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Wahlforschung

Wen frag ich denn heute?

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Nur 42 Prozent der Menschen in Ostdeutschland glauben, dass die Demokratie die beste Staatsform für die Bundesrepublik ist. 80 Prozent der Deutschen wollten nicht, dass die beiden Fußballer Mesut Özil und Ilkay Gündogan für die Nationalmannschaft auflaufen, nachdem sie im Mai 2018 auf einem Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan posierten. Und die SPD erhielt im Frühjahr 2017 32 Prozent bei der Sonntagsfrage. Drei Tage vor der Bundestagswahl dann nur noch 21,5 Prozent. Alle diese Umfrageergebnisse haben eines gemeinsam: Sie sind stark umstritten.

Beobachter des politischen Geschehens werden kontinuierlich mit Umfragedaten konfrontiert. Seit 1949 gibt es die Sonntagsfrage, durch die der Stand der Parteien ermittelt wird, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre. Es gibt Rankings der beliebtesten Politiker. Und es gibt diverse weitere Umfragen, durch die Medien Politik abbilden oder auch inszenieren: das »ZDF-Politbarometer«, das »RTL-Trendbarometer«, den »ARD-Deutschlandtrend« oder den »Insa-Meinungstrend« für »Bild«. Auch Teile der Politik selbst verfügen über ein immer größeres Budget und Interesse daran, Umfragen in Auftrag zu geben. Belief sich der Etat der Bundesregierung, der für Meinungsforschung zur Verfügung stand, 1970 noch auf 320.000 D-Mark, so gab die Bundesregierung 2015 gut zwei Millionen Euro für rund 150 eigene Befragungen aus.

Umfrageinstitute werden selten infrage gestellt. Noch seltener wird nach ihren Netzwerken, Motiven und Erhebungsmethoden gefragt. Dabei sind sie das Bindeglied zwischen Gesellschaft, Politik und Medien auf einem hart umkämpften Markt, der insbesondere politische Profite in Aussicht stellt: dem Markt der Demoskopie. Der Demoskopiemarkt in Deutschland ist komplex, die Liste der Meinungsforscher entsprechend lang: Forsa, Allensbach, Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap, Infas, Insa, Kantar Emnid, GMS, GESIS, YouGov, Civey.

Prämien für bessere Prognosen

Eine interessante Konstellation verbindet beispielsweise Insa mit YouGov: Die dem »Insa-Meinungstrend« (»Bild«) zugrunde liegenden Daten werden nicht von Insa selbst erhoben, sondern von YouGov. Insa kauft die Rohdaten der britischen Meinungsforscher und reichert diese lediglich an, um sie anschließend in Bild zu veröffentlichen. Dies bestätigte YouGov erst im Januar gegenüber der Zeitung »Die Zeit«. YouGov verwendet dabei, ebenso wie Civey, eine umstrittene Onlinemethode, um seine Umfragedaten zu erhalten: Die Onlinemeinungsforscher sind darauf angewiesen, dass sich die Teilnehmer an einer Umfrage selbst melden. Sie stützen sich nicht, wie andere Demoskopen, auf eine Stichprobe, die durch eine Zufalls­auswahl herbeigeführt wird, was gemeinhin die Repräsentativität einer Umfrage garantiert. In der Wissenschaft wird hier von Selbstselektion gesprochen: Die Teilnehmer einer Umfrage rekrutieren sich selbst.

Doch auch bei den Demoskopen der Öffentlich-Rechtlichen existieren zumindest fragwürdige Praktiken: An Infratest dimap wurden beispielsweise Boni ausgezahlt, wenn es bei der 18-Uhr-Prognose eines Wahltages näher am tatsächlichen Wahlergebnis lag als die Konkurrenten des ZDF. Das bestätigte der WDR, der für die Wahlberichterstattung der ARD verantwortlich ist.

Insa forscht nicht nur für Bild, sondern auch für die AfD

Als die AfD im Frühjahr 2014 versuchte, erstmals in die ostdeutschen Landesparlamente einzuziehen, suchte sie nach einer passenden Strategie und wurde bei Insa-Gründer Hermann Binkert fündig. Laut der »Zeit« hat Insa im Auftrag der AfD Fokusgruppengespräche und Telefonbefragungen durchgeführt sowie Meinungstrends erhoben. Binkert begleitete im März 2014 ein entsprechendes Strategietreffen der Partei und stellte dafür Umfrageergebnisse vor. Bereits ein Jahr zuvor spendete der damals noch in der CDU aktive Binkert zusammen mit seiner Frau 3.300 Euro an die AfD, so die »Zeit«. Die Kosten für diverse demoskopische Tätigkeiten von Insa für die AfD beliefen sich demnach im Jahr 2014 auf 50.000 Euro. Obwohl Insa auf seiner Website verschiedene Klienten aufzählt, für die sie tätig war – darunter CDU, SPD, FDP und die Freien Wähler –, fehlt ein entsprechender Verweis auf die AfD.

Beziehungen zwischen einzelnen Führungspersonen aus Meinungsforschungsinstituten und Politikern sind dabei keine Besonderheit. Schon Elisabeth Noelle-Neumann, Gründerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, galt als enge Vertraute Konrad Adenauers. Mathias Jung, Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen, gilt seit Jahren als politischer Berater Angela Merkels. Die Verbindung zwischen AfD und Insa ist jedoch insofern brisant, als dass die durchschnittlichen Abweichungen von Insa-Umfragen im Vergleich zu anderen Demoskopen in der Regel zugunsten der Partei ausfallen.

Demoskopen und Regierung hängen eng zusammen

Besonderes Aufsehen zog das Verhältnis zwischen Demoskopen und Bundesregierung auf sich, als im Jahr 2014 eine »Spiegel«-Reportage veröffentlicht wurde: »Regieren nach Zahlen« lautete der Titel, unter dem Angela Merkel vorgeworfen wurde, dass sie ihre Politik maßgeblich an den Umfragen der Demoskopen ausrichte: »Jetzt zeigen 600 geheim gehaltene Umfragen des Bundespresseamts, wie Demoskopen Merkels Denken, Reden und Handeln beeinflussen«, hieß es dort.

Auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes konnte der Grünen-Politiker Malte Spitz 2014 durchsetzen, dass die Umfragen, die das Bundespresseamt für die Bundesregierung in Auftrag gibt, öffentlich zugänglich gemacht werden. Seit 2015 sind die vorher unter Verschluss gehaltenen Daten nun beim Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (GESIS) öffentlich einsehbar. Ergebnis: Forsa misst für das Bundespresseamt monatlich die »gesellschaftlichen und politischen Einstellungen« der Bevölkerung. Kantar Emnid analysiert jeden Monat die »Einstellungen zu politischen Aufgabenbereichen« im Auftrag des Bundespresseamts. Auch Ipos, das Privatunternehmen von Mathias Jung, führt für die Bundesregierung zwei- bis dreimal jährlich eine umfangreiche Studie zur Wahrnehmung verschiedener Themenkomplexe sowie zur Beurteilung politischer Aufgaben durch: den sogenannten Regierungsmonitor.
Das Problem ist, dass die Oppositionsparteien solche Möglichkeiten aus finanziellen Gründen nicht haben. Sie geben in den meisten Fällen nur dann Umfragen bei Demoskopen in Auftrag, wenn sie Wahlkämpfe vorbereiten.

Böser Demoskop, guter Demoskop – Konflikt in der Meinungsforschung

Besonders die Methoden der Demoskopen Civey und YouGov, die ihre Umfrageergebnisse ausschließlich durch Onlinebefragungen erheben, sind umstritten. Erst im September 2018 sind Forsa, mit seinem Chef Manfred Güllner, Infas und die Forschungsgruppe Wahlen vor den Deutschen Presserat gezogen. Auslöser war die Umfrage über Mesut Özils und Ilkay Gündogans weitere Zukunft in der Fußballnationalmannschaft. Die Umfrage wurde von Civey erstellt und auf »Focus Online« publiziert. Insgesamt lehnten es demnach knapp 80 Prozent der Befragten ab, die beiden Fußballer weiterhin im Dress der Nationalelf zu sehen. Güllner zweifelte, führte mit Forsa selbst eine Telefonumfrage durch und kam zu einem anderen Ergebnis: Nur noch 25 Prozent der Teilnehmer befürworteten dies.

So in etwa lautet der Hauptanklagepunkt von Forsa, Infas und der Forschungsgruppe Wahlen gegen Focus Online. Demnach umfasste die Erhebung nur die Personen, die in dem vergleichsweise knappen Zeitfenster genau auf den Internetseiten waren, auf denen die Umfrage geschaltet wurde, so die Argumentation der Kläger. Dadurch ist der Personenkreis sehr speziell und kann die Bevölkerung nicht repräsentativ abbilden.

Tagsüber an einem Werktag erhoben und schon um 16:05 Uhr publiziert

Die Durchführung der bekannten Telefonumfragen wird immer schwieriger, weil immer weniger Menschen über das Festnetz zu erreichen sind. Neue Umfragemethoden, wie die von Civey oder YouGov, weisen teilweise Mängel auf. Als Civey im Mai 2018 für die Zeitung »Die Welt« nach der Zustimmung zu zentralen Aufnahmestellen für Asylbewerber – sogenannten Ankerzentren – fragte, ergab die Umfrage, dass 77 Prozent dem zustimmen. Zwei Tage später gelangte Infratest dimap im Deutschlandtrend zu dem Ergebnis, dass nur 54 Prozent der Deutschen die Errichtung von Ankerzentren begrüßen. Die zweifelhaften Ergebnisse einiger Civey-Umfragen rücken die Onlinemeinungsforscher in ein schlechtes Licht. Der Deutsche Presserat entschied im Fall Özil/Gündogan jedoch zugunsten von Focus Online und somit auch für die Methode von Civey.

Vielleicht sollte in dieser hitzigen Debatte der Demoskopen an die Worte von Elisabeth Noelle-Neumann erinnert werden: »Die Zahlensprache der Demoskopie habe ich erlernt, weil ich ein Erkenntnismittel suchte, das soweit wie möglich unabhängig von meinen Vorurteilen und Wünschen sein sollte; und weil ich ein Ausdrucksmittel suchte, das im Streit der Parteien Bestand haben würde, die Sprache der Zahlen, nachzuzählen, wiederholbar, überprüfbar. Aber doch tatsächlich mit der gleichen Absicht wie Schriftsteller und Dichter – auf der Suche nach Wahrheit.«

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Fußnoten

  1. Vgl. Wind, Thomas: Demoskopie, Medien und Politik. Ein Schulterschluss mit Nebenwirkungen, Frankfurt am Main 2018, S. 18.
  2. Vgl. Biermann, Kai u.a.: AfD. Meinungsforscher im postfaktischen Umfeld, auf: zeit.de (24.1.2019).
  3. Vgl. Fries, Stefan: Methodenstreit der Meinungsforschung. Was ist repräsentativ?, auf: deutschlandfunk.de (3.12.2018).
  4. Vgl. Sorge, Petra: Hier gibt es für fehlerhafte Analysen noch Boni obendrauf, auf: cicero.de (29.6.2016).
  5. Fokusgruppengespräche sind moderierte Gruppendiskussionen, in denen Ideen und Konzepte erarbeitet werden.
  6. Vgl. Biermann u.a. 2019.
  7. Vgl. Hellpoldt, Doris: Abweichende Umfragewerte beim INSA-Institut. Die AfD als drittstärkste Kraft?, Interview mit Moritz Tschermak von »Bildblog«, auf: detektor.fm (11.9.2017).
  8. Becker, Sven; Hornig, Frank: Kanzler. Regieren nach Zahlen, auf: spiegel.de (8.9.2014).
  9. Vgl. Wind 2018, S. 18.
  10. Vgl. Fries 2018.
  11. Vgl. o.A.: Mehr als drei Viertel der Deutschen befürworten Ankerzentren, auf: welt.de (5.5.2018).
  12. Infratest dimap: ARD-Deutschlandtrend, Mai 2018.
  13. Noelle-Neumann, Elisabeth: Eine demoskopische Deutschstunde, Osnabrück 1983, S. 9.

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