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In Greifswald gibt es jetzt eine neue Regionalzeitung. KATAPULT MV. Wir haben sie gerade erst gegründet und dafür ein eigenes Büro eingerichtet. Frau Hansen fragt mich, was es sonst noch Neues gibt. Ich sag: KATAPULT wird jetzt ein großer Multiladen. Wir gründen nicht nur die Regionalzeitung, wir kaufen auch 35.000-m2 -Grundstücke, sanieren eine gesamte Schule, bauen ein Holzhaus und eine riesige Baumschule. Frau Hansen nickt und nimmt es hin. Währenddessen starrt Tim Ehlers verzweifelt auf den Monitor und sucht seine Passwörter. Die erste Redaktionssitzung beginnt. Wir entscheiden, nicht nur über Politik und Wirtschaft zu schreiben, sondern auch über den ganzen anderen Klimbim: Liveberichterstattung über die hübschesten Karnickel und die merkwürdigsten Orte, aber auch über Kultur und Sport! Denn das war Layout-Andie sofort klar, »hier in MV, hier wird viel Sport gemacht!« Im Ernst Leute, wie viel Spaß macht denn bitte schön eine Lokalzeitung?! Das wird riesengroß, wir werden die größte Lokalzeitung der Welt, meint Frau Hansen. Andie und ich, wir hören das und sagen gleichzeitig »Ja!«. In den nächsten Wochen kommen noch viele weitere Andies und Frau Hansens ins MV-Team und Tim Ehlers sucht immer noch seine Passwörter.
Was gibts sonst noch? Unsere Schule wird in einem Tempo saniert – so hab ich mir das immer vorgestellt! Im Oktober wollen wir schon einziehen. Dann haben wir zwei Million Euro weniger aufm Konto, aber dafür 2.000 m2 Bürofläche, einen großen Sitzungsraum, eine Photovoltaikanlage, sauviel Platz für Café Karsten und eine Dachterrasse. Derzeit bauen wir auch Holzhäuser neben die Schule. Das Wichtigste aber werden die Hochsitze. Juli Katz hat sich nämlich überlegt, dass es viel schöner wäre, wenn die Einzelbüros nicht im großen Haupthaus sind, sondern auf Hochsitzen, wie man sie aus dem Wald kennt. Also los: Hochsitze bauen, Dämmung, Heizung, Tisch und Stuhl rein. Danach alle Hochsitze lose auf dem Grundstück verteilen – wie toll ist das denn?! Einen Hochsitz haben wir schon mal testweise gebaut und ausprobiert. Tim Ehlers war noch nicht drauf. Er sucht seine Passwörter.
Die KATAPULT-Journalismusschule
Wenn die Schule erst mal fertig ist, wollen wir da auch sofort n Festival organisieren und ne Greifswalder Buchmesse hinschmettern, aber wir müssen abwarten, wie es mit Corona weitergeht. In der Zwischenzeit hatte ich mich kurz mal über einen Journalisten aufgeregt, der von der Springerakademie ausgebildet wurde. Aber was reg ich mich eigentlich auf? Warum mache ich es nicht einfach besser, wenn ich Springer doch so scheiße finde? Deshalb kommt jetzt das Wichtigste, Größte und Bedeutendste, das wir bisher gestartet haben! Achtung: Wir gründen eine eigene Journalismusschule. In Greifswald. Bidde was? Ja genau, ganz genau das Gleiche wie die beknackten Ausbildungsstätten von Springer, Burda und Madsack – nur eben ohne die ganze Boulevardgrütze. Greifswald wird die neue Antiboulevard-Journalismushochburg. Wer hätte das gedacht? Ihr nicht? Ich auch nicht. Aber jetzt eben doch. Denn wisst ihr, was mir mal aufgefallen ist? Es gibt noch gar keine Journalismusakademie in Greifswald. Aber wartet mal, es gibt ja nicht mal eine in Mecklenburg-Vorpommern. Echt nicht? Nee! Und das Nächste haut euch um, das glaubt ihr im Leben nicht: Es gibt auch keine in Brandenburg, keine in Thüringen, keine in Sachsen-Anhalt.
Der Deutsche Journalistenverband listet genau 23 Journalistenschulen in Deutschland auf. Schätzt mal, wie viele davon in den neuen Bundesländern stehen. Na? Ideen? Tja! Es ist nur eine einzige. Und zwar in Leipzig. Wirklich nur eine alleine. Hart. Die Leute fragen sich, warum der Osten medial manchmal abkratzt und dann kommt raus, dass 4,3 Prozent unserer Journalismusschulen aus den neuen Bundesländern kommen. Was ist das für ein Mist, weite Teile des Landes ohne Schule? Wahnsinn. Diese eine Schule aus Leipzig ist im Vergleich zu denen von RTL, Burda und Springer relativ klein. Deshalb kommt jetzt unsere neue Schule dazu. In Greifswald und mit der Option, ab und zu in einem Hochsitz zu arbeiten. Springer bildet 40 Leute pro Jahr aus, also ist unser Ziel klar: 41.
Wie siehts qualitativ aus? In der KATAPULT-Journalismusschule lernt man nicht, wie man tendenziöse Fragen stellt und seine Interviewten veräppelt, sondern wie man schreibt, Grafiken baut, Statistiken liest, wissenschaftliche Methoden auswertet – und auch, wie man Kausalität von Korrelation trennt – und vielleicht auch, wie man programmiert und sich seinen eigenen Hochsitz aus Holz baut. Unser bald saniertes Schulgebäude wird wohl nicht reichen für 41 Schüler:innen, deshalb planen wir direkt, ein weiteres Gebäude neben die Schule zu bauen. Dicker, länger, höher!
KATAPULT-Lokal für alle 16 Bundesländer
Was brauchen wir eigentlich für so eine Journalismusschule? Etwa sechs bis zehn Lehrer:innen und eine liebe Schuldirektorin. Was fehlt noch? Wissenschaftskooperationen. Ich frage hiermit offiziell an, ob die Uni Greifswald, die Fachhochschule Neubrandenburg und die FH Stralsund mit uns zusammenarbeiten wollen. Ich frage hiermit auch das Land MV hochoffiziell, ob es für so ein Projekt Unterstützung in Form von Moneten, also im Sinne von Penunsen, gibt. Sacht mal, gibts das? Ich fänds gut und würde auch Werbung für Meck-Vorb, also Mecklenpomm-Vorburger, machen!
Wozu brauchen wir die überhaupt, diese Journalismusschule? Nun – wenn KATAPULT MV erfolgreich bleibt, dann starten wir auch in den 15 übrigen Bundesländern eine Lokalausgabe. Aber dafür brauchen wir eben Journalist:innen, die mehr können, als sie normalerweise in Schulen lernen.
Brauchen wir die Journalismusschule nur für uns selbst? NEIN! Die Uni Zürich hat herausgefunden, dass Leute weniger wählen gehen, wenn Lokaljournalismus nicht vielfältig ist. Der Zusammenhang ist kausal. Das heißt, schwacher Lokaljournalismus gefährdet die Demokratie. Warum hat sich denn hier niemand um die neuen Bundesländer gekümmert? Das kann ja wohl nicht wahr sein. Also wenn ich als BRD die Gebiete der ehemaligen DDR dazubekommen hätte, dann hätte ich ja dort zuerst Journalismusschulen gebaut, um demokratische Strukturen zu stärken. Stattdessen lachen heute viele über das Wahlverhalten der Sachsen, Pommern und Brandenburger – vielleicht auch nicht nur über das Wahlverhalten. Was die aber nicht wissen, wir lachen bereits über uns selbst und bauen jetzt eigene Schulen – im Osten, besser und lustiger. Also freut euch mit uns und schmeißt wenigstens mal nen mittelgroßen Farbbeutel gegens Springerhhochhaus! Ich möchte hiermit die »Neue Ostdeutsche Selbstherrlichkeit« ausrufen. Das ist als historische Epoche gemeint. In dieser Epoche werden in allererster Linie Journalismusschulen gebaut.
Frau Hansen will dieses KATAPULT MV jetzt sogar richtig groß aufziehen. Sie schlägt vor, auch über den polnischen Teil der Insel Usedom zu berichten oder direkt mit Journalistinnen aus Westpolen zu kooperieren. Unsere polnischen Nachbarn sind uns doch näher als manche Bundesländer. Was für eine schöne Idee: Lokal kann eben auch international heißen. Das ist genial, sagt Andie. Ich nicke, so stark ich kann, und Tim Ehlers hat nicht zugehört. Er sucht seine Passwörter. Diese Lokalzeitung wird übrigens nicht nur Bierkarten, Pommernwitze und Karnickelstorys veröffentlichen, sondern auch neuartige Recherchen durchziehen: Crowdsourcing, Geotagging und Massendatenauswertung. Das alles haben wir bereits festgelegt und damit begonnen – Frau Hansen, Andie und ich. Tim Ehlers noch nicht, und ich muss nicht sagen, warum nicht.
Wie viele Ankündigungen hat dieser bescheuerte Text eigentlich?
- KATAPULT MV ist neu, steil und genial.
- Wir gründen eine Journalismusschule!
- Tim Ehlers findet seine Passwörter nicht.
Eine Sache fehlt aber noch: Wir gründen »KATAPULT Kultur«. Haben wir (in Form von Julius Gabele) die letzten Monate schon vorbereitet. Literatur, Sport, Musik – die ganze Kultur als eigenes Statistikmagazin. Warum das denn jetzt noch? Wir halten es ohne nicht aus. Erst mal online und später auch gedruckt kommt das raus. Chefredakteur für »KATAPULT Kultur – Magazin für sogenannte Sachen« wird Julius Gabele sein, denn er ist mit Abstand der Beste auf dem Gebiet »Sachen«. Vielleicht wird es auch »Magazin für Kulturbums« heißen. Auf jeden Fall sagt Gabele, »der Content passt perfekt für die Insta-Bubble. Das ist alles relatable.« Seine Stärke: Er weiß ganz genau, welche Wörter gerade vom Partyvolk genutzt werden und welche nicht. Ich glaub, cringe und Boomer gehen gut, aber weird und scary sind schon lange wieder out – voll tüffig, der Gabele.
Es gibt sogar einen KATAPULT-Podcast in diesem KATAPULT Kultur. Der kommt von mir, weil ich eine schlechte Idee hatte: Wir essen die schärfsten Soßen der Welt und interviewen Leute, die ein Buch geschrieben haben, damit die mal aus sich rauskommen und ordentlich leiden. Einen leidenden Eckart von Hirschhausen, das wär doch ansehnlich! Den Piloten hab ich mit Passwort-Ehlers gedreht. Es ist direkt schiefgelaufen, also erfolgreich gewesen. Zu allem Überfluss haben das sechs Kameras gefilmt. Wir mussten abbrechen. Ich konnte nicht mehr, mein Hals ist mir weggefetzt und Ehlers hat sich gefreut. Dafür hat er dann aber den Folgetag komplett aufm Klo gewohnt und ich nicht. Freude. Sehr viel Freude!
Womit niemand rechnet: Ehlers packt aus
Wir sitzen seit einer Woche in unserem neuen Lokalbüro und eine Person sucht seit einer Woche ihre Passwörter. Immer noch. Meiner Meinung nach ist Tim Ehlers komplett aus den Fugen, aber immer wenn man das denkt, wenn man das Gefühl hat, er ist so richtig von der Rolle – dann kommen seine größten Momente, dann packt Ehlers aus, dann kommt Unerwartbares, dann sind alle baff, weil er eben ne richtige Ansage macht, einfach so, ohne Ankündigung, ganz aus dem Kalten eben.
»Verdammte Scheiße«, flüstert Tim Ehlers, »warum schreiben wir nicht einfach mal, dass Neubrandenburg die hässlichste Stadt der Welt ist?« Dann klicken alle rauf und wenn sie danach auf unserer Seite sind, zerstören wir alle Klischees des Ostens! Wir zeigen Neubrandenburg in seiner vollsten Schönheit, meint er. Gute Idee. Gesagt, gemacht. Was passiert dann? Wir merken, dass das keine gute Idee, sondern eine mörder Idee ist. Der Artikel explodiert komplett. Unser Server ist am Limit. Unfassbar viele Leute schicken uns Hunderte weitere schicke Neubrandenburg-Bilder. Sie schreiben uns kleine Texte, voller Stolz auf ihre Stadt. Und: Die hören einfach nicht mehr auf.
Jeden Tag kommen weitere Bilder. Wie schön ist das denn, die hören echt nicht mehr auf?! MV wird von außen oft belächelt, als abgehängt und zurückgeblieben angesehen, aber wenn man die Menschen hier richtig rum anspricht, entstehen die emotionalsten Situationen mit den schönsten Bildern. Wir sind angekommen. Das ist sie – DIE neue Ostdeutsche Selbstherrlichkeit, von der immer alle reden. Danke, Tim
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Autor:innen
Der Herausgeber von KATAPULT und Chefredakteur von KATAPULTU ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete während seines Studiums das KATAPULT-Magazin.
Aktuell pausiert er erfolgreich eine Promotion im Bereich der Politischen Theorie zum Thema »Die Theorie der radikalen Demokratie und die Potentiale ihrer Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten«.
Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)
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