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NSU

Sturm, Stahl und Heer

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Im Mai 2013 begann am Oberlandesgericht in München der Prozess um die terroristische Vereinigung des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU). Hauptangeklagte ist Beate Zschäpe. Sie muss sich unter anderem wegen Mittäterschaft in zehn Mordfällen, neun hiervon an Bürgern mit einer Zuwanderungsgeschichte, verantworten. Die anderen Mitglieder des NSU, mit denen Zschäpe die ihr vorgeworfenen Taten gemeinschaftlich begangen haben soll, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, begingen im November 2011 Selbstmord.

Bereits seit Beginn der Verhandlungen erschwert Beate Zschäpe den Ablauf des Verfahrens. Sie schweigt beharrlich vor Gericht, stellte Befangenheitsanträge gegen den vorsitzenden Richter, häufig ist sie krank.

Zunächst fragt man sich, ob ihr das Gerichtsverfahren nicht tatsächlich zusetzt oder ob der vorsitzende Richter möglicherweise wirklich das Urteil bereits für sich selbst gefällt hat, was Zschäpe ihm vorwirft. Die aktuellen Entwicklungen zeigen hingegen, wie manipulativ und berechnend sie vorgeht.

RAF und NSU

Nun geht sie auch gegen ihre Pflichtverteidiger Sturm, Stahl und Heer vor. Zschäpe und später auch ihre Anwälte selbst, stellten Anträge auf Entpflichtung: das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet. Die Anträge wurden abgelehnt, stattdessen wurde ein vierter Verteidiger hinzugeholt.

Die Berufung eines vierten Pflichtverteidigers ist ungewöhnlich, aber nicht gesetzlich ausgeschlossen. Die Strafprozessordnung begrenzt nämlich nur die Zahl der Wahlverteidiger auf drei Personen.

Diese Regelung sowie auch diejenige über einen möglichen Verteidigerausschluss sind Überbleibsel aus einem anderen großen deutschen politischen Prozess in den 70er Jahren, dem sogenannten Stammheim-Prozess gegen die Anführer der Roten Armee Fraktion (RAF) der »ersten Generation« Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.

Die Ausgangslage, die dazu führte, dass diese Normen in der Strafprozessordnung eingeführt wurden, unterscheidet sich jedoch grundlegend von der jetzigen Situation im Verfahren gegen Beate Zschäpe. Im »RAF-Prozess« sah man die Gefahr, dass die Verteidiger zu sehr mit den Angeklagten und deren Straftaten sympathisierten. Sie vertraten ihre Mandanten zu gut. Aus diesem Grund wurden sie ausgeschlossen. Ebenso wurde die Anzahl der Wahlverteidiger, der potentiellen Unterstützer, gesetzlich begrenzt.

Zschäpe hingegen wünscht einen vierten Verteidiger aufgrund eines gestörten Verhältnisses zu ihren ersten drei Pflichtverteidigern. Auch aus diesem Grund versucht sie, die anderen Anwälte zu entpflichten. Sie fühlt sich nicht gut verteidigt.

Der Strafverteidiger in Deutschland darf parteiisch sein, soll es sogar. Er hat im Rahmen des gesetzlich Zulässigen allein den Interessen seines Mandanten zu dienen. Im Rechtsstaat ist er eine Institution höchster Wichtigkeit. Ohne ihn wären faire Gerichtsverfahren nicht denkbar. Auch der grausamste Mörder muss die Möglichkeit haben, sich vor Gericht zu verteidigen – ebenso wie vermeintliche Terroristen wie Beate Zschäpe.

Im Kampf gegen Staat und Gesellschaft

»Der Terrorismus [...] ist eine Form des politischen Extremismus. Durch die systematische Anwendung von Gewalt insbesondere auf ausgewählte Repräsentanten des 'Systems' soll die 'herrschende Schicht' verunsichert und die 'unterdrückte Klasse' mobilisiert werden [...] Der T[errorismus] ist faktisch ein Ausdruck der politischen Isolation revolutionärer Minderheiten.«5

Terrorgruppen wie der NSU oder die RAF haben demnach vor allem ein Ziel: den Kampf gegen den Staat, seine Regierung und die Gesellschaft.

Dieser Kampf drückt sich auch in Zschäpes Prozessverhalten aus. Hierin ähnelt sie den RAF-Anführern, die sich mit Hungerstreiks gegen eine Verurteilung wehrten.

Das Verhalten Zschäpes lässt aber vor allem erkennen, was seit über 200 Verhandlungstagen versucht wird zu beweisen: ihre manipulative Persönlichkeit, ihre Fähigkeit, andere Menschen zu dirigieren und nach ihrem Willen handeln zu lassen, ihr Potential, Straftaten zu begehen. Juristen nennen das »kriminelle Energie«.

Jugendfreunde von Zschäpe treten als Zeugen auf, um von gemeinsamen Diebstählen zu berichten. Zschäpe habe aus bloßem Spaß gestohlen. Auch hierzu schweigt sie. Allerdings strenge sie dieses Schweigen an, wie sie ihrem Psychiater anvertraute. Das sei auch der Grund, warum sie wiederholt krank wurde und der Prozess unterbrochen werden musste. Die Verteidigungsstrategie schwäche sie.

Dennoch hat Beate Zschäpe die Kraft, Entpflichtungsanträge zu stellen und ihre Anwälte zu verklagen. Würde sie nicht vielmehr ihren Verteidigern willenlos folgen, wenn sie so geschwächt ist, wie sie es darstellt?

Es soll bewiesen werden, dass Zschäpe neben Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ein gleichberechtigtes Mitglied des NSU war und nicht nur »passive« Helferin. Der Prozess wird für alle Beteiligten anstrengend. Das Gericht darf sich dennoch nicht von Zschäpes angeblicher Schwäche täuschen lassen.

Vielmehr muss es weiterhin versuchen, das Bild einer Frau zu zeichnen, die Mitglied – wenn nicht sogar der Kopf – einer rechtsextremistischen Terrorgruppe war, die mehrere Morde verübte; das Bild einer starken Frau, die sich als einzige des NSU-Trios dem zermürbenden Gerichtsverfahren mit der drohenden Zukunft einer lebenslangen Haft stellte.

Vor allem ihre Anwälte dürfen sich nicht abschrecken lassen. Gelingt ihre Entlassung, wäre dies ein enormer Rückschlag für den Prozess und dessen Fortschritte. Selbst wenn es bei einer Mandantin, die ihre Verteidiger anzeigt, schwer ist: Sie müssen hinter Zschäpe stehen und sogar zu ihr halten um den Prozess nicht zu gefährden. Um der Aufklärung willen.

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Schwerpunkt
Strafrecht

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