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Buchpreisbindung

Warum das Buch trotzdem überlebt

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In neun europäischen Ländern gibt es eine Buchpreisbindung, in Deutschland mittlerweile seit über 130 Jahren. Doch trotzdem wird auch hierzulande noch immer über ihren Sinn diskutiert. Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat das Buchpreisbindungsgesetz? Georg Götz von der Universität Gießen ging dieser Frage für den Börsenverein des deutschen Buchhandels nach. Er kam dabei zu dem Schluss, dass die gesetzlichen Regelungen eine positive Wirkung auf den Buchmarkt haben. Dafür verglich er Zahlen aus Deutschland mit denen aus dem Vereinigten Königreich. Denn dort wurde Ende der 1990er-Jahre das »Net Book Agreement« abgeschafft, das unter anderem eine Buchpreisbindung vorsah. Die Zahl der unabhängigen Buchhandlungen hat sich dort seit 1995 mehr als halbiert: von ehemals 1.894 auf 890 im Jahr 2019. Auch in Deutschland sank die Zahl der Buchhandlungen und Filialen von rund 7.600 im Jahr 2000 auf rund 4.500 in 2018. Immerhin ein Rückgang um knapp 41 Prozent.

Doch ein Blick auf die Umsatzverteilung offenbart zwei unterschiedliche Welten: Während in Großbritannien rund 50 Prozent des Umsatzes vom Internethandel erzielt werden, sind es in Deutschland nur etwa 20. Ungefähr die Hälfte läuft hier weiterhin über den Einzelhandel und die Buchläden, in Großbritannien sind es lediglich 30 Prozent. Während also in beiden Ländern die Zahl der Buchhandlungen abgenommen hat, haben sich nur in Großbritannien die Marktanteile signifikant verschoben. In Deutschland bleibt der stationäre Buchhandel weiterhin wichtigster Vertriebsweg.
Für die Verlage ist das durchaus relevant. Denn pro geschlossenem Buchladen werden jährlich im Schnitt über 6.000 Bücher weniger verkauft. Hochgerechnet auf alle verloren gegangenen Buchhandlungen bedeutet das im Zeitraum von 2014 bis 2017 einen bundesweiten Absatzverlust von fast 3,5 Millionen Büchern. Der Internethandel kann diese physischen Verkäufe vor Ort nicht eins zu eins ersetzen. Und auch das E-Book schließt die Lücke bislang nicht. Sein Marktanteil liegt aktuell bei rund 7,5 Prozent des Gesamtumsatzes. Physische Bücher sind mit ungefähr 80 Prozent Marktanteil weiterhin klar bestimmend.

Großbritannien: Außenseiter haben keine Chance

Doch Buchhandlungen sorgen nicht nur für Umsatz, sondern auch für Verbreitung. Insbesondere unbekanntere Autoren und Autorinnen profitieren davon. Für den Zeitraum 2011 bis 2018 untersuchte das Team um Georg Götz dafür 420 Titel, die frühestens drei Wochen nach Veröffentlichung auf der »Spiegel«-Bestsellerliste Belletristik erschienen. Denn in den ersten drei Wochen landen vor allem »Blockbuster« bekannter Autorinnen und Autoren auf den Bestsellerlisten. Das eindeutige Ergebnis: 237 Titel (56 Prozent) schafften es dank der Verkaufszahlen im stationären Buchhandel in die Top-20. Demgegenüber benötigten 171 (41 Prozent) eine Kombination aus Online- und Offline-Buchhandel, um dort aufzutauchen.

Im Vergleich zu Großbritannien ist der Anteil der unbekannteren Titel am Gesamtumsatz in Deutschland höher. Die Bücher auf den Verkaufsrängen 15.000 bis 50.000 machen hierzulande einen Anteil von 20,5 Prozent aus, im Vereinigten Königreich sind es nur 15,3 Prozent. Das liegt insbesondere daran, dass erfolgreiche Titel in Großbritannien rabattiert werden. So sind Bestseller für die Leser und Leserinnen zwar günstiger als weniger gut verkaufte Bücher, im Durchschnitt steigen die Preise aber konstant. Denn unbekanntere Titel abseits der Bestsellerlisten sind dadurch oft teurer. Das Problem am britischen Modell: Die ohnehin schon schlecht verkauften Bücher werden so noch unattraktiver, denn die Rabatte auf Bestseller sorgen dafür, dass vor allem diese günstigen Bücher gekauft werden. Der niedrigere Gesamtumsatz muss dann durch Preissteigerung kompensiert werden. Während im Vereinigten Königreich der durchschnittliche Preis für Bücher seit Abschaffung der Buchpreisbindung um 90 Prozent stieg, liegt die Preissteigerung in Deutschland im gleichen Zeitraum bei rund 39 Prozent. Frankreich, ebenfalls ein Land mit Buchpreisbindung, liegt mit durchschnittlich 27 Prozent höheren Preisen im gleichen Zeitraum ebenfalls deutlich unter den britischen Zahlen. Die deutsche Preisbindung verhindert also Rabattschlachten unter den Bestsellern und unterstützt die Qualitäts- und Fachbücher.

Mehr Buchhandlungen, mehr Buchkäufe

Neben Deutschland finden sich noch in einigen weiteren europäischen Staaten gesetzliche oder brancheninterne Regelungen zur Buchpreisbindung. Österreich beispielsweise führte im Jahr 2000 die gesetzlichen Bestimmungen über die Preisbindung bei Büchern ein. Von der Universität Innsbruck gibt es eine Studie aus dem Jahr 2019, die die Ergebnisse von Götz bestätigt. In Orten mit stationären Buchhandlungen werden laut der Umfrage durchschnittlich 2,84 Bücher pro Person und Jahr mehr gekauft als in Orten ohne stationäre Buchhandlung – das ist eine Steigerung von knapp 60 Prozent. Die Hälfte der Mehrverkäufe wird ausschließlich für den eigenen Bedarf erworben, also nicht als Geschenk. Buchläden bedienen demnach nicht nur eine Nachfrage, sondern fördern darüber hinaus die Leseneigung und lassen sich nicht durch Onlineangebote ersetzen.

In der Schweiz wiederum wurde die Buchpreisbindung 2007 abgeschafft; ein Referendum zur Wiedereinführung scheiterte 2012. Dort fördert jedoch der Staat Zeitungsverlage und -vertriebe mit Subventionen in zweistelliger Millionenhöhe. Geht es nach den Verlegern, sollen sie künftig sogar auf einen dreistelligen Millionenbetrag steigen. Auch Buchverlage sind seit 2016 Teil des Programms. Für Kleinverlage standen insgesamt fast 200.000 Schweizer Franken zur Verfügung.
Während europaweit unterschiedliche Modelle angewandt werden, sind sich die deutschen Studien einig: Die Buchpreisbindung hat vor allem positive Auswirkungen auf den Buchmarkt. Eine zweite Studie im Auftrag des Börsenvereins beschäftigte sich mit der Vereinbarkeit der Buchpreisbindung mit dem europäischen Wettbewerbsrecht. Andreas Fuchs von der Universität Osnabrück leitete die Studie und kam zu dem Schluss, dass das deutsche Buchpreisbindungsgesetz auch mit dem europäischen Recht vereinbar sei. Ausländischen Anbietern wird der Zugang zum deutschen Markt nicht erschwert und in vielen Punkten überwiegen die positiven Auswirkungen auf das Kulturgut Buch und die Verbraucher.

Brancheninterne Absprachen sind leicht zu verbieten

Das deutsche Buchpreisbindungsgesetz ist ein Bundesgesetz, das das Kulturgut Buch schützen, ein breites Angebot sichern und die Existenz von Verkaufsstellen fördern soll. In seinen Ursprüngen ist es schon über 130 Jahre alt. Ende des 19. Jahrhunderts gab es einen erbitterten Preiskampf zwischen den Buchhandelsmetropolen Leipzig und Berlin. Sie überboten sich gegenseitig mit Rabatten, um möglichst viele Leser und Leserinnen für sich zu gewinnen. Insbesondere die Kundschaft aus den Provinzen war für sie von Interesse. Eine Auseinandersetzung, bei der die kleinen, regionalen Buchhandlungen kaum mithalten konnten. Dieses Problem besteht auch heute noch. Damals organisierten sich die Orts- und Kreisvereine der Buchhändler individuell, definierten feste Preise und setzten auch Strafmaßnahmen durch, etwa Lieferboykotte. Der deutsche Verleger Adolf von Kröner, seit 1882 Vorsteher des Börsenvereins der deutschen Buchhändler, griff diese Regelungen in seinen »Krönerschen Reformen« von 1888 auf. Von den Verlagen wurde von nun an ein fester Preis definiert, der für die Buchhandlungen bindend war. Aufsicht und Bestrafung bei Verstößen unterlagen dem Börsenverein.

Aus der Branchenvereinbarung wurde 2002 das Buchpreisbindungsgesetz. An seinem Grundgerüst hat sich bis heute kaum etwas geändert. Das Gesetz besagt, dass die Verlage einen Preis für ihre Bücher definieren müssen, an den alle gebunden sind. Rabatte oder Sonderangebote sind prinzipiell erst einmal untersagt. Mängelexemplare, gebrauchte Bücher und Verkäufe an Schulen oder Bibliotheken sind einige der Ausnahmen. Doch auch diese sind klar geregelt. Preisbindungstreuhänder überprüfen die Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen und können auch juristische Schritte im Namen der Verlage einleiten.
Anders als in Deutschland war die Buchpreisbindung im Vereinigten Königreich nie gesetzlich verankert. Ähnlich wie in der Schweiz handelte es sich hier um eine brancheninterne Vereinbarung. In der Schweiz wurde sie vom Bundesgericht aufgehoben, weil sie gegen das Kartellrecht verstieß. Das britische »Net Book Agreement« hingegen wurde lange als gerichtliche Ausnahme vom Kartellverbot geduldet. Darüber hinaus galt sie länderübergreifend auch für Irland. Nachdem große Buchhandelsketten Anfang der 1990er die Preisbindung durch die gezielte Produktion von Mängelexemplaren unterwanderten, wurde sie schließlich auch gesetzlich angegriffen. Als Kernproblem entpuppte sich hier vor allem das gemeinsame Konzept mit Irland. Denn zuerst erklärte der Europäische Gerichtshof die länderübergreifende Vereinbarung als unzulässig und anschließend die irische Wettbewerbsbehörde – der britische Marktanteil war zu hoch. Obwohl die endgültige Entscheidung über ein Verbot noch ausstand, verließen einige große Verlage die Vereinbarung. Das bedeutete praktisch das Ende der Buchpreisbindung, bevor sie 1997 auch gesetzlich abgeschafft wurde.

Dass das deutsche Buchpreisbindungsgesetz die Absprachen der Branche schützt, stellt sich im internationalen Vergleich als vorteilhaft heraus. Es ist insbesondere der Buchpreisbindung zu verdanken, dass in Deutschland – gemessen am Umsatz – der zweitgrößte Buchmarkt der Welt und die größte Zahl an Buchhandlungen pro Kopf existiert. Die einzelne, unabhängige Buchhandlung ist hier gegenüber Handelsketten und Internetanbietern um ein Vielfaches bedeutsamer und kann vor allem dünn besiedelte Gebiete direkt beeinflussen. Eine Abkehr von der gesetzlichen Buchpreisbindung hätte vermutlich schwerwiegende Folgen für die Buchlandschaft: Ein breiter Verlust von unabhängigen Buchläden und damit einhergehend Umsatzeinbrüche für die Verlage, besonders bei den unbekannteren Titeln. Die Verlage wären gezwungen, ihre Bestseller noch stärker zu vermarkten. Externe Wettbewerber, wie beispielsweise Amazon, könnten ihre Marktposition weiter ausbauen. Zusammenfassend wären der Buchmarkt mit seinen Geheimtipps, der Buchladen mit seiner persönlichen Beratung und die Verlagswelt mit ihrem breiten Angebot, wie wir sie jetzt kennen, nicht mehr vorhanden.

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Fußnoten

  1. Flood, Alison: ›People are so happy we exist‹: indie bookshops grow despite retail slump, auf: theguardian.com (10.1.2020).
  2. Götz, Georg u.a.: Ergebnisse Forschungsprojekt Buchpreisbindung an der JLU Gießen, Pressekonferenz 8.11.2019, Gießen 2019, S. 8.
  3. Börsenverein des Deutschen Buchhandels (BDB, Hg.): Branchenumsatz und -entwicklung, auf: boersenverein.de (9.11.2020).
  4. BDB (Hg.): Zahlen zum E-Book in Deutschland, auf: boersenverein.de (9.11.2020).
  5. Götz 2019, S. 17.
  6. Ebd., S. 21.
  7. O.A.: Aktuelle Studie belegt: Buchpreisbindung sichert den stationären Buchhandel, auf: ots.at (15.2.2020).
  8. Kah, Christopher; Neururer, Daniel: Generiert der stationäre Buchhandel positive Nachfrageeffekte und verhilft dadurch dem Kulturgut Buch bei seiner Verbreitung? – Ein natürliches Experiment, Innsbruck 2019, S. 23. (University of Innsbruck, Working Papers in Economics and Statistics)
  9. Hamilton-Irvine, Bettina: Wer bin ich, und wenn ja: Wieviel gibts?, auf: republik.ch (25.3.2020).
  10. Bundesamt für Kultur (Hg.): Verlagsförderung, auf: bak.admin.ch (10.11.2020).
  11. O.A.: Schweiz fördert Verlage. Geldtöpfe für die Großen und für die Indies, auf: boersenblatt.net (7.9.2018).
  12. Fuchs, Andreas: Die Vereinbarkeit der gesetzlichen Buchpreisbindung in Deutschland mit dem europäischen Wirtschaftsrecht. Kernergebnisse des Rechtsgutachtens im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, auf: börsenverein.de (2019), S. 5.
  13. BuchPrG, § 1.
  14. Jäger, Georg: Buchhandel und Wissenschaft. Zur Ausdifferenzierung des wissenschaftlichen Buchhandels, München 1990.
  15. Ebd.; Wagner, Fritz: Neue deutsche Biographie, Band 13, Eintrag: »Kröner«, Berlin 1982, S. 59.
  16. Monopolkommission (Hg.): Die Buchpreisbindung in einem sich ändernden Marktumfeld. Sondergutachten 80, 2018, S. 34.

Autor:innen

Ist seit 2020 Redakteur bei KATAPULT.
Seine Arbeitsschwerpunkte sind aktuelle Berichterstattung, Rechtsextremismus, Umweltthemen sowie Fotos & Videos.

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