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Studie

Um die Meinungsfreiheit an deutschen Hochschulen steht es gut

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„Cancel Culture“ – zu Deutsch etwa: „Kultur des Zensierens“ – bedeutet einen Eingriff in die akademische Freiheit. Der Begriff ist seit der #MeToo-Bewegung 2017 immer wieder Gegenstand hitziger Diskussionen – nicht nur in der öffentlichen Debatte, sondern auch in der Wissenschaft. Kann man an deutschen Hochschulen noch offen seine Meinung zum Klimawandel, zu geopolitischen Konflikten oder zum Gendern äußern?

Um dies zu beurteilen, haben Forschende des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung zusammen mit der Zeit-Stiftung Bucerius untersucht, ob Wissenschaftler:innen hierzulande in ihrer akademischen Freiheit eingeschränkt sind. In einer Studie zur Redefreiheit an deutschen Hochschulen wurden knapp 9.000 Doktorand:innen, Postdoktorand:innen und Professor:innen zu ihren Erfahrungen mit „Cancel Culture“ und dem Umgang mit kontroversen Themen im akademischen Kontext befragt.

Die gute Nachricht gleich zu Beginn

Die Redefreiheit an deutschen Hochschulen scheint nicht in Gefahr. Vier von fünf Befragten geben an, in ihrem akademischen Umfeld keine nennenswerten Einschränkungen erlebt zu haben. Eine systematische Cancel Culture ist nicht erkennbar. Nur drei Prozent bewerten die „Autonomie und Forschungsfreiheit im Wissenschaftssystem“ als „sehr schlecht“.

Dennoch gibt es individuelle Erfahrungen mit Einschränkungen. Insbesondere Frauen und nichtbinäre Personen seien davon betroffen. Diese Erfahrungen scheinen zudem abhängig von der Fachrichtung zu sein: In den Sozial- und Verhaltenswissenschaften berichten etwa ein Drittel der Befragten von einschränkender inhaltlicher Kritik an ihrer Arbeit, gefolgt von den Geisteswissenschaften mit 28 Prozent. In der Medizin liegt dieser Anteil hingegen nur bei 22 Prozent. Mit „moralischer Abwertung“ sehen sich rund ein Zehntel der Befragten aus den Geistes- und den Agrar- und Forstwissenschaften konfrontiert.

Zum Vergleich: In der Medizin haben nur drei Prozent der Befragten Erfahrungen damit gemacht, dass ihre Forschung als ethisch fragwürdig angesehen wird.

Insgesamt sind die Sozial- und Geisteswissenschaften in allen Bereichen häufiger von Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit betroffen als die Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Die Folge dieser Einschränkungen: Neun Prozent der Befragten gaben an, aus Angst vor negativen Folgen Forschungsergebnisse nicht veröffentlicht zu haben, sechs Prozent haben deshalb Forschungsprojekte abgesagt.

10 Prozent würden Vorträge zu umstrittenen Themen absagen

Ein zentrales Thema der Studie ist auch der Umgang mit politisch kontroversen Themen an Hochschulen. Dazu wurden die Teilnehmer:innen nach ihrer Haltung zu umstrittenen Themen, wie beispielsweise dem Nahostkonflikt, befragt. Das überraschende Ergebnis: 23 Prozent finden es akzeptabel, Israel als Staat abzulehnen, gleichzeitig gestehen aber 88 Prozent der Befragten Palästina ein Existenzrecht zu.

Obwohl neben „Israel als Staat ablehnen“ auch Themen wie „das Grundgesetz ablehnen“ oder „gendergerechte Sprache verpflichtend einführen“ eher auf Ablehnung stoßen, fordern, je nach Thema, maximal zehn Prozent der Befragten die Absage von Vorträgen zu umstrittenen Themen. Die Absage bestimmter Veranstaltungen wird gemeinhin als Ausdruck von Cancel Culture angesehen.

Der bisher veröffentlichte Kurzreport zur laufenden Studie ist erst der Anfang. Die Forschenden wollen noch tiefer in das Thema eintauchen, indem sie auch die politische Orientierung der Hochschulmitglieder berücksichtigen und beispielsweise näher auf den Nahostkonflikt eingehen.

Das Ziel: Die Untersuchung soll eine breite, wissenschaftlich fundierte Basis für den Austausch über die Redefreiheit an deutschen Hochschulen schaffen.

Vorgestellter Forschungsbeitrag:

„Akademische Redefreiheit. Kurzbericht zu einer empirischen Studie“ von Gregor Fabian, Mirjam Fischer, Julian Hamann, Anna Hofmann, Matthias Koch, Uwe Schimank, Christiane Thompson, Richard Traunmüller und Paula-Irene Villa (Oktober 2024)

Dieser Artikel erschien erstmals in der 36. Ausgabe des KATAPULT-Magazins.

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