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Die Blaupause

Wie die AfD über Institutionen ihre Macht festigen will

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Das gab es schon einmal in Thüringen: Nazis bringen Verwaltung, Bildung und Kultur auf ihre Linie. Schon Jahre vor Hitlers Machtergreifung hatte sich Thüringen zu einem Tummelplatz der rechtsextremen Szene im ganzen Reich entwickelt. Am 23. Januar 1930 machte die NSDAP dann ernst. Sie schickte mit Erfolg ihren Kader Wilhelm Frick ins Rennen als Minister für die Schlüsselressorts Innen und Volksbildung. Der erste nationalsozialistische Minister konnte in eine Landesregierung einziehen.

„Ohne Brandmauer“ überschrieb Volker Ullrich in der Wochenzeitung Die Zeit im Juli eine Geschichtsseite über die damaligen Geschehnisse. Er berichtete, wie die Sozialdemokraten vergeblich gewarnt hätten vor einem „Hochverräter als Verfassungsminister“: Mit der Wahl von Frick in der Sitzung des Weimarer Landtags werde der heutige Tag „zu einem Tage der politischen und kulturellen Schande Thüringens“, mahnten sie. An den bürgerlichen Parteien aber sei der Appell abgeprallt. Hitler wiederum sei es nicht nur um den Eintritt in eine Landesregierung gegangen, „sondern darum, zu demonstrieren, wie man eine Exekutive von innen her erobern könne“. Vom Berliner NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels ist der Satz überliefert: „Da werden wir die erste Probe aufs Exempel liefern.“

Und so soll sich Geschichte wiederholen? In Thüringen, einer der wichtigsten Hochburgen der AfD mit dem rechtsextremen Björn Höcke an der Spitze, wo im September ein neuer Landtag gewählt wird?

Geschichte wiederholt sich
Dass das alles andere als abwegig ist, beschreibt der Jurist Maximilian Steinbeis vom Verfassungsblog in seinem Ende Juli erschienenen Buch Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme. Er sagt, es gehe aktuell nicht um „Inhalte“, über die man sich mit Rechtsradikalen auseinandersetzen könnte, auch nicht um die „Wünsche“ von „besorgten Bürgern“ oder sonst irgendwem: „Es geht um eine Strategie, die darauf abzielt, ein autoritäres Regime zu errichten.“ Wer heute nach autoritärer Herrschaft strebe, brauche keinen Militärputsch und keinen Staatsstreich mehr zu riskieren. „Viel effektiver und weniger riskant ist es, die Institutionen der liberalen Demokratie selbst für dieses Ziel einzuspannen. Das ist es, was die autoritären Populisten tun, überall auf der Welt und mit bestürzendem Erfolg auch in Deutschland.“

Wie widerstandsfähig ist die Demokratie gegen eine solche Machtübernahme? Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel widmete sich im Juni in einem Aufsatz für die von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte der Frage der Leistungsfähigkeit der Regierungen und einer Stärkung der Parlamente. Für eine zukünftige Krisenpolitik müsse gelten, dass politische Entscheidungen – anders als etwa in der Coronakrise – stärker an Grundrechte und grundlegende demokratische Normen rückgebunden bleiben. Und: Die Widerstandsfähigkeit der Demokratie stelle sich nicht einfach durch ihre moralische Überlegenheit gegenüber autoritären Regierungsweisen ein, „sondern sie wird gerade in nächster Zukunft in erheblichem Ausmaß von der Leistungsbilanz der Regierungen abhängen“.

Eine bessere Regierung, gestärkte Parlamente – aber wird nicht doch viel mehr notwendig sein? Der Verfassungsblog um Steinbeis hat vor knapp einem Jahr das Thüringen-Projekt gestartet, um zu untersuchen, was passiert, wenn autoritär-populistische Parteien staatliche Machtmittel in die Hand bekommen. Das kann eine Bürgermeisterin sein, ein Landrat, eine von der AfD geduldete Landesregierung oder eine solche, in der Rechtsextreme Ämter bekleiden oder sogar den Ministerpräsidenten stellen.

Was passiert, wenn die AfD Macht erhält?
Steinbeis sagt, schon aus der Opposition heraus könnten autoritäre Populisten Gebrauch von ihren Minderheits- und Teilhaberechten machen, um ihre Strategie voranzutreiben. Kommunalverwaltung, Ministerialbürokratie, Sicherheitsapparat und Justiz könnten sie für ihre Zwecke einspannen. Die Sensibilisierung für diese Gefahren müsse spätestens jetzt einsetzen, damit die Demokraten nicht überrumpelt und vor vollendete Tatsachen gestellt würden: „Wenn sie erst einmal erfahren haben, was hier gespielt wird, womöglich am eigenen Leib, dann ist es für Gegenwehr oft zu spät.“ Und längst nicht immer wird eine Intervention des Bundes gegenüber einem Land, das in den Autoritarismus kippt, möglich sein.

Wie autoritär-populistische Regierungen den Marsch durch die Institutionen vorantreiben, lässt sich beispielsweise in Polen und Ungarn gut beobachten. Die Beispiele dort zeigten eindrucksvoll, dass die Justiz häufig ihr erster Angriffspunkt sei, sagt Jannik Jaschinski, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Thüringen-Projekt. Unter dem Radar blieben häufig Maßnahmen, mit denen ein AfD-geführtes Justizministerium ganz legal und oft sogar ohne Gesetzesänderungen die unabhängige Justiz schwächen könnte. „Es entscheidet etwa, wer als Proberichter:in eingestellt wird. Über Spitzenbeurteilungen kann parteinahen Richter:innen zu Beförderungen verholfen werden.“ Zudem könne eine rechtsgerichtete Regierung auch eine anstehende Pensionierungswelle in der Justiz nutzen. „Auch wenn die Angehörigen der Justiz sich grundsätzlich der Bedeutung ihrer Unabhängigkeit sehr bewusst sind, ist es wichtig, diese legalen Einfallstore aktiv zu benennen und zu antizipieren“, sagt Jaschinski.

Angriff auf die demokratischen Medien
Kaum weniger bedrohlich sind die von der AfD angedrohten Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Die Partei sieht ihn als Instrument für „Indoktrination und Propaganda“, die Rundfunkgebühr als „Zwangsbeitrag“, und nimmt die Programme unter Dauerfeuer – obwohl in den Talksendungen beispielsweise des Fernsehens ihren rechtsextremen Politikern immer wieder eine Bühne geboten wird.

Thüringens AfD-Chef Höcke hat bereits angekündigt, den Medienstaatsvertrag zu kündigen. Das wäre rechtlich zwar möglich. Das Ende des MDR wäre es allerdings noch nicht. Als Krux an Höckes Plan gilt, dass er eine gerichtsfeste Alternative für Thüringen finden müsste, die den Anforderungen von mehr als 60 Jahren Rundfunk-Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht genügt. Eine Art Staatsfunk in der Regie der AfD wäre damit nicht ohne Weiteres möglich. Das Ziel der AfD bleibt: „Viele überflüssige Programme“ sollen abgeschaltet werden und am Ende eine Art „Grundfunk“ bleiben.

Claudia Maicher, Medienpolitikerin der Grünen im sächsischen Landtag, beobachtet in Sachsen ähnliche Angriffe von rechts auf den ÖRR wie in Thüringen. Auch in ihrem Bundesland verkaufe die AfD den Kampf gegen den MDR als Topthema im Landtagswahlkampf. „Selbst wenn ihre Ziele der Abschaffung des Rundfunkbeitrags und des dualen Rundfunksystems aufgrund der verfassungsrechtlichen Sicherungsmechanismen so nicht umsetzbar sind, wäre jede Beteiligung der AfD an politischer Macht fatal.“ Denn auch kleinere Schritte würden bereits reichen, um den ÖRR nachhaltig zu schwächen. Sie rät dringend, dass sich demokratische Parteien nicht an der Stimmungsmache gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beteiligen oder gar in den Parlamenten gemeinsame Sacharbeit mit der AfD machen. Auch der Verfassungsblog betont: „Demokratiefeindliche Strömungen gehen subtil vor und versuchen, demokratische Institutionen mit demokratischen Mitteln von innen heraus zu zersetzen.“

In seinem im Februar erschienenen Buch Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist ermuntert Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte zur Wachsamkeit auch in den Institutionen selbst. Er würdigt, wie sich der Polizeipräsident im niedersächsischen Oldenburg kritisch zur AfD geäußert und unter Anspielung auf Alexander Gauland und Alice Weidel gesagt habe, er schäme sich, dass „AfD-Politiker Muslima als Kopftuchmädchen titulieren oder die Nazis als Vogelschiss in der tausendjährigen Geschichte“ bezeichnen.

Die AfD warf dem Spitzenbeamten eine Verletzung der Neutralitätspflicht vor. Cremer verteidigt den Polizeipräsidenten gegen die Einschüchterungsversuche: Zwar bestehe für verbeamtete Personen tatsächlich das gesetzlich verankerte Gebot zu politischer Mäßigung und parteipolitischer Neutralität. „Aber: Diese Gebote sind keineswegs absolut zu verstehen.“ Cremer sieht die Repräsentanten der staatlichen Institutionen sogar in der verfassungsrechtlich verankerten Pflicht, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten.

Dennoch: Obwohl sich die AfD im Aufschwung befindet und nach allen Umfragen bei den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen auf Rang eins landen wird, wirken die staatlichen Institutionen wie gehandicapt, wenn es um den Umgang mit der Partei geht.

Ein schwieriger Spagat
Weiteres Beispiel dafür: Im Frühjahr übermittelte die Bundesagentur für Arbeit (BA) ihren Führungskräften die interne Handreichung Professioneller Umgang mit extremistischen Positionen am Arbeitsplatz. Das Papier dürfte zwar vor dem Hintergrund von AfD-Wahlerfolgen entstanden sein. „Einzelne Landesverbände“ der AfD, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurden, werden auch erwähnt, doch nur unter vielen anderen Organisationen, neben Linksextremisten, Islamisten, Querdenkern und Verschwörungsideologen. Und die BA-Vorstandschefin Andrea Nahles gibt den Spagat gleich im Vorwort zu: Einerseits sei die Bundesagentur als „tragende Säule des deutschen Sozialstaats“ in der Verantwortung, für eine wehrhafte Demokratie einzustehen. Sie sei jedoch auch „zur staatlichen Neutralität verpflichtet“.

Was die Lehren aus dem Angriff der Nazis in Thüringen 1930 auf die Bildungspolitik betrifft: Der frühere hessische Geschichtslehrer Höcke hat schon vor Monaten angekündigt, dass seine Partei die Schulen befreien wolle von der „Ideologie“ der Inklusion und des Gender-Mainstreamings. Der Kultusministerkonferenz (KMK) warf er vor, sie versuche, „die Länderbildungspolitiken gleichzuschalten“.

Es ist nun nicht unrealistisch, dass Höckes AfD über eine Machtbeteiligung Einfluss bekommt auf die Bildungspolitik bundesweit. Denn bisher gilt in der KMK bei allen wichtigen Fragen das Einstimmigkeitsprinzip, ein Kultusminister von Gnaden der AfD könnte damit zentrale Vorhaben blockieren.

Als die KMK im Juni im saarländischen Völklingen zu ihrer Plenarsitzung zusammentrat, blieb die Reaktion dennoch verhalten. Die versammelten Ministerinnen und Minister wollten keine „Lex AfD“. Und obwohl konkrete Vorschläge zur Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip auf dem Tisch lagen, bekamen diese letztlich doch keine Mehrheit. Die Mehrheit stimmte für einen Formelkompromiss, laut dem eine Strukturkommission „Vorschläge zur Ausgestaltung etwaiger Mehrheitsentscheidungen oder anderer Verfahrenswege“ machen soll. Abgeschafft wurde zumindest die Regel, laut der der Austritt eines Bundeslandes aus der KMK das Ende des gesamten Gremiums zur Folge hätte. Doch weiterhin würde schon eine AfD-nahe Person an der Spitze eines Kultusministeriums für ein Veto bei Abstimmungen reichen. Letztlich könnten so die braunen Traditionen des 1930 ernannten Volksbildungsministers der NSDAP demnächst in Thüringen von der Höcke-AfD wieder gepflegt werden.


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