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In Sozialen Netzwerken und deutschen Medien kursieren zahlreiche Videos und Bilder, die Hoffnung machen, dass die Ukraine den russischen Angriffskrieg abwehren könnte. Zu sehen sind etwa Ukrainer:innen, die Molotowcocktails für Kämpfe vorbereiten, oder ganze Menschengruppen, die sich Panzern in den Weg stellen. Diese Aufnahmen demonstrieren, wie groß der Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen die russische Invasion ist. Aber kann der ukrainische Widerstand dem Despoten Putin einen Frieden abringen? KATAPULT hat drei Experten zu Chancen auf Frieden und die Rolle des Westens befragt – ein Überblick.
Die ersten Gespräche zwischen den Delegationen beider Länder fanden am 28. Februar nahe der belarusisch-ukrainischen Grenze statt und endeten ohne Ergebnis. Die Ukraine forderte einen Waffenstillstand und einen Abzug der russischen Truppen, die russische Delegation wiederum hielt sich über ihre Forderungen eher bedeckt. Putin stellte aber klar, was er wolle: die Anerkennung der Krym sowie eine Entmilitarisierung der Ukraine. Nach über fünf Stunden hatten sich beide Seiten lediglich darauf verständigt, in den nächsten Tagen ein weiteres Treffen abzuhalten.
Das Resultat der zweiten Gesprächsrunde war ebenfalls ernüchternd. Lediglich auf humanitäre Korridore zur Evakuierung von Zivilist:innen konnten sich die Konfliktparteien einigen. Beide Seiten blieben bei ihren Maximalforderungen.
Es sind keine Friedensverhandlungen
Ein Missverständnis sollte zu Beginn ausgeräumt werden: Die Medien bezeichneten diese Gespräche bisweilen als Friedensverhandlungen. Sie sind aber höchstens als Gespräche für einen möglichen Waffenstillstand zu sehen und haben nur wenig Aussicht auf Erfolg, sagen uns die Experten.
Dass diese Gespräche von vornherein skeptisch zu sehen seien, erklärte Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Während die ukrainische Vertretung von Verteidigungsminister Oleksij Resnikow geführt wird, bestehe die russische Delegation mit dem ehemaligen Kulturminister Wladimir Medinski als Verhandlungsführer und einigen Mitgliedern der Duma Masala zufolge nicht aus Profis, also keinen erfahrenen Diplomaten. Seine Annahme: Für Putin seien diese Verhandlungen kein echtes Suchen nach Kompromissen, sondern sollen nur den Anschein erwecken, er würde sich auf nichtmilitärischem Weg nach Lösungen bemühen. Wirklich ernst gemeint seien die Gespräche also nicht, weshalb eine schnelle Lösung des Konfliktes sehr erschwert würde, vermutet Masala.
Die Frage, die dabei trotzdem die Weltbevölkerung beschäftigt: Wie sehen ernsthafte Optionen für Frieden in diesem Krieg aus?
Ein erzwungener Friedensschluss?
Putin hat zuletzt deutlich gemacht, dass er die Ukraine als Ganzes einnehmen will. Ob er sich überhaupt auf einen Waffenstillstand am Verhandlungstisch einlasse würde, ist derzeit fraglich. Dass ihn die Wirtschaftssanktionen so stark unter Druck setzen könnten, um ernsthaft Verhandlungen aufzunehmen, beurteilten die von KATAPULT befragten Experten skeptisch.
Selbst im Falle einer solchen Verhandlungslösung wären große Zugeständnisse vonseiten der Ukraine bedeutend. Denn aus russischer Perspektive geht es schon lange nicht mehr nur um die Anerkennung der Annexion der Krym oder der Provinzen Donezk und Luhansk in ihren ursprünglichen Grenzen. Die Ukraine müsste gegenüber Russland ihre Neutralität versichern sowie die Abrüstung ihrer Streitkräfte hinnehmen. Das wäre ein von Moskau erzwungener Friedensschluss, so Alexander Graef vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg.Das Problem: Zugleich müsste Russland aber zu einem Abzug seiner Truppen aus der restlichen Ukraine bereit sein – wonach es derzeit nicht aussieht.
Können westliche Waffenlieferungen Frieden bringen?
Putin hat sein eigentliches Ziel eindeutig verfehlt. Die Strategie, Kyjiw im Eiltempo einzunehmen und die Regierung auszutauschen, erwies sich als aussichtslos.
Der russische Präsident hat offenbar unterschätzt, wie widerstandsfähig das ukrainische Militär und wie groß die Ablehnung des russischen Einmarsches durch die Bevölkerung und weltweit ist. Dennoch sind sich die Experten, mit denen KATAPULT sprach, einig: Die Ukraine ist der militärischen Kraft Russlands weit unterlegen und wird diesen Angriffskrieg vermutlich verlieren.
Daran dürften auch die Waffenlieferungen des Westen nichts ändern. Alexander Graef befürchtet, dass die bisherigen Waffenlieferungen vor allem zu einer Verlängerung des Konfliktes beitragen. Die Hoffnung sei zwar, dass dadurch die Kriegskosten Russlands in die Höhe getrieben werden – dass dies jedoch zu einer Kursänderung Russlands führt, sei unwahrscheinlich.
Aber: Je länger der Krieg dauert, desto stärker könnte Putin in Russland unter Druck geraten – und desto größer sind die Chancen für die Ukraine, bei möglichen Waffenstillstandsverhandlungen größere Forderungen durchzusetzen. Doch bis dahin wäre mit zahlreichen Todesopfern zu rechnen. Und ob die Waffenlieferungen auch tatsächlich dafür ausreichen? Da waren die Experten eher skeptisch. Dafür seien die Lieferungen nicht umfänglich genug, teils zu spät – und würden nichts an der militärischen Überlegenheit Russlands ändern.
Einen größeren Effekt hätten hingegen die wirtschaftlichen Sanktionen des Westens, sie treffen die russische Wirtschaft sehr hart. Doch auch hier ist keineswegs sicher, dass das Putin näher an eine Verhandlungslösung bringen kann. Denn, darauf weist Graef hin, solchen Maßnahmen könnte das Land trotz aller Härte durchaus standhalten. Das verdeutlicht das Beispiel des Irans, der bereits seit Jahrzehnten mit wirtschaftlichen Sanktionen konfrontiert ist. Letztlich sei die Frage, welche innenpolitischen Kosten ein Land bereit ist zu tragen.
Kann der Westen Putin zu einem Kurswechsel bringen?
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, merkte auf Twitter an, dass man Putin Exit-Optionen aufzeigen müsse. Aber was kann der Westen bieten, das dem Krieg Einhalt gebietet? Da sieht auch Gerhard Mangott, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck, bislang wenig.
„Es ist nicht anzunehmen, dass der Westen jetzt Putin etwas anbietet, weil das als Belohnung für einen Angriffskrieg gesehen würde – das kann sich keine westliche Regierung leisten. Einen Anstoß von außen halte ich für sehr wenig aussichtsreich – sollte er vom Westen ausgehen.“ Denkbar wäre eher, dass die Ukraine ihre ohnehin unrealistischen Nato-Ambitionen aufgibt und sich zur Neutralität bekennt, allerdings nicht ohne Sicherheitsgarantien vonseiten des Westens, so Mangott. Was Putin aber vermutlich auch nicht genug wäre.
Die Möglichkeiten des Westens, wirklich auf eine Befriedung des Krieges hinzuwirken, sind also beschränkt. Er könnte versuchen ein Angebot zu machen, so Graef, indem er gegenüber Moskau klarstellt, dass die bislang umfangreich verhängten Sanktionen stückweise zurückgebaut werden könnten, sofern Russland zum Waffenstillstand und weiteren Zugeständnissen bereit sei. Um ein politisches Zerwürfnis zu vermeiden, müsste ein solches, konkretes Angebot allerdings nichtöffentlich bleiben, gut koordiniert sein und auch von der Ukraine unterstützt werden.
Hält sich Putin innenpolitisch an der Macht?
Der Krieg ist in Russland offenbar nicht besonders populär. Nicht umsonst hat der Kreml den Medien Vorgaben auferlegt. Sie dürfen beispielsweise nicht von einem Krieg oder einer Invasion schreiben, sondern den Einmarsch ins Nachbarland nur als militärische Operation bezeichnen. Die russische Medienbehörde hat bereits einige Medien deswegen gesperrt. Journalist:innen drohen Haftstrafen. Mittlerweile sind auf Verordnung der Medienaufsichtsbehörde Russlands sogar die Sozialen Netzwerke Twitter beschränkt und Facebook komplett nicht mehr erreichbar.
Trotzdem regt sich Protest in der russischen Zivilbevölkerung: Seit Kriegsbeginn gibt es in zahlreichen russischen Städten immer wieder Friedensdemos – tausende Demonstrierende wurden bereits landesweit festgenommen. Und obwohl sich täglich stetig mehr Unmut in der russischen Bevölkerung breitmacht, ist Putins repressive Politik effektiv. Durch die Beschränkung der freien Presse und den Einsatz eines brutalen Sicherheitsapparats wird jeder noch so kleine Aufstand im Keim erstickt. Mangott zufolge würde Putin eher seine Bevölkerung leiden lassen, als militärisch eine Niederlage einzugestehen. Das entspricht auch der generellen Haltung Putins, von seinen Maximalforderungen keinen Millimeter abzurücken. Russland habe noch längst nicht all seine militärische Kapazität gezeigt. „Im Augenblick sehe ich keine Möglichkeit für einen Verhandlungsausweg“, sagt Mangott.
In den Medien wird mittlerweile häufig diskutiert, dass sich die russischen Eliten, die das Regime Putins bislang stützen, von ihm lossagen oder ihn gar stürzen könnten. Es gibt durchaus erste russische Oligarchen, die öffentlich ihren Unmut über den Krieg bekundet haben. Sie haben in den letzten Tagen Zugriff auf ihre ausländischen Konten verloren, der Preisverfall des Rubels macht ihnen zu schaffen. Putins Herrschaft steht jedoch auf einem festen Fundament. Einige wenige Stimmen schon als Aufruhr zu interpretieren, dürfte viel zu weit reichen. Auch Graef sagt: „In den letzten zwanzig Jahren hat er [Putin] sich eine Machtbasis geschaffen, die eigentlich kaum von innenpolitischen Gegnern angreifbar ist. Sollte sich da etwas verändern, würde es auf einen Coup innerhalb einer engsten Führungselite hinauslaufen, wo dann Leute, die Putins Ansichten grundsätzlich teilen, sagen: Wir müssen unsere Macht sichern, das ist wichtiger.“
Neue Strategie: Eskalieren und Städte bombardieren
Carlo Masala zufolge gebe es keinen Frieden, der beide Seiten gleichwertig zufriedenstellt. Er geht davon aus, dass es auf eine militärische Lösung des Konflikts hinauslaufen wird. Während es in den zweiten Verhandlungen vom Donnerstagabend um humanitäre Korridore ging, bombardierte Russland weiterhin ukrainische Großstädte. Außer Sanktionen und humanitärer Hilfe bleibt dem Westen bei diesem Krieg derzeit fast nur noch eines: zuschauen, wie die Atommacht Russland die ukrainische Bevölkerung ausbombt.
KATAPULT führte in den letzten Tagen vier voneinander unabhängige Interviews mit Expert:innen aus den Bereichen internationale Politik sowie Friedens- und Konfliktforschung. Wir veröffentlichen die Interviews in der kommenden Woche nacheinander.
Wir werden ein Newsteam aufbauen – mit Leuten, die in der Ukraine bleiben, mit welchen, die gerade nach Deutschland flüchten, und mit welchen, die in die Ukraine reisen werden. Ab und zu wird gedruckt.
Autor:innen
Seit 2020 Redakteur bei KATAPULT.