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Digitalisierung

Roboter übernehmen die Demokratie

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Zwar gibt es immer noch berechtigte Erwartungen, dass Web-2.0-Plattformen für mehr Transparenz und mehr Bürgerbeteiligung und damit auch für mehr Demokratie genutzt werden können. Doch haben solche Maßnahmen jedenfalls bis jetzt nur eine begrenzte Wirkung.

Je stärker die Privatheit unter der Digitalisierung leidet, desto gefährdeter ist auch die Demokratie. Das folgt schon daraus, dass Demokratien auf Pluralität, also auf offenen und pluralen Gesellschaften aufbauen und dass deren Grundlage die Privatsphäre der Bürger ist. Denn private Lebensverhältnisse und private Beziehungen ermöglichen erst jene Vielfalt und jene Differenzierungen, die Voraussetzung und Gegenstand unserer Demokratie sind.

Wer wie Google und Facebook, wie die NSA und die mit ihr verbündeten Sicherheitsdienste durch exzessives Data-Mining die Privatsphäre der Menschen bedroht, gefährdet auch die Demokratie. Post-Privacy ist deshalb auch immer Post-Democracy – ohne Privatheit keine Demokratie.

Unsere Lebenswirklichkeit wird mittlerweile stärker von Software und Algorithmen bestimmt als von Gesetzen. An die Stelle von legislativer Transparenz und demokratischer Legitimation sind anonyme Softwareentwickler und intransparente Algorithmen getreten

Aber nicht allein der digitale Datenkapitalismus stellt eine Gefahr für die Demokratie dar, die digitalen Großunternehmen sind es auch. Sie sind es wegen der außerordentlichen Machtfülle, die ihnen in den zurückliegenden Jahren zugewachsen ist. Ihre gigantische Wirtschaftsmacht und ihre immer noch wachsende Marktmacht versetzen sie in die Lage, staatliche Regeln zu ignorieren und mögliche Geldbußen aus der Portokasse zu zahlen. Hinzu kommt ihre Regulierungsmacht, die sich in dem von Lawrence Lessig geprägten Grundsatz »code is law« (Der Code ist das Gesetz) widerspiegelt. Er verdeutlicht, dass unsere Lebenswirklichkeit mittlerweile stärker von Software und Algorithmen bestimmt wird als von Gesetzen, mit der fatalen Folge, dass an die Stelle von legislativer Transparenz und demokratischer Legitimation anonyme Softwareentwickler und intransparente Algorithmen getreten sind.

Mit der Regulierungsmacht geht eine Manipulationsmacht einher, die auch bei politischen Entscheidungsprozessen, insbesondere bei Wahlen, zum Tragen kommen kann. Google, Facebook und Co. können – wie die amerikanische Internetforscherin Kate Crawford feststellte – »auch eine politische Wahl drehen«, sie letztlich manipulieren. Der »Spiegel« berichtete im Mai 2016 darüber und über den »Suchmaschinen-Manipulierungseffekt«, von dem in der Wissenschaft die Rede ist. Auch wenn Facebook-Chef Mark Zuckerberg und Google-Gründer Larry Page jede Manipulierungsabsicht weit von sich weisen, verfügen sie doch über die technischen Möglichkeiten dazu und haben dies in Einzelfällen auch schon unter Beweis gestellt.

Die Demokratie ist eine veraltete Technologie; wir werden sie durch eine neue ersetzen

Von diesem Punkt aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu jenem Projekt, das Peter Thiel, einer der Großfürsten des digitalen Zeitalters, mit einem einzigen Satz umschrieben hat: »Die Demokratie ist eine veraltete Technologie; wir werden sie durch eine neue ersetzen.« Es ist dies die Vision eines technologischen Totalitarismus. Warum sich – so die dahinter stehende Logik – auf Gesetze verlassen, wenn man doch Abermillionen Sensoren und immer intelligenter werdende Algorithmen hat? Warum demokratische Willensbildung organisieren, wenn die digitalen Lösungen ohnehin auf der Hand liegen? Diese Vision mag abenteuerlich klingen, aber sie ist nicht ganz neu und stammt von einem Meinungsbildner und Vordenker des Silicon Valley, der auch über politischen Einfluss verfügt, wie sein Auftritt auf dem Nominierungsparteitag von Donald Trump zeigt.

Eine einfache Lösung, die niemand will

Während Peter Thiel und seine digitalen Kompagnons für ihre Visionen werben, bemühen sich unsere politischen Parteien darum, die sozialen Medien bei den anstehenden Wahlkämpfen sachgerecht einzusetzen. Zumindest die etablierten Parteien tun sich schwer damit, was nicht nur mit der wenig netzaffinen Altersstruktur ihrer Mitglieder zusammenhängt, sondern auch mit dem Bewusstsein, sich auf ein riskantes, ja gefährliches Spiel einzulassen. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 15. November 2016 ist ihnen dies noch einmal mit knappen Worten vor Augen geführt worden: »Wir füttern also die Bestie, die unsere Demokratie zerstört.« Was damit gemeint ist, liegt auf der Hand. Weil Bürger, Medien und Politiker Facebook und Google so exzessiv nutzen, haben diese erst eine so übermächtige Stellung erlangt, dass sie sogar eine Bedrohung für unsere Demokratie darstellen.

In diesem Kontext spielen zunehmend auch sogenannte Social Bots eine Rolle, also intelligente Roboterprogramme, die vorgeben, reale, menschliche Nutzer zu sein und zu Tausenden selbständig und unerkannt im Netz unterwegs sind. Sie verbreiten Nachrichten, verunglimpfen die Meinungen anderer und nehmen am politischen Meinungskampf teil, auch dadurch, dass sie gezielt Beiträge liken oder retweeten, um so Debatten zu beeinflussen, Trends zu setzen und politische Stimmung zu machen. Das geschieht auch deshalb immer erfolgreicher, weil Botnetze beispielsweise aus Tausenden von Twitter-Profilen bestehen können, die in der Lage sind, 100.000 Tweets am Tag zu verbreiten.

Bis zu 20 Prozent aller Twitter-Accounts werden der Neuen Zürcher Zeitung zufolge sozialen Bots zugeordnet

Schätzungen gehen von 100 Millionen Fake-Accounts auf den großen Plattformen aus. Bis zu 20 Prozent aller Twitter-Accounts werden der Neuen Zürcher Zeitung zufolge sozialen Bots zugeordnet. Prognosen gehen von weiter ansteigenden Zahlen aus und die Roboterprogramme werden immer intelligenter. Die damit einhergehende Manipulationsmacht ist so groß, dass sie die Integrität sozialer Medien grundsätzlich infrage stellt, zumal es diesen nicht gelingt, das Botaufkommen transparent zu machen und einzugrenzen.

Flankiert werden die Botnetze durch regelrechte Trollarmeen, hinter denen reale Menschen stehen, die im Sinne und auf Rechnung ihrer Auftraggeber – das können Regierungen oder private Unternehmen sein – Stimmungen im In- und Ausland beeinflussen, tendenziöse Kommentare oder Hassbotschaften schreiben. Wissenschaftler und etablierte Medien befürchten, dass Social Bots und Trolle dabei sind, die Macht im Internet zu übernehmen und für »ihre« Zwecke zu nutzen. Die damit verbundene Gefahr für die demokratische Willensbildung wird durch selektive Algorithmen wie Googles personalisierte Suchfunktion und Facebooks »EdgeRank«-Algorithmen noch verstärkt. Sie führen dazu, dass im Netz zunehmend nur noch das eigene Weltbild gespiegelt wird, aber keine Konfrontation mehr mit Gegenmeinungen stattfindet. Die Rede ist von sogenannten Filter Bubbles oder »Filterblasen«, die zuweilen auch als Echokammern bezeichnet werden, weil in solchen Kammern das besonders laut widerhallt, was den eigenen Meinungen, Einstellungen und Vorurteilen entspricht. Es liegt auf der Hand, dass solche selektiven Algorithmen Gift für die politische Willensbildung sind, da sie jeden demokratischen Diskurs blockieren; schlimmer noch: Sie fördern die Extreme und damit die gesellschaftliche Polarisierung und die gesellschaftliche Spaltung.

Im Ergebnis gibt es keine Zweifel daran, dass die disruptiven Kräfte der Digitalisierung die eingangs mit Blick auf die Privatsphäre, die Wirtschaft und die Medien thematisiert wurden, auch vor der Demokratie keinen Halt machen. Die Erosion der Privatsphäre, die totalitäre Macht der Internetkonzerne und die Gefahr eines technologischen Totalitarismus bedrohen die Demokratie, genauso wie Botnetze, Trollarmeen und selektive Algorithmen die politische Willensbildung untergraben.

Dies ließe sich ändern, wenn wir unser digitales Kommunikationsverhalten überdenken und der Staat die bestehenden digitalen Strukturen modifizieren würde. Weder das eine noch das andere ist aber zu erwarten. Die Mehrheit der Bürger wird die Nutzung sozialer Netzwerke nicht einschränken und auch nicht spontan die Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen suchen. Der Staat wiederum wird weder die Macht der Internetkonzerne einschränken, auch nicht durch konsequente Datenschutzregeln, noch öffentlich-rechtliche Netzwerke etablieren oder fördern, ein Vorschlag, der seit den Enthüllungen Edward Snowdens im Raum steht.

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Autor:innen

Jurist und von 2007 bis 2013 Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Rheinland-Pfalz

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