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Studie: Simas, Elizabeth; Scott Clifford; Justin Kirkland: How Empathic Concern Fuels Political Polarization, in: American Political Science Review (Oktober 2019).
Viele liberale Demokratien erleben gegenwärtig ein hohes Maß an politischer Polarisierung. Besonders heftig ist es in den Vereinigten Staaten: Viele Konservative können den Anblick eines Demokraten kaum noch ertragen und andersherum ist es auch nicht besser. Eine Umfrage aus dem Wahljahr 2016 zeigte: Die Hälfte aller Republikaner und Demokraten haben Angst vor der jeweils anderen Partei. Beide Fraktionen sind sich sicher: Die von der anderen Seite zerstören Amerika.
Wie kann eine solche Gesellschaft heilen? Oft lautet die Diagnose, dass es den Menschen an Empathie mangele. Auch Ex-Präsident Barack Obama beklagte dies. Elizabeth Simas und Scott Clifford von der Universität Houston und Justin Kirkland von der Universität von Virginia widersprechen: „Polarisierung ist nicht die Folge mangelnder Empathie, sondern ein Produkt der voreingenommenen Art und Weise, wie wir Empathie erleben.“
Die Wissenschaftler widmeten sich der emotionalen Empathie. Diese beschreibt vor allem die Fähigkeit, die Gefühle anderer nachempfinden zu können. Sie ist nicht zu verwechseln mit der kognitiven Empathie, bei der es darum geht, das Verhalten anderer verstehen und voraussagen zu können.
Je empathischer, desto feindseliger?
Die Studie der Forscher besteht aus zwei Teilen. Der erste basiert auf einer landesweiten repräsentativen Umfrage von Menschen, die einen kurzen Test zu ihrer emotionalen Empathiefähigkeit machen und Fragen zu ihrer politischen Einstellung beantworten mussten. Die Daten zeigen: Je empathischer eine Person ist, desto eher war sie voreingenommen gegenüber ihrer eigenen politischen Gruppe – und zeigte eher Feindseligkeit gegenüber der gegnerischen Gruppe.
Für den zweiten Teil der Studie testeten die Autoren mehr als 1.000 Studenten der Universität Houston. Auch sie mussten zuerst Fragen zu ihrer Empathiefähigkeit beantworten. Dann erhielten sie zwei Versionen eines Zeitungsartikels, der beschrieb, wie Studenten gegen den Auftritt eines kontroversen Redners demonstrierten. Dabei wurde ein Student, der den Vortrag anhören wollte, von einem der Protestierenden geschlagen. In beiden Artikeln war die Demo erfolgreich und die Rede musste abgesagt werden. Der Unterschied zwischen beiden Fassungen: Einmal handelt die Geschichte von Republikanern, die gegen den Vortrag eines Demokraten demonstrieren. In der anderen Version waren die Parteizugehörigkeiten vertauscht.
Je empathischer die Studenten waren, desto eher unterstützten sie ein Auftrittsverbot für den Redner, wenn dieser der gegnerischen Partei angehörte. Doch nicht nur das: Die empathischeren Studenten empfanden sogar eher Schadenfreude, wenn der niedergeschlagene Studenten der gegnerischen Partei angehörte.
Kurzum: Die Empathie der Befragten galt immer nur der eigenen Gruppe – und deshalb reagierten sie besonders negativ auf Menschen, die sie als Bedrohung für ihre eigenen Leute ansahen. Ist Mitgefühl also eine destruktive Angelegenheit? Die empathischeren Befragten waren andererseits eher dazu bereit, Kontakt mit Angehörigen der Gegenseite zu unterhalten. Warum das so ist, bleibt jedoch offen. Die Autoren der Studie sind pessimistisch und geben zu bedenken, dass es den fraglichen Personen auch nur darum gehen könnte, den Gegner zu bekehren.
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