.[3]

Durch das föderale System der USA haben Städte und Kommunen weitgehende Rechte, selbst darüber zu entscheiden, wie umfangreich sie mit Washington in Bezug auf Asylsuchende kooperieren. Dies wurde immer wieder kritisiert, etwa dass es durch die Entscheidungsgewalt auf unterster Ebene zu einem »Durcheinander« vieler verschiedener, nebeneinander existierender politischer Maßnahmen (policies) komme.[4] Dennoch stellten Bundesgerichte im ganzen Land fest, dass die Kooperation lokaler Verwaltungen mit den Bundesbehörden bei der Festnahme illegaler Einwanderer freiwillig und nicht verpflichtend ist.[5] So ist die örtliche Polizei lediglich dazu verpflichtet, Fingerabdrücke einer straffälligen Person an die Bundespolizei (FBI) weiterzuleiten. Diese informiert die Einwanderungs- und Zollbehörde der USA (U.S. Immigration and Customs Enforcement, kurz ICE), die den Aufenthaltsstatus prüft. Wird festgestellt, dass die betreffende Person sich illegal im Land aufhält, kann die ICE die lokalen Behörden darum ersuchen, die Person für 48 Stunden festzuhalten, um einen Haftbefehl erlassen und ein Abschiebeverfahren einleiten zu können. Dieser Bitte muss die örtliche Polizeibehörde aber nicht nachkommen.[6] So konnten Kommunen in den letzten Jahren immer wieder eigenständig Gesetze auf lokaler Ebene erlassen, in denen sie die Zusammenarbeit mit Bundesbehörden beschränkten.[7]

In den letzten dreißig Jahren entschieden sich in den USA immer mehr Städte, Gemeinden und Bundesstaaten dazu, beim Thema »illegale Einwanderer« ihre Zusammenarbeit mit der Bundesregierung einzuschränken. Heute gibt es über die gesamten Vereinigten Staaten verteilt mehr als 300 solcher Gemeinden. Weil die Asylsuchenden keine Abschiebung zu befürchten haben, lebt dort mittlerweile der größte Teil der circa elf Millionen Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung.[8]

Kalifornien gegen Donald Trump

Seit 2016 rücken die Sanctuary Cities wieder vermehrt in den Fokus der amerikanischen Politik. Donald Trump forderte im Wahlkampf mehrfach die Abschiebung illegaler Einwanderer. Nach seiner Wahl zum Präsidenten hielt er an seinen Plänen fest und kündigte an, den Sanctuary Cities, die sich weiterhin gegen seine Abschiebepolitik wehren wollten, Bundesgelder zu streichen, da sie bewusst gegen Bundesrecht verstoßen würden.[9] Die Stadt Miami gab daraufhin tatsächlich den Status als Schutzzone auf – New York, Los Angeles, Boston und andere große Sanctuary Cities behielten ihren Standpunkt jedoch bei und bekräftigten, ihre ausländischen Einwohner vor der Abschiebepolitik Trumps schützen zu wollen.[10]

Jerry Brown, Gouverneur von Kalifornien, unterzeichnete im letzten Jahr eine Gesetzesvorlage, die scharfe Grenzen für die Zusammenarbeit staatlicher und lokaler Strafverfolgung mit den US-Einwanderungsbehörden setzt. So ist es bundesstaatlichen und örtlichen Ämtern verboten, ohne Einbeziehung der kalifornischen Behörde für Strafvollzug und Rehabilitation Festnahmen zu erzwingen. Außerdem dürfen Polizisten den Aufenthaltsstatus einer Person nicht überprüfen. Damit machte Brown Kalifornien zum nunmehr sechsten Sanctuary State.[11]

Sanctuary Cities in Europa

In den letzten Jahren nahmen Forderungen nach Sanctuary Cities auch in Europa innerhalb der Bevölkerung zu. Die Idee breitete sich zunächst nach Großbritannien aus, wo sich Städte zusammenschlossen, um die Etablierung einer Willkommenskultur gegenüber Geflüchteten zu fördern. Die Flüchtlingspolitik der EU des letzten Jahres bewirkte, dass auch in Deutschland, unter anderem in Freiburg, immer mehr Bürger verlangten, dem amerikanischen Beispiel zu folgen.[12] Im Januar 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über 200.000 Asylanträge aus Afghanistan ab, trotz des bewaffneten Konfliktes vor Ort. In der Folge gründeten sich erste Initiativen, die sich für die Bildung einer neuen Form von Sanctuary Cities einsetzten.[13] Die Stadtregierung von Barcelona forderte zudem ein Städtenetzwerk von Sanctuary Cities, das sich gegen die Politik der EU wehren sollte.[14]

Ein wesentlicher Unterschied der europäischen Zufluchtsstädte zu den Sanctuary Cities in den USA besteht dabei in der Eigenart, dass sich die Sanctuary Cities der Vereinigten Staaten in erster Linie für die Einwanderer vor Ort einsetzen, während sich die europäischen Initiativen grenzüberschreitend ausrichten. Sie fordern die Aufnahme weiterer Flüchtlinge, um »Hotspots« in Italien und Griechenland zu entschärfen. Andere Staaten sollen mehr Personen unterbringen, damit sich die Lage vor Ort entspannt. Unter anderem stellte der Osnabrücker Stadtrat bereits im Juni 2016 einen Antrag, 50 Flüchtlinge aus diesen Ländern in die Stadt zu bringen. Weitere Städte wie Hamburg, Wolfsburg und Mainz folgten diesem Beispiel. Die Bundesregierung lehnte die Anträge jedoch ab und führte stattdessen eine zentralstaatlich organisierte Umverteilung von 500 Flüchtlingen durch.[15]

Dieses Vorgehen zeigt, dass das behördliche Zusammenspiel von Bund und Kommunen in Deutschland grundlegend anders ist als in den USA. So beziehen sich die Initiativen für die Zufluchtsstädte zwar stark auf die Sanctuary Cities der USA und wollen Ähnliches in Europa etablieren. Das Paradigma des souveränen Staates, der die Entscheidungshoheit über den Zugang zu Territorium hält, stellt dabei aber die entscheidende rechtliche Instanz dar.[16] Allein er entscheidet über die Aufnahme und Umverteilung von Flüchtlingen. Die Freiheiten, die Städte und Kommunen in den USA genießen, gibt es in Deutschland nicht.

Aktuelle Ausgabe

Dieser Text erschien in der zehnten Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.
KATAPULT abonnieren

Autor:innen

Neueste Artikel

Gebietsansprüche in der Antarktis

Sieben Staaten stellten bis zur Unterzeichnung des Antarktisvertrags von 1961 offiziell Gebietsansprüche. Im Vertrag steht jedoch kein einziges Mal das Wort "Grenze".

Der baskische Wolf ist der finnische Bär

"Otso" ist das baskische Wort für Wolf. In Finnland ist es allerdings eine von vielen Bezeichnungen für Bär. 270 Bezeichnungen soll es dort für den Braunbären geben.

Bevölkerung pro Kopf

Malta reichen wir nach, sorry!