Schwangerschaftsabbruch
Wer abtreiben will, macht es auch illegal

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In Deutschland haben sich 2019 offiziell 100.893 Frauen für eine Abtreibung entschieden, das sind 126,4 SchwangerschaftsabbrĂŒche auf 1.000 Geburten. Ungewollte Schwangerschaften kommen ĂŒberall vor, unabhĂ€ngig vom Land, dem sozialen Status und davon, ob es legal ist, abzutreiben. Seit Jahren fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit ein Recht auf Abtreibung. In einigen LĂ€ndern sind derzeit jedoch gegenlĂ€ufige Entwicklungen zu beobachten: Mit Amy Coney Barrett wurde im Jahr 2020 eine entschiedene Abtreibungsgegnerin an das höchste Gericht der USA berufen. Polen hat bereits eines der striktesten Abtreibungsgesetze in Europa und versucht 2020 das Gesetz noch einmal zu verschĂ€rfen. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS will Abtreibungen auch bei starken Fehlbildungen des Fötus verbieten. Die EU-Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatovic nennt dieses Vorgehen eine Verletzung der Menschenrechte. Das katholisch geprĂ€gte Land argumentiert - wie viele andere Staaten -, dass mit strengeren Gesetzen gegen Schwangerschaftsabbrüche das ungeborene Leben geschützt werden kann.

Verbote Ă€ndern aber wenig daran, dass Frauen in Konfliktsituationen abtreiben. Nur tun sie es dann eben heimlich und unter viel schlechteren medizinischen Bedingungen. Diesen Zusammenhang untersuchte ein britisches Forschungsteam in einer Langzeitstudie mit Daten von 1990 bis 2019. Die Vermutung: Ein begrenzter Zugang zu VerhĂŒtungsmitteln verursacht mehr ungewollte Schwangerschaften. Wenn die Möglichkeit eines Abbruchs begrenzt ist, fĂŒhrt das wiederum zu unsicheren Abtreibungen. Zur ĂberprĂŒfung ihrer These wertete das Forschungsteam Zahlen von Abtreibungen, ungewollten Schwangerschaften und den Bedarf an VerhĂŒtungsmitteln von 166 LĂ€ndern aus. AuĂerdem interessierte sie, welche Rolle das Einkommen bei SchwangerschaftsabbrĂŒchen spielt und wie die jeweilige Gesetzeslage die Zahl der Abtreibungen beeinflusst.



Die Ergebnisse: Von 2015 bis 2019 gab es jĂ€hrlich etwa 121 Millionen ungewollte Schwangerschaften. Dabei zeigte sich, dass deren Anzahl negativ mit dem Einkommen zusammenhing. Das bedeutet, je niedriger das Einkommen, desto mehr ungewollte Schwangerschaften. Das Forschungsteam fand heraus, dass etwa die HĂ€lfte aller ungewollten Schwangerschaften mit einer Abtreibung endet - unabhĂ€ngig vom untersuchten Land und ob AbbrĂŒche dort legal waren oder nicht. So wiesen Länder mit hohem Einkommen und legalen Abtreibungsmöglichkeiten etwa die gleiche Abtreibungsrate auf wie Länder mit niedrigem Einkommen und Abtreibungsverboten. Untersucht werden konnten nur die gemeldeten AbbrĂŒche. Die Weltgesundheitsorganisation schĂ€tzt aber, dass in LĂ€ndern mit Abtreibungsverboten deutlich mehr unsichere AbbrĂŒche durchgefĂŒhrt werden als in Staaten, in denen sie legal sind.
Einige Frauen sehen sich unabhĂ€ngig von gesetzlichen EinschrĂ€nkungen zu einer Abtreibung gezwungen, beispielsweise wenn bei einer Schwangerschaft lebensgefĂ€hrliche Komplikationen auftreten, oder wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist. DafĂŒr gehen sie zum Teil auch rechtliche und medizinische Risiken ein. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die gesellschaftliche RealitĂ€t keine rechtliche BerĂŒcksichtigung findet. Wenn ein Land wie Polen die Abtreibungsgesetze verschĂ€rft, fĂŒhrt das nicht zu einem RĂŒckgang der SchwangerschaftsabbrĂŒche, sondern dazu, dass Grundrechte der Frau missachtet werden. 1994 stimmten 179 Staaten dem Kairoer Aktionsprogramm zu, das das Recht auf sexuelle und sogenannte reproduktive Gesundheit festsetzt. Menschen sollen selbst ĂŒber die Anzahl und den Abstand von Geburten entscheiden dĂŒrfen. Dass das insbesondere Frauen betrifft, wurde ein Jahr später auf der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking hervorgehoben.
6.000 Euro Strafe, wer über Abtreibungen informieren will
Doch auch in Deutschland wird dieses Recht nur bedingt umgesetzt. Das kritisierte zumindest der UN-Frauenrechtsausschuss 2017. In Paragraf 218 des deutschen Strafgesetzbuchs (StGB) heiĂt es: “Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.” Eine Abtreibung bleibt sowohl fĂŒr die Schwangere als auch fĂŒr die durchfĂŒhrende Klinik nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Dazu gehört, dass die Frau sich beraten lĂ€sst, eine âBedenkzeitâ von drei Tagen einhält und den Abbruch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vornimmt. AuĂerdem wird die aktuelle und zukĂŒnftige Situation der Schwangeren eingeschĂ€tzt. Nur wenn eine akute Gefahr fĂŒr den seelischen oder körperlichen Zustand der Frau besteht und diese nicht durch andere MaĂnahmen - zum Beispiel eine Adoption des Kindes - abgewendet werden kann, ist ein Abbruch erlaubt. Unter anderem in Schweden und den Niederlanden ist Abtreibung ein Recht der Frau und keine Straftat.

Frauen, die in Deutschland abtreiben wollen, werden also vor allem vor HĂŒrden gestellt. Um einen Abbruch vornehmen lassen zu dĂŒrfen, mĂŒssen sie zunĂ€chst eine Beratungsstelle aufsuchen. Diese können Frauen auch bei der Suche nach einer Praxis helfen, ĂŒber die Art der Abtreibung informieren oder die Schwangere bei der Organisation des Abbruchs unterstĂŒtzen. Das Problem: Den Beratungsstellen liegen auch nicht immer alle Informationen der einzelnen Kliniken vor. Pro Familia, ein Verein fĂŒr Familienplanung, SexualpĂ€dagogik und Sexualberatung, fordert deshalb: Die Praxen mĂŒssen diese Informationen, die fĂŒr die Entscheidung der Patientin so wichtig sind, auf ihrer eigenen Homepage veröffentlichen dürfen.
Dass kaum Informationen darĂŒber bereitgestellt werden, wo Abtreibungen ĂŒberhaupt möglich sind, liegt am Zusatzparagrafen 219a StGB, der Werbung fĂŒr SchwangerschaftsabbrĂŒche verbietet. Was als Werbung gilt, darĂŒber wird im Einzelfall entschieden. Ărztinnen und Ărzte, die auf ihrer Internetseite Informationen herausgeben, machen sich so aber fĂŒr Abtreibungsgegner angreifbar und unter UmstĂ€nden sogar strafbar. Dieses Risiko gehen viele nicht ein. Menschen, die Abtreibungen kritisch gegenĂŒberstehen, wollen vor allem das ungeborene Leben schĂŒtzen. Der Schutz auf Leben steht im Grundgesetz nĂ€mlich auch Ungeborenen zu. Jedoch schlieĂt das Abtreibungen nicht grundsĂ€tzlich aus, denn Deutschland erkennt an, dass Schwangerschaften einen schwerwiegenden Konflikt auslösen können. Die aktuellen Gesetze sorgen jedoch dafĂŒr, dass sowohl Frauen als auch Praxen kriminalisiert werden können.
Kommt es zur Strafverfolgung aufgrund des VerstoĂes gegen das Werbeverbot, mĂŒssen Ărztinnen und Ărzte mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe rechnen. So wie die Ărztin Kristina HĂ€nel, die 2017 zu einer Zahlung von 6.000 Euro verurteilt wurde. Ihr Fall wurde bekannt, weil sie sich öffentlichkeitswirksam gegen das Urteil wehrte. Sie löste damit eine Debatte aus, in deren Folge das Werbeverbot 2019 durch einen vierten Absatz im Paragraphen eingeschränkt wurde. Seitdem dĂŒrfen Kliniken sowie Ărztinnen und Ărzte auf ihrer Internetseite angeben, wenn sie AbbrĂŒche durchfĂŒhren. ZusĂ€tzlich gibt es eine zentrale Liste der BundesĂ€rztekammer, die über die Orte und die Art der Schwangerschaftsabbrüche informieren soll. Hier können Frauen Kliniken finden und auch erfahren, ob dort mit Medikamenten oder mithilfe einer Operation abgetrieben wird. Da die Einrichtungen sich freiwillig in die Liste eintragen lassen können, ist sie bisher noch nicht vollständig. Sie weist zudem weitere Defizite auf: Erstens wird nur zwischen dem operativen und dem medikamentösen Abbruch unterschieden. Ob die jeweilige Klinik eine Ausschabung oder Absaugung vornimmt, ist nicht ersichtlich. Zweitens lassen einige Ărztinnen und Ărzte die Spalte fĂŒr die Abtreibungsart frei.
Die Angst vor Strafe und VorwĂŒrfen veranlasst einige Kliniken auch dazu, Schwangerschaftsabbrüche zu verweigern. Liegt keine Gesundheitsgefahr vor, ist dies erlaubt. Das legt das sogenannte Schwangerschaftskonfliktgesetz fest. Gleichzeitig schreibt das Gesetz aber auch vor, dass die Bundesländer ausreichend Einrichtungen zur Verfügung stellen müssen. Was das bedeutet, ist Auslegungssache. Manche Frauen mĂŒssen bis zu 150 Kilometer fahren, wie eine Recherche der âtazâ von 2017 aufzeigt. Die Reise in eine kilometerweit entfernte Klinik ist einigen Frauen mitunter nicht möglich, etwa weil sie arbeiten, Kinder versorgen mĂŒssen oder es sich nicht leisten können. Am schwierigsten ist es in Niederbayern, im Süden Baden-Württembergs und in der Oberpfalz. Deutschlandweit sind immer weniger Ărztinnen und Ărzte bereit, eine Abtreibung durchzufĂŒhren. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Demnach gab es Anfang der 2000er noch rund 2.000 Kliniken. Die Zahl ist bis 2018 auf 1.200 Kliniken gesunken. Neue Ărztinnen und Ărzte sind schwer zu finden, weil das Thema Schwangerschaftsabbruch nicht verpflichtend im Studium verankert ist.
Geringverdienende brechen bis zu dreimal häufiger eine Schwangerschaft ab
Was muss verĂ€ndert werden, damit Frauen ihr Grundrecht auf reproduktive Gesundheit wahrnehmen können? Wie die britische Langzeitstudie zeigt, fehlt es zuallererst an ausreichenden und vergleichbaren Daten zu ungewollten Schwangerschaften und AbbrĂŒchen, sowohl international als auch in den einzelnen Ländern.
Ein weiteres Problem stellt die VerhĂŒtung dar. Die Bundeszentrale fĂŒr gesundheitliche AufklĂ€rung hat mehrere Studien zusammengefasst, die zeigen, dass Geringverdienende die VerhĂŒtung hĂ€ufiger unterbrechen. Denn verhüten ist teuer. Demnach brechen Geringverdienerinnen eine Schwangerschaft bis zu dreimal häufiger ab und werden viel öfter ungewollt schwanger. Wegen der hohen Abbruchrate unter Geringverdienerinnen bot Pro Familia deshalb 2019 in verschiedenen Orten kostenfrei VerhĂŒtungsmittel an. Ergebnis des Versuchs: Es besteht ein groĂer Bedarf. Kostenfreie VerhĂŒtung solle aber nicht nur SozialhilfeempfĂ€ngerinnen angeboten werden, sondern allen. Das ist keine neue Idee. In der DDR etwa wurde die Antibabypille ab 1972 kostenfrei ausgegeben. Von 1975 bis 2004 wurden die Kosten fĂŒr Geringverdienende auch in der Bundesrepublik von den SozialĂ€mtern ĂŒbernommen. Heute ist die Kostenübernahme je nach Bundesland unterschiedlich geregelt und letztendlich abhängig von einer Entscheidung im Einzelfall. Immerhin bis zum 22. Lebensjahr werden die Kosten für die Pille von den gesetzlichen Krankenkassen für alle Frauen übernommen.

Weltweit versuchen konservative Gruppen und Regierungen den Zugang zu sicheren Abtreibungen zu verbieten oder einzuschrĂ€nken. Strenge Gesetze und der eingeschrĂ€nkte Zugang zu VerhĂŒtungsmitteln fĂŒhren jedoch zu unbeachtsichtigten Schwangerschaften und in der Folge zu SchwangerschaftsabbrĂŒchen. Werden diese unter unsicheren Bedingungen durchgefĂŒhrt, bedeutet das ein Risiko fĂŒr die Frauen.

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Authors
War 2020 Praktikantin bei KATAPULT.