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Scheitern in der Wissenschaft

Publizier oder krepier!

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In Deutsch­land werden jährlich etwa 300.000 Startups gegründet, langfristigen Erfolg hat aber nur jedes zehnte. Die Gründe für ihr Scheitern sind vielfältig: schlechte Ideen, falsche Geschäftspartner, mangelhafte Geschäftspläne, fehlendes Eigenkapital, kein Plan B, kein Marketing, mangelndes Know-how. Was nach dem Scheitern bleibt, ist das Gefühl, versagt zu haben. Aber auch von außen wird unternehmerisches Scheitern kritisch gesehen.

80 Prozent wünschen gescheiterten Unternehmern eine zweite Chance. 40 Prozent aber haben Vorbehalte, Waren von diesen zu bestellen

»Zwar geben die Deutschen generell an, Fehlschlägen positiv gegenüberzustehen, und sie erkennen auch an, wie wertvoll diese als Lernerfahrung sind. Gleichzeitig decken unsere Daten jedoch eine große Skepsis auf, mit gescheiterten Unternehmern geschäftlich in Beziehung zu treten«, schreiben die Autoren einer repräsentativen Studie zur Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber unternehmerischem Scheitern. So gaben zwar 80 Prozent der Befragten an, dass gescheiterte Unternehmer eine zweite Chance verdienten, etwa 40 Prozent aber hätten Vorbehalte, Waren von jemandem zu bestellen, der bereits mit einem Unternehmen gescheitert ist.

Warum Wissenschaftler, die nicht publiziert werden, keine Kinder haben

Dieser negative Umgang mit dem Scheitern trifft in noch größerem Maße auf den Bereich der Wissenschaft zu. Fehler werden verschwiegen, die Quote »gescheiterter« Studien bleibt weitestgehend im Dunkeln. Denn was keine signifikanten Ergebnisse erzielt, wird in wissenschaftlichen Fachblättern gar nicht erst publiziert.

Das ganze Belohnungssystem in der Wissenschaft, also Beförderung oder Gehaltserhöhung, ist von Publikationen abhängig

Im Wissenschaftsbetrieb gibt es eine Redewendung: »publish or perish« - veröffentliche oder stirb. Sie beschreibt zugespitzt den Veröffentlichungsdruck, dem sich Forscher ausgesetzt sehen. »Das ganze Belohnungssystem in der Wissenschaft, also Beförderung oder Gehaltserhöhung, ist von Publikationen abhängig. Also gibt es einen sehr starken Anreiz, zu publizieren. Also wirst du alles nutzen, was dir hilft, zu publizieren, besonders wenn du prekär beschäftigt bist.«

Tatsächlich sind die Beschäftigungsverhältnisse für die meisten Forscher in Deutschland nicht besonders attraktiv: 93 Prozent aller Nachwuchswissenschaftler (bis 45 Jahre) an Hochschulen und 84 Prozent an außeruniversitären Einrichtungen sind nur befristet beschäftigt. Knapp die Hälfte jener Zeitverträge an den Hochschulen hat eine Laufzeit von unter einem Jahr. Das wirkt sich auf die Familienplanung aus. Obwohl etwa drei Viertel der kinderlosen Nachwuchswissenschaftler einen Kinderwunsch hegen, schieben sie die Familiengründung auf. Die Hauptgründe: zu geringe Planungssicherheit, zu geringe finanzielle Sicherheit, fehlende berufliche Etablierung.

85 Prozent aller Forschungsgelder sind Verschwendung

Der Druck, sich zu etablieren, führt dazu, dass Wissenschaftler immer schneller und immer mehr publizieren. Während 1996 weltweit noch etwa 1,1 Millionen Forschungsresultate veröffentlicht wurden, waren es 2016 schon knapp 3,1 Millionen. Gleichzeitig sinkt aber die Aufmerksamkeit, die eine Publikation erhält, in ähnlichem Maße.

Medizinstatistiker John Ioannidis wies nach, dass die meisten veröffentlichten Resultate aus der klinischen Forschung falsch sind

Das Problem: Die Wissenschaftlichkeit leidet darunter. Schon 2005 veröffentlichte der Medizinstatistiker John Ioannidis den aufsehenerregenden Essay »Why most published research findings are false«. Darin wies er nach, dass die meisten veröffentlichten Resultate aus der klinischen Forschung - beispielsweise aufgrund zu kleiner Studienpopulationen oder statistischer Schwächen - falsch sind. 2014 schätzte er, dass weltweit etwa 85 Prozent der investierten Gelder in unnütze, falsche oder übertriebene Forschung investiert werden. Besonders kritisch müsse man gegenüber einer Studie sein, die »nur eine kleine Zahl von Ereignissen auswertet, als eine der ersten etwas Neues präsentiert, auffallend häufig zitiert wird oder aus den USA stammt«.

Fehler entstehen etwa durch falsche Methoden oder - was noch bedenklicher ist - bewusste Verfälschung: Experimente werden so oft wiederholt, bis ein signifikantes Ergebnis herauskommt, das für eine Veröffentlichung verwertet werden kann. Aber wenn »Studien nur 10 Prozent der Versuche wiedergeben und 90 Prozent in der Schublade verschwinden, dann entsteht ein verzerrtes Bild.«

Die Ökonomisierung schadet sowohl der Forschung als auch der Gesellschaft

Dass sich immer stärker an der Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen orientiert wird, hat zur Folge, dass »Spielräume für zweckfreie Forschung« immer knapper werden. Dabei ist Ergebnisoffenheit eines der grundlegenden Merkmale von Wissenschaft. Die Ökonomisierung hingegen schadet sowohl der Forschung, weil der persönliche Karrierewunsch das eigentliche Erkenntnisinteresse überlagert, als auch der Gesellschaft, die auf tatsächlich signifikante Ergebnisse angewiesen ist. Statt einer Nötigung zum Publizieren braucht es eine Kultur des Scheiterns, in der sich das Bewusstsein durchsetzt, dass Fehler zum Erfolg dazugehören.

Erste Impulse: bei den »FuckUp Nights« treffen sich gescheiterte Unternehmensgründer, das »Journal of Unsolved Questions« veröffentlicht gescheiterte Studien

Öffentlich machen: Die meisten Forschungsprojekte produzieren zweideutige Ergebnisse
Aber wie kann die negative Sicht auf Fehler umgekehrt werden? In der Startupszene haben sich beispielsweise weltweit sogenannte »FuckUp Nights« etabliert, Abende, an denen sich gescheiterte Unternehmensgründer treffen und sich offen über ihre Fehler austauschen, anstatt sie zu verschweigen. Dem Scheitern wird dabei die Bedeutung des Versagens und damit sein Tabu genommen. Mittlerweile gibt es solche Veranstaltungen in 252 Städten und 80 Ländern, seit 2014 auch in Deutschland.

In der Wissenschaft gibt es seit 2010 etwas Ähnliches: das »Journal of Unsolved Questions« (Journal der ungelösten Fragen). Darin werden Studien aus allen Wissenschaftsdisziplinen veröffentlicht, die trotz richtiger Methoden und Versuchsanordnungen zu keinem signifikanten Ergebnis kommen. Die meisten Forschungsprojekte produzierten zweideutige Ergebnisse. Das solle sichtbar gemacht werden, um Verzerrungen und Betrug in der Forschung zu überwinden. Ein offener Umgang mit gescheiterten Versuchen zeigt Sackgassen auf und bringt die Wissenschaft voran.

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Fußnoten

  1. Vgl. Tödtmann, Claudia: Die wertvollen Erfahrungen der Gescheiterten - Gastbeitrag von Unternehmensberater Georg Kraus, auf: blog.wiwo.de (26.8.2016).
  2. Vgl. Riedel, Alexander: Gründen und scheitern. Bei Start-ups ist Erfolg die Ausnahme, auf: tagesspiegel.de (11.2.2013).
  3. Vgl. Riedel, Christian: Warum Start-ups pleite gehen [sic], auf: businessandmore.de (o.D.).
  4. Kuckertz, Andreas; Mandl, Christoph; Allmendinger, Martin: Gute Fehler, schlechte Fehler - wie tolerant ist Deutschland im Umgang mit gescheiterten Unternehmern?, 2015, S. 8.
  5. Marc Sagnier, zit. nach Rauschenberger, Pia: Scheitern in der Wissenschaft. Aus Fehlern anderer lernen, auf: deutschlandfunkkultur.de (23.4.2015).
  6. Vgl. Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (Hg.): Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017. Statistische Daten und Forschungsbefunde zu Promovierenden und Promovierten in Deutschland, 2017.
  7. Es gibt auch andere Zahlen, weil es keine allumfassende Datenbank gibt. Aber alle bestätigen den starken Anstieg. Diese Werte stammen aus der sehr umfangreichen Scopus-Datenbank des Elsevier-Verlags. Sie umfasst 57 Millionen Artikel aus über 21.000 Zeitschriften von mehr als 5.000 internationalen Verlagen.- Vgl. URL: scimagojr.com.
  8. Ioannidis, John P. A.: Why most published research findings are false, in: PLoS Medicine, (2)2005, H. 8.
  9. Vgl. Ioannidis, John P. A.: How to make more published research true, in: PLOS Medicine, (11)2014, H. 10.
  10. Drösser, Christoph: Medizin. Warum sind die meisten Studien falsch, Herr Ioannidis?, auf: zeit.de (15.6.2017).
  11. Ebd.
  12. Rieger-Ladich, Markus: Auffälliges Vermeidungsverhalten. Scheitern als Gegenstand des pädagogischen Diskurses, in: John, René: Scheitern - ein Desiderat der Moderne?, Wiesbaden 2014, S. 279-299, hier: S. 290.
  13. Vgl. URL: fuckupnights.com.
  14. Vgl. URL: junq.info.

Autor:innen

Geboren 1983, ist seit 2015 Redakteur bei KATAPULT und vor allem als Layouter, Grafiker und Lektor tätig. Er hat Germanistik, Kunstgeschichte und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Greifswald studiert.

Sein wissenschaftliches Hauptinteresse liegt im Bereich der Sprachwissenschaft.

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