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Im Jahr 2019 wurden über 21.000 rechtsextremistisch motivierte Straftaten in Deutschland registriert, rund acht Prozent davon verübten Frauen. Ein Fall, der in letzter Zeit besonders viel mediale Aufmerksamkeit erhielt, war der Prozess gegen Beate Zschäpe. Mittlerweile ist sie als Mittäterin des NSU verurteilt. Sie musste sich verantworten für die Ermordung von zehn Menschen und weitere Mordversuche. Trotz des Interesses an dem Gerichtsverfahren richtet sich der Fokus beim Thema Rechtsextremismus aber immer noch eher auf Männer. Rechte Frauen werden oft übersehen oder unterschätzt. Ein Grund: das Klischee der friedliebenden Frau, die keine menschenfeindlichen Positionen haben könne. Außerdem werden Frauen häufig fälschlicherweise als weniger politisch wahrgenommen, besonders stark ist diese Einschätzung bei rassistischen und antisemitischen Einstellungen. Dieses Phänomen heißt im Kontext von Rechtsextremismus »doppelte Unsichtbarkeit«. Besonders problematisch daran ist, dass rechtsextreme Straftaten so unerkannt bleiben oder nicht als solche identifiziert werden. Rechte Gruppen können so leichter unbemerkt agieren.
Männer und Frauen gleich rechtsextrem
Dabei sind Frauen nicht weniger rassistisch oder antisemitisch als Männer. Das zeigen verschiedene Befragungen zur politischen Einstellung. Zwar weichen die Ergebnisse einzelner Umfragen voneinander ab, trotzdem kann man laut Renate Bitzan, Professorin für Gender und Diversity, »von einer ungefähren Gleichverteilung nationalistischer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Einstellungen bei beiden Geschlechtern ausgehen«. Zu diesem Ergebnis kommt auch die aktuelle Leipziger Autoritarismusstudie, die in regelmäßigen Abständen deutschlandweit verschiedene Dimensionen rechtsextremer Einstellungen abfragt. Eine Dimension ist beispielsweise, ob man eine rechtsautoritäre Diktatur befürwortet. Von den knapp 1.200 befragten Männern taten das etwa drei Prozent. Bei den rund 1.300 befragten Frauen waren es ebenfalls gut drei Prozent.
Auch bei den Fragen nach einer Verharmlosung des Nationalsozialismus unterschieden sich die Antworten der Geschlechter wenig voneinander. Bedeutsame Differenzen gab es nur bei zwei Dimensionen: Männer vertraten häufiger antisemitische und ausländerfeindliche Positionen. In anderen Studien wie der Langzeitstudie zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit der Universität Bielefeld zeigten sich Frauen in ihren politischen Überzeugungen allerdings wiederholt rassistischer, islamfeindlicher und ausländerfeindlicher als Männer. Was verbindet alle Studien? Die Tatsache, dass Frauen genauso wie Männer rassistische und ausländerfeindliche Positionen vertreten.
Strafverfolgung übersieht Frauen
Die ähnlichen politischen Einstellungen spiegeln sich allerdings nicht im Wahlverhalten wider. Hier unterscheiden sich Männer und Frauen voneinander. So stammten die Stimmen für rechte Parteien meist zu zwei Dritteln von Männern und nur zu einem Drittel von Frauen, ordnet Bitzan das deutsche Wahlverhalten ein. Bezogen auf die Parteimitgliedschaft ist die Differenz noch größer: Schätzungen zufolge sind die Mitglieder rechter Parteien in Deutschland zu ungefähr 80 Prozent männlich. Den stärksten Geschlechterunterschied gibt es bei rechtsextremen Straf- und Gewalttaten.
90 Prozent der Täter sind männlich. Dabei können die zehn Prozent Täterinnen auch aufgrund der Unsichtbarkeit von Frauen in der rechten Szene verzerrt sein. Die Polizei würde Tatorte auch unter geschlechterstereotypen Vorstellungen ermitteln, also beispielsweise bei Frauen weniger gewaltvolle Attacken vermuten. Ein besonders extremes Beispiel ist Mandy S., die den NSU unterstützte. Sie stellte unter anderem ihre Krankenkassenkarte zur Verfügung, damit Zschäpe unerkannt zum Arzt gehen konnte. Nachdem der NSU bereits mehrere Personen ermordet hatte, zog die Polizei erstmals einen rechtsextremistischen Hintergrund der Taten in Betracht.
Bei den Ermittlungen nutzte sie eine Liste mit allen rechtsextremen Personen in Nürnberg, schloss aber Frauen von vornherein aus. So fiel S. bei der Fahndung durch das Raster und konnte erst später überführt werden.
Ehefrauen ermöglichten SS-Männern die Flucht
Diese Verharmlosung von rechtsextremen Frauen hat Tradition. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden rechtsextreme Frauen wenig beachtet: Nationalsozialistinnen galten lange Zeit und zum Teil auch heute noch als »unbeteiligte Zeitgenossinnen«, Ausnahmeerscheinung oder als Opfer des NS-Staates. Dabei erfüllten die Frauen während und nach dem Krieg zentrale Aufgaben. Zum Beispiel bereiteten die Ehefrauen ranghoher SS-Männer die Flucht aus dem besiegten Deutschland vor und griffen dabei auf ihr Netzwerk zurück. Außerdem setzten sie sich nach 1945 für die Weitergabe rassistischer und völkischer Ideen an die nachfolgende Generation ein. Die Forschung thematisierte diese Unterstützung lange Zeit nicht, die Frauenbewegung lehnte eine Auseinandersetzung mit systemkonformen Frauen sogar lange Zeit ab und setzte lieber andere Schwerpunkte. Erst in den 1990er-Jahren begann die Wissenschaft, sich mit der häuslichen und psychologischen Unterstützung seitens der nationalsozialistischen Frauen zu beschäftigen. Mittlerweile blickt die Forschung zu Rechtsextremismus vereinzelt auch auf Frauen. Laut Esther Lehnert, Professorin für Soziale Arbeit, werden rechte Frauen wissenschaftlich aber noch viel zu wenig beachtet.
Dabei erfüllen Frauen für rechte Parteien wichtige Funktionen. Lehnert drückt das so aus: »Wir hätten diese braune Soße im Moment nicht so, wie wir sie haben, wenn es darin nicht Frauen [gäbe].« So verleihen sie der rechten Szene ein freundliches, weniger aggressives Image. Durch ein harmloses, sozial kompetentes und nettes Auftreten versuchen sie Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen. Die NPD und andere rechte Parteien setzen Frauen aus diesem Grund gezielt an Infoständen ein.
Auch bei Demonstrationen laufen sie oft in der ersten Reihe. Die Idee hinter dieser Strategie: Wenn eine Frau mitmacht, kann es ja nicht so schlimm sein. Auch Zschäpe verlieh dem NSU-Trio eine gemäßigte Fassade, die sein Leben im Untergrund ermöglichte – während sie gleichzeitig die Schusswaffen besorgt haben soll.
Puzzle von Deutschland in den Grenzen von 1937
Besonders gut funktioniert die Strategie der Verharmlosung bei gesellschaftlichen Themen wie Erziehung und Familie – in diesen Bereichen gibt es viel Engagement rechter Frauen. So sind Frauen rund um die NPD verstärkt in sozialen Berufen, in Elternbeiräten und Ähnlichem tätig. Das ist auch Teil einer Strategie, die die NPD in den 90er-Jahren entwickelte. Mit viel Engagement im sozialen und lokalen Bereich wie in Kitas, Vereinen oder Schulen sollten die Bedenken gegenüber der Partei zerstreut werden. Dabei würden Frauen ihre Position nutzen, um ihre rassistischen Überzeugungen zu verbreiten: »Da organisiert beispielsweise eine Mutter einen Schulbasar, auf dem Bücher aus dem Nationalsozialismus getauscht werden. Kinder, die in rechten Elternhäusern aufwachsen, bringen Puzzles von Deutschland in den Grenzen von 1937 mit oder bemalen sich die Arme mit Hakenkreuzen«, beschreibt die Amerikanistin Stella Hindemith ihre Recherchen.
Das Engagement im sozialen Bereich steht auch im Einklang mit der Frauenrolle in der rechten Ideologie. Nach wie vor ist eine zentrale Aufgabe rechtsextremer Frauen, Kinder zu erziehen, um die sogenannte »Volksgemeinschaft« zu erhalten. Mittlerweile hat sich die Frauenrolle in der rechten Szene aber weiter differenziert, und das Engagement der Frauen ist diverser geworden. Sie treten als Rednerinnen auf, verfassen Texte oder unterstützen die rechte Szene als Anwältinnen. Auch die Zahl rechter Frauenorganisationen hat stark zugenommen: Zwischen 1998 und 2010 wurden um die 30 neue Vereine gegründet, in denen Frauen und Mädchen sich politisch oder zivilgesellschaftlich engagieren.
In den drei Jahrzehnten zuvor bestanden nur ungefähr zehn. Eine bedeutsame Gruppe, die im Zuge dieses Gründungsbooms entstand, ist der Ring nationaler Frauen. Als Unterorganisation der NPD wurde sie 2006 gegründet und verweist in ihren Grundsätzen darauf, dass Frauen in der Politik eine Rolle spielen sollen: »Politik ist auch Frauensache! Als nationale Frauen sehen wir es als selbstverständlich an, unser Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen …«
Vermeintlich für Frauenrechte
Auch in der Neuen Rechten sind Frauen zentrale Akteurinnen und versuchen, weitere weibliche Mitglieder zu gewinnen. Etwa die Aktivistin Paula Winterfeldt von der Identitären Bewegung. Sie war ein prominentes Gesicht der Kampagne #120db. Mit dieser Aktion versuchte die Identitäre Bewegung, die #MeToo-Debatte für den eigenen Rassismus einzunehmen und Hass gegen Ausländer zu schüren. In einem Video, das die Identitären im März 2018 veröffentlichten, erzählten Frauen von Gewalttaten. Die jungen Frauen blicken ernst in die Kamera und sagen: »Ich wurde in Kandel erstochen, ich wurde in Malmö vergewaltigt, ich wurde in Rotherham missbraucht.« Die Botschaft: Deutsche Frauen seien vor Männern mit Migrationshintergrund nicht sicher. Der Name #120db steht für 120 Dezibel, so laut ist die Sirene eines Taschenalarms. Laut Winterfeldt müsse jede »deutsche Frau« mittlerweile einen solchen Alarm bei sich tragen, um sich vor der Gewalt »fremder Männer« zu schützen. Oberflächlich betrachtet scheint das Video, das in Deutschland über 100.000-mal angeklickt wurde, die Position von Frauen stärken zu wollen. Aber eigentlich nutzten die rechten Frauen das wichtige Anliegen, um ihre rassistischen Positionen in die Gesellschaft zu transportieren. Auch dieses Beispiel zeigt: Eine rechte Einstellung bleibt eine rechte Einstellung, egal von wem sie vertreten wird.
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