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Nachdem das sudanesische Militärregime am 3. Juni 2019 mindestens 100 friedliche Demonstranten ermordete und Hunderte verletzte, konnten Aktivisten die grauenvollen Bilder der Welt nur schwer zugänglich machen und kaum mehr mobilisieren: Tagelang war das mobile Internet im Sudan fast völlig tot, dann auch das Festnetz. Das Regime hatte das Massaker als Exempel geplant und Vorkehrungen getroffen, um den Aufschrei so klein wie möglich zu halten.
Ob lokal begrenzt oder landesweit: Immer öfter blockieren Regierungen den Zugang zum Internet oder drosseln die Geschwindigkeit drastisch, sodass beispielsweise keine Videos mehr hochgeladen werden können. Der Bürgerrechtsorganisation Access Now zufolge kam es 2018 in 25 Ländern zu mindestens 196 entsprechenden Maßnahmen – fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2019 zählt die Organisation bereits 113 Shutdowns. Access Now räumt zudem ein, dass diese Zahlen wohl nur einen Ausschnitt darstellen und von einer recht hohen Dunkelziffer auszugehen ist.
Weltweit gehen Regierungen nach demselben Muster vor: Im Irak protestieren seit Anfang Oktober dieses Jahres landesweit Hunderttausende Menschen gegen die korrupten Eliten – der Staat und verschiedene Milizen begegnen den Demonstranten derweil mit großer Brutalität. Mehr als 300 Menschen sind bereits gestorben. Auch hier blockierte die Regierung immer wieder das Internet, um die Mobilisierung der Aktivisten zu stören. Im August dieses Jahres schaltete Indonesien das Internet in der Provinz Papua ab, während die Armee dort gewaltsam gegen Protestierende vorging. Und auch als im Iran Mitte November landesweit Demonstranten auf die Straße gingen, wurde das Internet eine Woche lang blockiert, sodass kaum Informationen nach außen drangen.
Kein Land schaltet aber so oft das Netz ab wie Indien. 68 Prozent der im vergangenen Jahr dokumentierten Shutdowns wurden dort angewiesen. Zu besonders vielen davon kommt es in der zwischen Pakistan und Indien umstrittenen Konfliktregion Jammu und Kaschmir. Dort treten indische Sicherheitskräfte bisweilen wie eine Besatzungsmacht auf.
Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres kam es in der Krisenregion bereits zu etwa 63 Shutdowns. Auch als die Regierung Narendra Modis den Autonomiestatus Kaschmirs Anfang August widerrief und heftige Unruhen befürchtet wurden, kam es erneut zu einem wochenlangen Blackout von Internet und Telefon. Zu den Kollateralschäden gehörte etwa, dass Apotheken keine neuen Medikamente bestellen konnten. Der ökonomische Schaden durch die Shutdowns soll sich laut dem Indian Council for Research on International Economic Relations allein in den Jahren von 2012 bis 2017 auf drei Milliarden Dollar belaufen.
Eine besondere Herausforderung stellen Fake News dar: So ordneten die indischen Behörden insbesondere im Nordosten mehrere Shutdowns an, weil in den sozialen Medien gestreute Gerüchte Panik schürten und zu Dutzenden Lynchmorden führten. Nicht selten stehen die Behörden vor einem schwierigen Balanceakt und müssen die Informationsfreiheit gegen die öffentliche Sicherheit abwägen. Kritiker beharren darauf, dass diese Maßnahmen so nicht zu rechtfertigen seien, und bezweifeln, dass sie überhaupt helfen.
Nicht immer wird das Internet aus politischen Gründen abgeschaltet: Algerien, Bangladesch, Irak, Indien und Syrien blockierten 2018 insgesamt elf Mal das Internet wegen Examensprüfungen – man wollte verhindern, dass Schüler spicken.
Hinweis: Der Text wurde im Vergleich zur Druckversion in Heft 15 aktualisiert und erweitert, um auf jüngere Entwicklungen eingehen zu können.
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Autor:innen
Ist seit 2019 Redakteur bei KATAPULT. Studierte Islamwissenschaft und Zeitgeschichte. Journalistische Schwerpunkte: Kriege und Konflikte, internationale Politik, Autoritarismus und Menschenrechte.