Erneuerbare Energien
Windrad sucht Standort
Von Antje Nieber, Dr. Paul Lehmann, Charlotte Geiger, Jan-Niklas Meier, Philip Tafarte und Elisabeth Wolfram
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Weltweit galt Deutschland lange als Vorreiter in Sachen Energiewende. Seit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000 werden erneuerbare Energien gefördert und kontinuierlich ausgebaut. Heute leisten sie mit einem Anteil von über 40 Prozent einen wichtigen Beitrag zur Stromerzeugung, allen voran die Windenergie als tragende Säule der Ökostromproduktion.
Um die Klimaschutzziele zu erreichen, soll laut Bundesregierung der aus Wasser, Biomasse, Sonne und Windkraft erzeugte Strom bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent am gesamten Stromverbrauch haben. Dafür müssten pro Jahr zusätzlich circa 4.700 Megawatt Windenergie an Land installiert werden, rechnete der Bundesverband Erneuerbare Energien jüngst vor. Das entspricht der Leistung von 1.500 modernen Windrädern.
Dieser Vorsatz ist aber kein leichtes Unterfangen. In Deutschland wurden im ersten Halbjahr 2019 an Land lediglich 86 neue Windräder mit einer Gesamtleistung von 287 Megawatt in Betrieb genommen. Das sind fast 82 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Ausbau der Windenergie hat in den letzten beiden Jahren deutlich nachgelassen und ist damit auch Sinnbild für den Stillstand der deutschen Klimapolitik.
So konnten weder durch von der Bundesregierung speziell eingesetzte Gremien (Klimakabinett, AG Akzeptanz) noch mit dem kürzlich verabschiedeten Entwurf für ein Klimaschutzgesetz zukunftsweisende Vorschläge für wirksameren Klimaschutz vorgelegt werden. Gleichzeitig bleibt der politische Handlungsdruck hoch: Das liegt nicht zuletzt an den Protesten von zunehmend größer werdenden Teilen der Bevölkerung, die die Klimakrise als wichtigste Herausforderung unserer Zeit erkannt haben. So ruft die Fridays-for-Future-Bewegung regelmäßig zu Protesten für wirksamere Klimaschutzmaßnahmen auf und mobilisiert mit Klimastreiks weltweit mittlerweile Millionen von Menschen.
Wie lässt sich der Einbruch der Windenergie erklären?
Dass der Ausbau der Windenergie in den letzten beiden Jahren fast völlig zum Erliegen gekommen ist, hat vielfältige Ursachen. Die Änderung des EEG im Jahr 2017 spielt dabei eine Rolle. Von der gesetzlich festgelegten Einspeisevergütung wurde zu einem System übergegangen, das die Förderhöhe für erneuerbare Energien über Ausschreibungen ermittelt. Den Zuschlag erhielten in der Übergangsphase auch zahlreiche Windenergieprojekte, die noch gar keine Genehmigung hatten. Viele dieser Projekte wurden anschließend nicht umgesetzt und fehlen nun im aktuellen Ausbauprozess.
Zu den weiteren Hauptgründen für den Rückgang des Windenergieausbaus zählen langwierige Genehmigungs- und Klageverfahren. Laut Bundesverband Windenergie stecken 10.000 Megawatt in Genehmigungsverfahren fest. Viele bereits genehmigte Windenergieprojekte werden mittlerweile beklagt. Der Artenschutz ist dabei einer der häufigsten Klagegründe, da insbesondere geschützte Greifvogelarten von Kollisionen mit Rotorblättern betroffen sind. Zudem können sich Anwohner*innen von Schattenwurf und Schallimmissionen beeinträchtigt fühlen. Darüber hinaus verändern weithin sichtbare Windkraftanlagen das Landschaftsbild.
Diese Beispiele zeigen nicht nur rechtliche und bürokratische Hürden beim Ausbau der Windenergie. Sie offenbaren auch grundsätzliche Herausforderungen für Mensch, Natur und Landschaft, die mit der Energiewende einhergehen. Da jedoch nicht all diese Interessen gleichermaßen berücksichtigt werden können, entstehen beim Ausbau der Windenergie sogenannte räumliche Zielkonflikte, also Ziele, deren Umsetzungen einander entgegenstehen.
Dementsprechend gibt es verschiedene Kriterien, nach denen der Ausbau gestaltet werden kann und die für die Beurteilung der optimalen Vorgehensweise herangezogen werden. Je nach Kriterium fällt die räumlich bestmögliche Verteilung der Windenergieanlagen also unterschiedlich aus.
Sollen die Kosten der Stromerzeugung minimiert werden, bietet sich der Ausbau vor allem in den windreichen Regionen entlang der Nord- und Ostsee an. Auf diese Weise kann mit den Anlagen der maximale Windertrag erzielt werden. Steht hingegen das Kriterium Anwohnerschutz im Mittelpunkt, ist der Ausbau der Windenergie schwerpunktmäßig in eher dünn besiedelten Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg optimal. Bei der Verteilung nach Natur- und Artenschutzaspekten würden die Anlagen vorrangig in Bayern und Niedersachsen stehen, weil windkraftsensible Greifvogelarten dort weniger häufig vorkommen.
Es wäre wünschenswert, Gebiete mit geringen Beeinträchtigungen eindeutig zu identifizieren und den Ausbau dort voranzubringen. Jedoch sind sich selbst Expert*innen nicht einig darüber, wie die Kriterien gewichtet werden sollten.
Bund will günstigen Strom, Länder wollen auch schöne Landschaften
Der Ausbau und die Standortsteuerung der Windenergie sind auf Bundes- und Länderebene momentan nicht einheitlich geregelt. Die genannten Kriterien werden durch die Entscheidungsträger*innen unterschiedlich stark berücksichtigt.
Der Bund konzentriert sich neben Fragen der Versorgungssicherheit vor allem auf die Stromkosten für die Allgemeinheit. Entsprechend sind die bundesweiten EEG-Ausschreibungen primär darauf ausgerichtet, den Bau von Windkraftanlagen an günstigen windreichen Standorten zu fördern. Die einzelnen Länder achten besonders auf lokale Interessen und schauen stärker auf den Anwohner- und Naturschutz. Dabei gibt es auf Länderebene kein einheitliches Vorgehen. So werden etwa Abstandsregelungen zu Wohnsiedlungen oder der Bau von Anlagen im Wald je nach Bundesland unterschiedlich geregelt.
Durch dieses uneinheitliche Vorgehen kann kaum ein angemessener Ausgleich zwischen den Kriterien erfolgen. So wurde der Windenergieausbau in Bayern fast gänzlich ausgebremst, da neu errichtete Anlagen einen Mindestabstand zu Häusern haben müssen, der zehnmal so groß ist wie das Windrad hoch – die sogenannte 10H-Regelung. Derartige Maßnahmen können zwar zum Schutz von Anwohner*innen und Natur vor Ort beitragen. Sie stehen jedoch der nationalen Strategie der kosteneffizienten Erreichung der Energiewendeziele entgegen.
Bund und Länder müssen sich besser abstimmen
Um die deutschen Klimaschutzziele für 2030 noch zu erreichen, muss der Ausbau der Windenergie wieder deutlich Fahrt aufnehmen. Zweifellos ist dafür eine bessere Koordination der Windenergiepolitik zwischen Bundes- und Landesebene notwendig. Bloße Forderungen, die Steuerung des Ausbaus der Windenergie einfach vollständig und zentral auf Bundesebene zu verlagern, sind aber auch nicht zielführend. Denn auf diese Weise würden unterschiedliche Interessen und das Wissen über lokale Zielkonflikte unzureichend berücksichtigt.
Die optimale Verteilung von Windenergieanlagen fällt, wie gezeigt, je nach betrachtetem Kriterium sehr unterschiedlich aus.
Dabei beurteilen die Entscheidungsträger*innen einzelner Regionen die Verteilung und damit die auftretenden Zielkonflikte ebenfalls unterschiedlich. Aus diesem Grund sind auch pauschale Vereinheitlichungen von Abstandsregelungen – politisch wird gerade ein möglicher einheitlicher Mindestabstand von 1.000 Metern kontrovers diskutiert – oder einheitliche Flächenbeiträge der Bundesländer wenig aussichtsreich.
Sinnvoller wäre es, wenn sich Bund und Länder darüber verständigten, welche Beiträge die einzelnen Bundesländer künftig zur Sicherstellung der Ausbauziele der Windenergie leisten sollen und können. Darüber hinaus wäre es für Planer*innen hilfreich, naturschutzfachliche Prüfverfahren zu standardisieren, um sicherzustellen, dass der Natur- und Artenschutz nach einheitlichen Maßstäben bewertet wird. Schließlich entscheidet sich gegenwärtig oft an diesem Kriterium, ob eine Anlage genehmigt wird oder nicht. Konkrete Richtgrößen wären hilfreich für Entscheider*innen auf regionaler Ebene, die letztlich zwischen den konkurrierenden Kriterien abwägen müssen.
Energiewende nur als Gemeinschaftsprojekt erfolgreich
Zielkonflikte beim Ausbau der Windenergie stellen die Energiewende keinesfalls grundsätzlich infrage. Denn alle Energieträger verursachen Konflikte. Bei fossilen und nuklearen Technologien sind die Zielkonflikte noch viel größer als bei erneuerbaren Energien. Gleichwohl kann die Energiewende nur gelingen, wenn sie nicht nur Ziel- und Interessenkonflikte berücksichtigt, sondern auch auf einen Mix aus erneuerbaren Energien sowie einen verminderten Stromverbrauch setzt.
Der Erfolg der Energiewende hängt schließlich maßgeblich davon ab, inwiefern alle betroffenen Akteur*innen an Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Vor allem Anwohner*innen sollten stärker über mögliche Konflikte informiert werden und bei deren Gewichtung mitentscheiden dürfen. Dafür ist ein offener Dialog über den Nutzen der Energiewende, jedoch auch über Kosten und finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten entscheidend. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie als Gemeinschaftsprojekt verstanden und vorangebracht wird.
Dieser Text erschien in der 16. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.
Autor:innen
Universität Leipzig
Projektmanagement der Forschungsgruppe MultiplEE
Universität Leipzig
Leiter der Forschungsgruppe MultipIEE
Forschungsschwerpunkte: Umwelt- und Ressourcenökonomik; Energieökonomik; Institutionenökonomik und politische Ökonomie; Angewandte Mikroökonomik; Angewandte Analyse der Energie-, Klima und Wasserpolitik