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Mit Biertrinken die Umwelt schützen – damit wirbt das Brauereiunternehmen Krombacher seit Jahren. Pro Kasten werde ein Quadratmeter Regenwald gerettet. Google-Konkurrent Ecosia setzt ebenfalls auf das Umweltbewusstsein seiner Nutzer. Die durch Suchanfragen generierten Einnahmen spendet das Unternehmen großteils an Waldprojekte. Zahlreiche weitere Unternehmen bewerben ihre Produkte damit, dass Konsum und Umwelt vereinbar seien – etwa durch CO2-Kompensationszahlungen bei Bus- und Flugreisen.
Auch in der internationalen Klimaschutzdebatte gilt das Neuanpflanzen und Wiederaufforsten als vielversprechende Möglichkeit, die globale Erderwärmung einzudämmen und die Artenvielfalt zu erhalten. Doch nicht alle Pflanzinitiativen wirken sich positiv aus, einige können Mensch und Umwelt schaden. Manche Forscher warnen vor ungeahnten Folgen einer ambitionierten Aufforstung.
Reiche Länder forsten auf
Weltweit nimmt der Wald ab, davon berichteten die Medien in den letzten Wochen ausführlich. Das stimmt in Bezug auf den Gesamtdurchschnitt. Allerdings gibt es international gewaltige Unterschiede: Während in Ländern des globalen Südens die artenreichen Wälder verlorengehen, nimmt der Baumbestand in Europa, Nordamerika und China zu. Eine Erklärung dafür liefert eine finnische Forschergruppe um den Forstwissenschaftler Pekka Kauppi: Ihr zufolge besteht zwischen dem Wohlstand eines Landes und seiner Waldentwicklung ein positiver Zusammenhang.
Zwischen 1990 und 2015 hat sich das Waldvolumen in wohlhabenden Ländern jährlich um etwa 1,3 Prozent erhöht. Gleichzeitig nahm es in armen Ländern um durchschnittlich 0,7 Prozent pro Jahr ab. In Staaten mit mittlerem Einkommen zeigen sich weniger starke Trends – mit Ausnahmen wie Brasilien, wo Agrar- und Holzindustrie die Abholzung vorantreiben. Die Ursache dafür verorten die Wissenschaftler einerseits in den finanziellen Möglichkeiten reicher Länder, in Naturschutz zu investieren. Eine zentrale Rolle spielten andererseits aber auch die unterschiedlichen Wirtschaftsmodelle. In ärmeren Regionen leben viele Menschen von der Subsistenzwirtschaft, produzieren also vorwiegend für den Eigenbedarf. Sie verwenden Holz als Energielieferant und dehnen ihre Felder teilweise in Waldgebiete aus. Wohlhabende Länder hingegen forsten Flächen häufig wieder auf, die zuvor landwirtschaftlich genutzt wurden. Auch die Holzernte wird oft durch Neupflanzungen kompensiert. Dabei verfügen diese Staaten im Gegensatz zu Entwicklungsländern über eine professionelle Forstwirtschaft und Forschungseinrichtungen zum Managen dieser Prozesse. In ärmeren Regionen ist das kaum der Fall, zudem fehlen oft die behördlichen Kapazitäten, um Raubbau und illegalen Holzschlag zu unterbinden. Der Holz- und Papierbedarf reicher Nationen trägt überdies erheblich zum Waldverlust bei.
Allerdings weisen auch einige aufstrebende Schwellenländer Zuwachsraten bei den Waldbeständen auf, insbesondere China und Indien. Allein auf China entfallen 25 Prozent der globalen Zunahme von Vegetationsfläche seit dem Jahr 2000. Davon sind etwa die Hälfte Wälder. In Indien haben Bürger im August im Rahmen einer großangelegten Regierungskampagne hunderte Millionen neuer Baumsetzlinge gepflanzt.
Aufforstung verteuert Land & Lebensmittel
Gerade dort, wo Regierungen das Pflanzen neuer Wälder vorantreiben, entstehen aber auch Konflikte. Denn Aufforstung benötigt vor allem eines: Platz. Viele der Landstriche, in denen neue Bäume gepflanzt werden oder die dafür besonders geeignet erscheinen, sind nicht unbewohnt, sondern werden von Bauern bewirtschaftet. So kam es dieses Jahr im indischen Bundesstaat Telangana zu Ausschreitungen zwischen Bewohnern dörflicher Gemeinden und Mitarbeitern von Forstbehörden. Die Einwohner beklagen, dass sie ihre Äcker und damit ihre Lebensgrundlage im Zuge der indischen Aufforstungsprogramme verlören. Den Beginn der Pflanzungen versuchten sie deshalb gewaltsam zu verhindern.
Solche Streitigkeiten um Landeigentum und -nutzung dürften mit höheren Aufforstungsraten tendenziell zunehmen. Das erwartet die Forschergruppe um Pete Smith von der Universität Aberdeen und Sabine Fuß vom MCC Berlin. Sie hat die möglichen sozialen Auswirkungen verschiedener Maßnahmen zur CO2-Reduktion untersucht. Ihre Schlussfolgerung: Aufforstung ist ein vielversprechendes Mittel zum Klimaschutz. Sie kann aber auch zu gravierenden sozialen und ökologischen Problemen führen, vor allem weil sich durch neu gepflanzte Wälder die Konkurrenz um Land und Wasser verschärft. Von den sechs analysierten Maßnahmen zur landbasierten CO2-Speicherung haben nur zwei wenig problematische Nebenwirkungen: die Wiederherstellung von Feuchtgebieten und das Anreichern von Kohlenstoff in Ackerböden. Bei allen anderen, auch der Neu- und Wiederaufforstung, sei stattdessen ein Risikomanagement und aktives Monitoring notwendig. Das soll vor allem dafür sorgen, dass es durch den zunehmenden Wettbewerb um fruchtbare Ackerflächen zu keinen Engpässen in der Nahrungsmittelversorgung kommt.
Denn Flächenkonkurrenz wirkt auch als Preistreiber: Äcker werden knapp und damit teurer, in der Folge steigen die Preise für Getreide und Tierprodukte. Die negativen Folgen dürften vor allem Menschen in prekären Lebensbedingungen treffen, etwa in Afrika südlich der Sahara und in Südasien. Sozial unausgeglichener Klimaschutz kann demzufolge Hunger verursachen. Selbst aus ökologischer Perspektive ist Aufforstung den Forschern zufolge nicht immer die beste Alternative. Denn sie kann lokale Nährstoffkreisläufe stören, die natürliche Bodenspeicherung von CO2 reduzieren und den Wasserhaushalt der Böden verändern.
Klimaschutzdebatte vergisst soziale Folgen
Patentlösungen gibt es bei Maßnahmen zur CO2-Reduktion nicht. Welches Konzept jeweils am besten geeignet ist, hängt vor allem von den lokalen Bedingungen ab. Nur wenn sie sich in regionale Stoff- und Wirtschaftskreisläufe sinnvoll integrieren lässt, können etwa durch Aufforstung nachhaltig Arbeitsplätze entstehen.
In der Debatte über das Aufforsten und den Klimaschutz fehlt das ethische Problembewusstsein. Auch das Pariser Klimaabkommen enthält keine konkreten Überlegungen zu unerwünschten Folgen für die Bevölkerung. In der Forschung finden diese bislang ebenso wenig Berücksichtigung. Deshalb sind die Erwartungen an Aufforstungsprojekte oft zu hoch. Mit ambitionierten Vorhaben gehen politische Entscheidungsträger aber hohe Risiken ein, weil sie potentielle Folgen nur schlecht abschätzen können.
In Irland von einem auf elf Prozent Wald
Selbst in Europa treffen Aufforstungsprojekte auf Gegner. Schauplatz Irland: Heute sind etwa elf Prozent des Landes mit Wald bedeckt, noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug der Anteil lediglich rund ein Prozent. Den Zuwachs verdankt das Land einer langfristigen Aufforstung, die die irische Regierung auch künftig weiter vorantreiben will. 18 Prozent Waldbedeckung bis 2046 hat sie als Ziel formuliert.
Gegen diese Pflanzungen wehrt sich aber beispielsweise die Initiative »Save Leitrim«. Zu der Aktivistengruppe gehören Farmer, Künstler und lokale Unternehmer aus Leitrim, einem ländlich geprägten Kreis mit 32.000 Einwohnern. Sie lehnen Aufforstungen nicht generell ab, kritisieren aber die konkrete Umsetzung in ihrer Heimatregion als »industrielle Monokultur«. Denn bei den Pflanzungen dominiert eine einzige Baumart, die Sitkafichte. Sie ist ursprünglich nicht in Irland beheimatet, sondern stammt aus Nordamerika. Doch die irischen Böden bieten sich für ihre Kultivierung besonders an. Mit dem schnellen, hohen Wuchs generiert die Sitkafichte Arbeitsplätze und liefert Baumaterial. Sie ist inzwischen als wichtiger Holzlieferant in ganz Irland verbreitet.
Die Gegner bemängeln, dass die einseitige Aufforstung zu sauren und trockenen Böden führe. Zudem seien die Forste zu dunkel, um ein artenreiches Wildleben zu beheimaten. Irische Forstunternehmen wie Green Belt oder Coillte empfinden diese Darstellung zwar als zu negativ, doch sie räumen ein, dass mehr Diversität bei den Neupflanzungen nötig sei. Deshalb hätten sie inzwischen begonnen, weitere Baumarten unterzumischen.
Vom Braunkohlerevier zum Laubmischwald
Falsches Aufforsten kann ökologische Schäden anrichten – das beweisen zahlreiche Beispiele. So haben die Monokulturen der vergangenen Jahrzehnte die Wälder anfällig für Brände gemacht, in Westkanada ebenso wie in Deutschland. Denn artenarme Nadelwälder sind trocken und kaum widerstandsfähig. Zugleich gibt es aber auch zahlreiche Belege für gelungene Aufforstungsprojekte: Das Begrünen von Wüsten durch lokale Maßnahmen in Äthiopien oder Westafrika ist sowohl ökologisch als auch sozial vielversprechend. Einige deutsche Wälder, wie im Rheinischen Braunkohlerevier, wurden naturnah mit Laubmischwäldern wiederhergestellt. Das ist auch unter klimatischen Gesichtspunkten sinnvoll, denn artenreiche Mischwälder können wesentlich mehr Kohlenstoff speichern als Monokulturen.
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