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Von der FDP bis zur Linkspartei waren sich ausnahmsweise mal alle einig: Deutschland braucht ein Lobbyregister. Es soll der Öffentlichkeit offenlegen, wann, wie oft und auch worüber Politiker mit Lobbyisten sprechen. Denn bislang erfährt die Bevölkerung von Einflussnahmen durch Wirtschaft und Verbände oft nur durch investigative Recherchen. Durch ein Lobbyregister wäre auch für Privatpersonen einsehbar, wer auf wen in welchem Bereich einwirkt. In Deutschland war ein solches allerdings bislang nicht verpflichtend. Bis zur Lobbyismus-Affäre um den CDU-Abgeordneten Philipp Amthor im Sommer 2020 hatten sich bereits alle Parteien bis auf CDU und CSU für die Einführung eines Registers ausgesprochen. Nach Amthor war auch die Union für ein solches Register. Die große Koalition stritt sich um die genaue Ausgestaltung gut ein halbes Jahr lang bis zur Einigung im März 2021. Die SPD hatte zuvor gefordert, dass sich jeder Lobbyist registrieren müsse, der auf ein Ministerium Einfluss nimmt – egal auf welcher Ebene, denn Lobbyisten können etwa auch über Referenten Einfluss nehmen. Die Union war lange gegen diesen Vorschlag. Nun einigten sich die Parteien auf den Kompromiss, dass bis zur Ebene eines Unterabteilungsleiters eine Registrierung erfolgen müsse. Der finale Gesetzentwurf steht mittlerweile. Damit ist er kurz davor, zum Gesetz zu werden.
Doch es gibt auch Kritik. Der Initiative Lobbycontrol, die über den Einfluss von Interessenverbänden aufklärt, geht der bisherige Vorschlag nicht weit genug. Alle Akteure eines Ministeriums sollten aus ihrer Sicht zur Registrierung verpflichtet sein, vom Minister über Staatssekretäre bis zur Abteilungs- und Referatsebene. Zweiter Kritikpunkt von Lobbycontrol: Der sogenannte exekutive Fußabdruck hat es als Zusatz nicht in den Kompromissvorschlag geschafft. Er sollte zeigen, wie Lobbyisten an Gesetzentwürfen mitarbeiten. Die Union war dagegen – und hat sich damit durchgesetzt. Der exekutive Fußabdruck ist nicht Teil der Regelung. Auch die Internetplattform Abgeordnetenwatch, die eine Brücke zwischen Bürgern und Abgeordneten schlagen will, hält den Vorschlag für unzureichend. Sie empfiehlt eine »Kontakttransparenz«. Lobbyisten müssten alle Kontakte zu Beschäftigten in Ministerien, Behörden und zu Bundestagsabgeordneten offenlegen und sich selbst im Register eintragen. Dass die Pflicht bei den Lobbyisten läge, würde zudem die Bürokratie entlasten. Diese Transparenz würde dafür sorgen, den Einfluss bestimmter Personengruppen für die Bürger einsehbar und nachvollziehbar zu machen.
Milchlobby stoppt Pfand
Obwohl laut Umfragen viele Bürger der Tätigkeit von Lobbyisten ablehnend gegenüberstehen, ist diese Form der Interessenvermittlungwichtig für die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Über die Kontakte zu Verbänden und Unternehmen erhalten Abgeordnete und Ministerien wichtige Kenntnisse, die in ihren Büros oder Stäben sonst oft fehlen würden. Häufig haben Ministerien auch zu wenig Zeit und Personal, um sich Spezialwissen anzueignen. Daher setzt die Bundesregierung mittlerweile verstärkt auf Forschungseinrichtungen und die Privatwirtschaft – also externe Experten. Beratungsunternehmen können so Einfluss auf das Regierungshandeln nehmen. Das Problem: Organisierte Gruppen – sprich: Lobbygruppen – nutzen Ressourcen, um die Politik im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen. Diese decken sich aber nicht immer mit den Interessen der Gesellschaft.
Ein konkretes Beispiel aus der Lebensmittelindustrie sind die teils widersprüchlichen Pfandregelungen. Seit Längerem diskutieren Politiker darüber, Pfand auf PET-Milchflaschen zu erheben. Doch der Verband der Milchindustrie gab zu bedenken, dass die Pfandautomaten durch Milchreste verkeimen könnten. Die Wirtschaftsverbände haben nach eigenen Angaben Experten des Bundesinstituts für Risikobewertung befragt, die ein Verkeimungsrisiko sehen. Nach Recherchen des Politmagazins Panorama ist das fragwürdig: Den Experten zufolge sei die Verkeimung „sehr unwahrscheinlich“. Dem Milchindustrieverband kam das gelegen, da demnach mindestens eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit für eine Verkeimung der Pfandautomaten bestehe. Was tun? Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner stimmte den vermeintlichen „hygienischen Bedenken“ der Milchindustrie zu. Die Pfandeinführung wurde damit von der Lobby gestoppt. Ein Beispiel unter vielen.
Wenn ein Tranzparenzregister keine Tranzparenz bringt
Europäisches Parlament und Europäische Kommission setzten 2011 ein Lobbyregister in Kraft. Das löste auf internationaler Ebene einen Nachahmungseffekt aus. In anderen Ländern dagegen waren es Skandale, die die Einführung eines Registers anstießen – etwa in Großbritannien, wo es seit 2015 ein Lobbyregister gibt. Dort scheint die Idee allerdings nicht besonders ausgereift zu sein, wie die Forschung belegt. Amy McKay von der Universität Exeter und Antal Wozniak von der Universität Liverpool untersuchten, wie wirksam das britische Register ist. Ihnen zufolge lasse es einen Großteil der Lobbyarbeit in London außer Acht. Die Namen und Ziele der Lobbyisten würden häufig nicht gemeldet. Die Diskussionsthemen bleiben unter Verschluss und die Ausgaben unterliegen keiner Begrenzung. Das Lobbyregister ist zwar öffentlich einsehbar, aber die Daten sind kaum zu gebrauchen. Etwas mehr als 72.000 Treffen zwischen Ministerien und Lobbyorganisationen wurden von Regierungsstellen gemeldet. Weniger als vier Prozent der dort genannten Gruppen stehen auch im Lobbyregister. Es erfasst lediglich die obersten Ebenen der Ministerien und des öffentlichen Dienstes, also Minister und Staatssekretäre.
In anderen Ländern sieht es ähnlich aus. Transparency International – eine Nichtregierungsorganisation, die sich für die Bekämpfung von Korruption einsetzt – bewertet in einer Studie die Lobbyregister Frankreichs, Sloweniens und Litauens. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Häufig bleibt die Qualität der offengelegten Information hinter den Erwartungen zurück. In Frankreich beispielsweise müssen alle registrierten Lobbyisten ihre Identität, Aktivitäten und Ausgaben angeben. Es zeigt sich jedoch, dass häufig mehrere Aktivitäten wie Treffen oder Veranstaltungen zusammengefasst werden, wenn sie sich auf dasselbe Thema beziehen. Das heißt, die Aktivitäten werden unterschiedlich bemessen. So können mehrere Lobbytreffen zu einem einzigen Eintrag im Register werden. Das Problem dabei: Ein einzelner Registereintrag fasst dann unter Umständen eine ganze Kampagne zusammen, deren einzelne Aktivitäten zudem Monate auseinanderliegen, obwohl in Wirklichkeit viele Lobbykontakte stattgefunden haben, die registriert werden müssten. Auch in Litauen und Slowenien gibt es Probleme in der Umsetzung eines solchen Registers. Hier liegt es an einer sehr engen Definition. Viele Lobbyisten werden gar nicht als solche erfasst. Weniger als zwei Prozent der bekanntgemachten Treffen der Jahre 2018 und 2019 fanden mit offiziell registrierten Lobbyisten statt. Das heißt, die meisten Organisationen machen ihre Aktivitäten nicht transparent.
Besonders effektiv sind die Transparenzregister in der Praxis also nicht. Was sollte ein Register alles enthalten? Transparency International zufolge müsse ein Transparenzregister die finanziellen Ausgaben, die beteiligten Lobbyisten und deren verfolgten Interessen enthalten. Das Register müsse auf einer weitgefassten Definition von Lobbying beruhen und für alle Akteure verpflichtend sein. Zugang zu und Einfluss auf die Politik müssten für alle verständlich sein – etwa über die Veröffentlichung von Treffen. Das Register sollte optimalerweise zudem einen Verhaltenskodex für Lobbyisten und Amtsträger enthalten. Ein zusätzliches Sanktionssystem einer unabhängigen Behörde würde von Verstößen abschrecken.
In Deutschland sind solche Sanktionen bei Verstößen vorgesehen. So müssen sich dem neuen Beschluss zufolge Lobbyisten künftig vor der Kontaktaufnahme in das Register eintragen, ansonsten droht ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro. Das Register wird online vom Bundestag geführt und erfordert zusätzlich die Offenlegung des Auftraggebers, der Anzahl der Beschäftigten und der aufgewendeten Ressourcen. Wann das Register eingeführt wird, ist noch unklar. „Denkbar wäre Anfang 2022“, schreibt der Deutschlandfunk auf seiner Website. Dass aber bis auf die Einigung über die Ministeriumsebene sowie das Scheitern des exekutiven Fußabdrucks der Gesetzentwurf vom September 2020 gleich bleibt, davon ist auszugehen. Nicht ausreichend, wendet Lobbycontrol ein. Die Organisation kritisiert weiterhin, dass Lobbyisten nicht dazu verpflichtet seien, genauere Angaben zu ihrer konkreten Lobbytätigkeit zu machen, und dass es Ausnahmen für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sowie religiöse Gruppen gibt.
Auch Andreas Polk von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin kritisiert die potenziellen Schlupflöcher des Entwurfs: So würden ungenaue Angaben zur konkreten Tätigkeit der Lobbyisten eher dazu einladen, etwa unter dem Label „Digitalisierung“ sehr unterschiedliche Inhalte zu zählen. Polk hält es für sinnvoll, die „Nennung des konkreten Gesetzgebungsvorhabens obligatorisch vorzuschreiben“. Außerdem bemängelt er die Definition von Lobbyismus: Der Entwurf sehe mitunter vor, dass etwa ein Unternehmer, der mit einem Abgeordneten für ein Gesetz in Kontakt kommt und die Zahl von 50 Kontakten in drei Monaten nicht überschreitet, von der Definition ausgeschlossen ist. Polk schlägt vor, die Definition solle grundsätzlich alle professionellen Interessenvertreter erfassen, die Kontakt zu Abgeordneten aufnehmen. Sinnvoll wäre es auch, dass das Register alle Personengruppen des jeweiligen Hauses einbeziehe, damit wirklich alle Kontakte zu Abgeordnetenbüros erfasst würden. Damit wären auch Kontakte zu wissenschaftlichem Personal von Abgeordneten gemeint.
Die Opposition, Foodwatch, Abgeordnetenwatch, Lobbycontrol und Stimmen aus der Wissenschaft sind sich einig: Der Gesetzentwurf und die Auseinandersetzung mit dem Thema sind Schritte hin zu mehr Transparenz. Klar ist aber auch: Es herrscht weiterhin Nachbesserungsbedarf.
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Seit 2020 Redakteur bei KATAPULT.