Artikel teilen
Im Durchschnitt isst jeder Deutsche etwa 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Das entspricht beispielsweise 57 Hühnern. Der Verband der Fleischwirtschaft hebt hervor, warum Fleischkonsum wichtig sei – Fleisch liefere hochwertige Nährstoffe. Er empfiehlt: »Daher sollte sowohl Rind- als auch Schweinefleisch fester Bestandteil einer ausgewogenen Ernährungsweise sein.« Stimmt das? Tatsächlich werden nur 18 Prozent des Kalorien- und 37 Prozent des Eiweißbedarfs durch den Konsum tierischer Lebensmittel gedeckt. Für deren Produktion hingegen werden 83 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen benötigt.
Angesichts der wachsenden Bevölkerung – bis zum Jahr 2050 werden circa 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben – und der drängenden Umweltprobleme ist klar: Fleischproduktion ist in ihrem heutigen Umfang nicht zukunftsfähig. Die Autoren einer Studie der internationalen Unternehmensberatung A.T. Kearney gehen davon aus, dass der Fleischmarkt global zwar weiter wachsen wird, alternative Proteinquellen und künstlich gezüchtetes Fleisch den Markt jedoch gleichzeitig verändern werden.
Im Jahr 2040 könnten, so prognostizieren sie, nur noch 40 Prozent aller Fleischprodukte von Tieren stammen – mit positiven Effekten für die Umwelt. Bereits heute ließen sich etwa doppelt so viele Menschen durch pflanzliche Lebensmittel ernähren, würden mit der Ernte nicht Tiere gefüttert. Anstatt die landwirtschaftlichen Produktionsmethoden zukünftig weiter zu optimieren und die Fleischerträge zu steigern, werden neue Nahrungsalternativen den Markt verändern. Die gängigsten bestehen schon heute aus Pflanzen oder Insekten.
Mehlwürmer als klimafreundliche Alternative zu Rindfleisch?
Essbare Insekten sind reich an Proteinen. Ihre Wachstums- und Futterumwandlungsrate ist extrem effizient. Sie produzieren weitaus weniger Treibhausgase, als bei der konventionellen Tierhaltung freigesetzt werden. Gleichzeitig brauchen sie weniger Wasser und Landfläche. Insekten sind einfach zu züchten und zu verarbeiten. Gegenüber Rind-, Schweine- oder Geflügelfleisch haben sie als Lebens- und Futtermittel also klare Vorteile.
Der Verzehr von Insekten, fachsprachlich Entomophagie genannt, ist in verschiedenen Regionen der Welt nichts Ungewöhnliches. Schätzungen zufolge essen mehr als zwei Milliarden Menschen regelmäßig Insekten, die meisten von ihnen leben in den tropischen und subtropischen Gebieten Lateinamerikas, Afrikas und Südostasiens. Im westlichen Kulturkreis ist diese Praxis hingegen noch eine Randerscheinung und häufig mit Ablehnung oder Ekel verbunden. In den letzten Jahren wuchs die Nachfrage nach essbaren Insekten jedoch. 2018 betrug ihr Marktwert weltweit schätzungsweise 406,3 Millionen US-Dollar. Bis 2023 wird ein Anstieg auf 1,2 Milliarden US-Dollar prognostiziert. Das wachsende Bewusstsein für eine nachhaltige Fleischproduktion steigert auch das Interesse an Insekten als Nahrungsmittel.
Die Lebensmittelindustrie bringt stetig neue Insektenprodukte auf den Markt. Riegel, Kekse oder Burger aus zermahlenen Insekten sind mittlerweile in Supermärkten erhältlich. Und das Angebot wächst weiter. Wenn die Tiere verarbeitet und als solche nicht mehr zu erkennen sind, scheint auch die psychologische Barriere überwunden. Die Hersteller vermarkten sie als gesundheitsförderndes »Superfood« oder als wertvolle Eiweißlieferanten für Sportler.
Fleischlobby: Einmal Mallorca entspricht zwei Jahren Fleischkonsum
Eine Studie der Universität Oxford hat die unterschiedlichen Ökobilanzen der Tier- und Milchproduktion untersucht. Dabei werteten die Autoren Joseph Poore und Thomas Nemecek einen Datensatz aus mehreren hundert Studien aus und griffen so auf Informationen von knapp 39.000 landwirtschaftlichen Betrieben in 119 Ländern zurück. Der Clou: Eine derart große und internationale Stichprobe legt die großen Schwankungen hinsichtlich der Ökobilanz bei der Nahrungsmittelherstellung offen. Faktoren wie Energie- und Wasserverbrauch oder Landbedarf und Treibhausgasemissionen variieren nicht nur von Produkt zu Produkt. Sie sind auch abhängig von den Produktionsbedingungen, dem Verarbeitungsort oder der Verpackung. Ein und dasselbe Nahrungsmittel kann also eine ganz unterschiedliche Ökobilanz aufweisen. Daher bezogen die Wissenschaftler die gesamte Produktionskette eines Lebensmittels in ihre Untersuchung mit ein – vom Anbau bis zum Verkauf im Laden.
Das Ergebnis der Studie: Selbst die nachhaltigste Erzeugung eines Tierprodukts ist in der Regel immer noch schädlicher und verbraucht mehr Ressourcen als der Anbau von pflanzlichen Ersatzstoffen – also Lebensmittel, die etwa dieselbe Menge Eiweiß enthalten wie Fleisch. Am nachhaltigsten wäre demnach eine vegane Ernährungsweise. Die beiden Autoren schlagen deshalb vor, den Konsum tierischer Produkte zumindest zu halbieren und die besonders umweltbelastenden Verfahren einzustellen. Ihre Aussage polarisiert. Gegenargumente kommen vonseiten der Fleischlobby. Anstatt die Ernährung umzustellen, sollte vielmehr im Bereich Energie und Mobilität gespart werden. Ihr Ratschlag lautet deshalb: »Um dasselbe Klimaziel wie beim Verzicht auf einen Mallorca-Urlaub zu bewirken, müsste man sich somit mindestens zwei Jahre lang vegetarisch ernähren.«
Imitiertes Fleisch blutet
Um konventionelles Fleisch zu ersetzen, gibt es mittlerweile unzählige Angebote. Branchenexperten nehmen jedoch an, dass klassische vegane und vegetarische Ersatzprodukte wie Tofu oder Seitan, genauso wie insektenbasierte Alternativen, langfristig nicht den Markt dominieren werden. Stattdessen soll auch der Durchschnittsverbraucher überzeugt werden, der den exakten Geschmack und die Textur von Fleisch verlangt, ohne dass dafür ein Tier gestorben ist. Auf dem Gebiet fleischloser Fleischimitate gelingen den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verschiedener Firmen regelmäßig Fortschritte. Innovationen kommen aus dem Silicon Valley – aber auch aus Israel und den Niederlanden.
Die Imitate nähern sich sensorisch immer weiter echtem Fleisch an. Startups in diesem Bereich, darunter »Impossible Foods«, »Just« und »Beyond Meat« wurden bis 2018 mit etwa 900 Millionen US-Dollar finanziell unterstützt. Von echtem Fleisch sind die pflanzlichen Alternativen kaum noch zu unterscheiden. Fleischfarbe und Blut können erfolgreich nachgeahmt werden. Die Basis der Beyond-Meat-Burger sind Erbsenproteine, Rote Bete sorgt für die Farbe.
In puncto Nachhaltigkeit bestätigt eine Studie der Universität Michigan die umweltfreundlichen Effekte der Beyond-Meat-Burger: 90 Prozent weniger Treibhausgasemissionen, 46 Prozent weniger Energieverbrauch und 93 Prozent weniger Flächenverbrauch als bei einem konventionell hergestellten Burger aus Rindfleisch. Der vegane Burger-Bratling löste in Deutschland einen regelrechten Hype aus. Der Discounter Lidl sicherte sich die Rechte und bot die Patties als Aktionsware im Einzelhandel an. Schon kurz nach dem Verkaufsstart waren die Bestände erschöpft. Weitere Supermärkte nehmen vegane Burger-Patties dauerhaft in ihr Sortiment auf. Das Unternehmen »Impossible Foods« verkauft seine Produkte in den USA an Burger King. Das Herzstück des veganen Burgers von McDonald’s ist ein Bratling der Nestlé-Marke Garden Gourmet.
Je grüner das Essen, desto grüner sein Konsument?
Die großen deutschen Wursthersteller setzen auf ihre zunehmend sensibilisierten Kunden, die zumindest teilweise auf Fleisch verzichten möchten. Mit ihrer Zahl steigt auch das Interesse an vegetarischen Fleischalternativen. Ende 2014 begann beispielsweise Rügenwalder als erster deutscher Fleischhersteller mit der Produktion fleischloser Alternativen. Heute gibt es auf dem Lebensmittelmarkt bereits mehr Veggie- als Fleischprodukte. Um die bisherigen Fleischkonsumenten nicht als Kunden zu verlieren, bieten Hersteller für konventionelle Fleischprodukte vegetarische Entsprechungen an.
Dabei ist fraglich, wie stark sich der Faktor Nachhaltigkeit auf das konkrete Konsumverhalten auswirkt. Florian Fiebelkorn, Lehrstuhlinhaber für Biodidaktik an der Universität Osnabrück, fragte 500 Konsumenten – darunter 40 Vegetarier -, für wie klimaschädlich sie eine bestimmte Mahlzeit hielten. Zur Auswahl standen unter anderem Gerichte mit Fleisch-, Insekten- oder vegetarischem Burger. Ergebnis: Der Fleischburger wurde intuitiv als umweltbelastender eingestuft als Veggie- oder Insektenburger – ohne tatsächliche Kenntnis der klimatischen Auswirkungen der Produktion der beiden Burgervarianten. Gleichwohl wurde die negative Wirkung der Fleischproduktion insgesamt jedoch unterschätzt.
In einer weiteren Untersuchung fand Fiebelkorn heraus, dass Ekel vor Insekten der häufigste Grund ist, Mehlwürmer oder Insektenburger nicht zu probieren. Der Grad der Verarbeitung spielt dabei eine entscheidende Rolle: Während 41,9 Prozent der Probanden bereit waren, den Insektenpatty zu verkosten, wollten nur 15,9 Prozent gefriergetrocknete Büffelwürmer essen – obwohl sie die Hauptzutat des Patties sind. Entgegen den Erwartungen des Forschers wirkte sich das Nachhaltigkeitsbewusstsein der Tester kaum auf die Bereitschaft aus, Insekten zu probieren.
Fleisch ohne Tier
Betrachtet man die Fortschritte in der Biotechnologiebranche, könnte die Zukunft der Ernährung auch woanders liegen – nämlich in künstlich hergestelltem Laborfleisch, auch als »In-vitro-Fleisch« oder »clean meat« bezeichnet. Verschiedene Firmen haben es geschafft, aus tierischen Stammzellen Muskelgewebe zu züchten. 2013 präsentierte der niederländische Wissenschaftler Mark Post die erste Frikadelle aus künstlich gezüchtetem Rindfleisch. Über die Zielgruppe sagte Post in einem Interview mit der Organisation Proveg International: »Für den vegetarisch-veganen Markt ist kultiviertes Fleisch nicht vorgesehen. Es ist nicht unsere Intention, Menschen, die sich vegetarisch beziehungsweise vegan ernähren, dazu zu bringen, kultiviertes Fleisch zu essen. Das wäre exakt das Gegenteil von dem, was wir zu erreichen versuchen: Die zahlreichen negativen Aspekte der konventionellen Fleischproduktion abzuschaffen.«
Noch stellt die extrem aufwendige und kostenintensive Herstellung ein Problem dar: 250.000 Euro kostete der künstliche Hamburger bei seiner ersten Vorstellung. Seitdem sind die Preise gefallen und der Wettbewerb wächst. Weitere Firmen wie Memphis Meats aus Kalifornien oder das israelische Start-up SuperMeat arbeiten daran, ihre Produkte in wenigen Jahren massentauglich anbieten zu können.
Sowohl Laborfleisch als auch Fleischimitate haben großes Potential, konventionelles Fleisch dauerhaft zu ersetzen. Experten gehen davon aus, dass sich langfristig aber vor allem die künstlich gezüchtete Alternative durchsetzen wird, sobald sie in großen Mengen günstiger produziert werden kann.
Verzehr von rotem Fleisch und Zucker müsste etwa halbiert werden, um ausgeglichene CO2-Bilanz zu erhalten
Der Lehrstuhl »Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte« der Universität Göttingen hat 2016 im Auftrag des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen eine Studie durchgeführt, in der Käufer gefragt wurden, wie wichtig ihnen Tierschutz sei. 80 Prozent der 1.024 Befragten waren bereit, durchschnittlich 30 Prozent mehr für Tierschutz zu bezahlen. Insgesamt belegt die Untersuchung, dass Kunden mit niedrigem und hohem Einkommen weniger Fleisch essen als Angehörige der mittleren Einkommensschicht. Eine geringe Orientierung an Sonderangeboten und ein ausgeprägtes Tierschutzbewusstsein korrelieren miteinander. Nur 22,3 Prozent der Befragten glauben, dass ein einzelner Verbraucher nichts am Tierschutz verändern könne. Dennoch gehen 80,5 Prozent davon aus, dass die meisten anderen Verbraucher letztlich doch günstige Produkte kaufen und nicht im Sinne des Tierwohls handeln.
Die zunehmende Reflexion des eigenen Fleischkonsums von Verbrauchern sorgt für ein Umdenken der Unternehmen. Sie erweitern ihre Produktpalette oder stellen ihr Angebot um. Auf vegetarische Wurst zurückzugreifen, bedeutet jedoch nicht automatisch, sich nachhaltig zu ernähren. Die sogenannte EAT-Lancet-Kommission hat im Januar 2019 das Ergebnis ihrer langjährigen Forschungen veröffentlicht: die »Planetary Health Diet«, ein Speiseplan, der die menschliche Gesundheit und den Planeten schützen soll. Hinter der Initiative stehen 37 Wissenschaftler aus 16 Ländern, darunter Klimaforscher und Ernährungsexperten. Mit der richtigen Ernährung sei es demnach möglich, bis 2050 etwa 10 Milliarden Menschen gesund zu ernähren, ohne den Planeten zu zerstören.
Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Nüsse müssten ungefähr doppelt so viel verzehrt werden wie heute; der Verzehr von rotem Fleisch und Zucker müsse etwa halbiert werden. Der Ernährungsplan ist als Handlungsempfehlung zu verstehen. Er könne flexibel gestaltet werden, sodass sowohl kulturelle Traditionen als auch individuelle Vorlieben mit ihm vereinbar seien, erklärt die Kommission. Neben dem Schutz des Planeten bietet der Speiseplan eine Orientierung für eine gesündere Ernährung. Für das Ziel, gleichzeitig gesund und nachhaltig zu essen, kann die Planetary Health Diet als Handlungsrahmen für Verbraucher, Landwirtschaft, Wirtschaft und Politik dienen. Die Wissenschaft macht deutlich: Ein Wettlauf um das beste Imitat kann nicht das Ziel sein – Fleischverzicht schon.
Dieser Text erschien in der 15. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.
Autor:innen
Ehemalige Redakteurin bei KATAPULT. Sie ist Historikerin und schreibt vor allem über soziale und gesellschaftspolitische Themen.
Geboren 1988 und seit 2019 in der Redaktion bei KATAPULT und KNICKER. Sie hat Kunstgeschichte und Geschichte, mit Schwerpunkt auf den Ostseeraum, in Greifswald studiert.