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Wüstenheuschrecken fressen einfach alles. Wo sie aufkreuzen, sind Bäume und Felder innerhalb weniger Minuten kahl gefressen. Ein ein Quadratkilometer großer Schwarm mit 40 bis 80 Millionen Tieren vertilgt täglich so viel wie 35.000 Menschen. Letzteren bleibt deswegen außer dürftigen Reserven nichts. Viele Schwärme sind allerdings um einiges größer: In Kenia wurde im Januar ein Schwarm von 60 Kilometern Länge und 40 Kilometern Breite beobachtet.
Von der Heuschreckenplage aktuell besonders betroffen sind Äthiopien, Kenia, Iran, Somalia, Pakistan und Indien. Die riesigen Schwärme haben sich in der fast menschenleeren Wüste Rub al-Chali, die das südliche Drittel der Arabischen Halbinsel bedeckt, gebildet. Zwei Zyklone brachten Regen in die Sandwüste. Perfekte Bedingungen für die Tiere: Im feuchten Sand wuchs die Zahl der Wanderheuschrecken innerhalb von neun Monaten um das 8.000-Fache. Sie vermehrten sich exponentiell und zogen dann zur gemeinsamen Nahrungssuche los.
Von der Wüste aus erreichten Heuschreckenschwärme im Winter 2018 den Jemen, wo der Bürgerkrieg die Bekämpfung der Insekten unmöglich machte. Die Schwärme flogen weiter in den Iran, von da aus weiter nach Pakistan und Indien. Kurze Zeit später landeten die ersten in Äthiopien, Eritrea und Somalia, wo im Sommer 2019 so viel Regen fiel, dass die Heuschrecken Eier legten und sich erneut schnell vermehrten. Der Ablauf wiederholte sich: Seit März sind die ostafrikanischen Staaten von ungewöhnlich starken Regenfällen und Überschwemmungen betroffen. Knapp 500.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, Erdrutsche zerstörten Siedlungen und Infrastruktur. Was für rund 1,3 Millionen Menschen eine enorme Bedrohung bedeutet, sind für die Heuschrecken ideale Bedingungen, um sich erneut fortzupflanzen.
»Pandemien und Heuschrecken kennen keine Grenzen«
Im Juni 2020 waren zwölf Länder und insgesamt 320.832 Hektar Land von der Plage betroffen - eine Fläche fast so groß wie Norwegen. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gibt es in allen betroffenen Regionen eine schwere Lebensmittelknappheit. Davon sind zusammen 42 Millionen Menschen betroffen. Viele Ernten sind verloren, Weideflächen zerstört. Es sind deutlich weniger Lebensmittel verfügbar, dadurch steigen die Preise. Laut Welthunger-Index 2019 war die Versorgungslage in den ostafrikanischen Ländern sowie in Pakistan und Indien schon zuvor ernst. Indikatoren dafür sind unter anderem ein hoher Anteil Unterernährter an der Gesamtbevölkerung und hohe Kindersterblichkeit. In Kenia beispielsweise waren zwischen 2016 und 2018 rund 30 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Rund fünf Prozent betrug dort im Jahr 2017 die Kindersterblichkeitsrate.
Das Corona-Virus erfordert nun vor allem finanzielle Hilfe für die von der Heuschreckenplage betroffenen Länder. “Pandemien und Heuschrecken kennen keine Grenzen”, sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe Marlehn Thieme Anfang Juli. Internationale Solidarität sei in dieser Situation wichtiger denn je. Viele Menschen haben ihre Jobs verloren und kein Geld, um sich und ihre Familien zu ernähren. Der Unterricht in den Schulen fällt aus. Normalerweise erhielten Kinder dort zumindest noch ein Mittagessen. Die FAO sammelte in den letzten Wochen bereits 312 Millionen US-Dollar Spenden, um die Plage zu bekämpfen. Mitte Mai stellte die Weltbank den betroffenen, ohnehin schon armen Ländern günstige Kredite in Höhe von 500 Millionen US-Dollar bereit. Um die Auswirkungen der Pandemie zu überstehen, erließ der Internationale Währungsfond Mitte April außerdem 25 Entwicklungsländern einen Teil ihrer Schulden. Darunter waren auch Afghanistan und der Jemen. Kenia und Äthiopien erhielten zusätzlich Darlehen. Mit dem Geld sollen beispielsweise soziale Sicherungssysteme finanziert werden.
Wenig Wissen beim Heuschreckentöten
Das Geld wird auch gebraucht, um die Insektenschwärme am Boden und aus der Luft mit Pestiziden zu reduzieren. Ziel ist vor allem, Brutstätten aufzuspüren und die Heuschrecken zu töten, bevor sie flugfähig werden und neue Schwärme bilden. In Äthiopien, Kenia und Somalia sind fünf Flugzeuge und acht Helikopter im Einsatz. Dort wurden von Januar bis Mitte Mai 2020 schon fast 400.000 Hektar Land mit Pestiziden besprüht. Das verhindert jedoch nicht, dass in den nächsten Wochen weitere Heuschrecken-Generationen schlüpfen. Viele Regionen kommen mit der Schädlingsbekämpfung nicht hinterher. In Kenia beispielsweise fehlte zunächst das nötige Wissen, was zu tun ist. In den letzten 70 Jahren war das Land von keiner derart großen Plage betroffen. Es wird also darauf ankommen, die Bekämpfung der Plage schnellstmöglich auf alle betroffenen Gebiete auszuweiten, um eine Hungerkatastrophe zu verhindern.
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Autor:innen
Ehemalige Redakteurin bei KATAPULT. Sie ist Historikerin und schreibt vor allem über soziale und gesellschaftspolitische Themen.