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Atomkraft – nein danke! Oder doch: ja bitte? In Europa ist die Lage ziemlich kurios: Während Deutschland gerade aussteigt, steigen andere Länder ein. Ende 2022 sollen die letzten deutschen Kernkraftwerke endgültig vom Netz gehen. Polen hingegen hat vor einigen Jahren beschlossen, eigene AKW zu bauen. In Frankreich deckt Kernenergie rund 70 Prozent des landesweiten Elektrizitätsbedarfs. Ein Ausstieg ist daher nicht absehbar. Einigkeit scheint es nicht zu geben.
Lange galt Atomkraft auch in Deutschland als umweltfreundliche, preiswerte und manchmal sogar heimische Energiequelle. Das ist aber falsch. Ein großer Teil des Urans stammt aus Entwicklungsländern, der Abbau erfolgte lange zu unwürdigen Arbeitsbedingungen für die dortige Bevölkerung. Das Uran für deutsche Atomkraftwerke kam einer Recherche der Süddeutschen Zeitung zufolge lange auch aus alten russischen Atomraketen. Im Hinblick auf die Klimabilanz gibt es wesentlich bessere Alternativen: erneuerbare Energien. Und billig war der Atomstrom in Deutschland nur, weil er kräftig subventioniert wurde.
Das vielleicht größte Problem des Energieträgers ist weiterhin ungelöst. Kein einziges Land der Welt verfügt über ein ausreichendes Endlager für hochradioaktiven Müll. Keines. Immerhin zwei nordeuropäische Staaten bereiten inzwischen Orte dafür vor – andere haben noch nicht einmal ernsthaft mit der Suche begonnen. Und Deutschland? Hatte mal einen Standort, bis herauskam, dass dort überhaupt keine sichere Lagerung möglich ist. Deshalb begann die Suche von Neuem. Lediglich für schwach- und mittelradioaktiven Müll, etwa aus Krankenhäusern, existieren in manchen Ländern funktionsfähige Endlager.
Das Problem der hochradioaktiven Hinterlassenschaften lässt sich in zwei Zahlen ausdrücken. Null, die Anzahl an Ländern mit ausreichendem Endlager. Und eine Million, die Anzahl an Jahren, die eine solche Lagerstätte der Bundesregierung zufolge sicher sein soll. Denn bis die Strahlenbelastung auf ein ungefährliches Maß gesunken ist, vergehen Abertausende Jahre.
Eine Million Jahre entsprechen etwa 40.000 Generationen, zählt man vereinfacht 25 Jahre pro Generationszyklus. Seit dem Geburtsjahr von Jesus Christus haben demnach 81 Generationen gelebt. Bücher in größerer Stückzahl kann die Menschheit seit etwa 21 Generationen drucken. Und einen deutschen Nationalstaat gibt es erst seit sechs Generationen.
Doch auch bei der Zeitplanung gibt es allein innerhalb Europas große Unterschiede. Schweden beispielsweise baut nur für 100.000 Jahre. Überschaubar ist auch dieser Zeitraum kaum. Der Homo sapiens, also der moderne Mensch als Spezies, ist beispielsweise erst vor etwa 54.000 Jahren nach Europa eingewandert. Den Kontinent bevölkerten da noch die Neandertaler.
Kernkraftwerke zu bauen, ohne zu wissen, wohin mit dem hochgefährlichen Müll? Dänemark schien das zu krass. Das Land gab seine Pläne für Atomstrom 1985 auf, weil die Suche nach einem Endlager gescheitert war. Für die Befürworter hingegen ist Atomkraft auch ein optimistisches Hoffen auf die Zukunft: Irgendwann wird den Menschen schon eine Technologie dafür einfallen. Bis dahin? Einfach weg – bis Anfang der 1980er war es gängige Praxis, radioaktiven Müll ins Meer zu kippen. Erst Greenpeace-Aktionen sorgten für öffentliche Empörung, 1993 kam das Verbot der Verklappung in den Meeren. Und jetzt? Wie andere Länder bei der Endlagersuche vorgehen und was sich daraus lernen lässt, erklärt diese Ausgabe des KNICKERs.
Mit der russischen Invasion der Ukraine stellt sich zudem die Frage nach der Sicherheit kerntechnischer Anlagen neu. In diesem grausam geführten Krieg scheinen Putin und seine Generäle zu vielem bereit. Erstmals überhaupt gerieten Kernkraftwerke militärisch ins Visier. Das wirft auch die Frage auf, wie sicher kerntechnische Anlagen sind. Schon kleinere Attacken oder Hackerangriffe können gefährlich werden. Wir haben recherchiert – die Ergebnisse stehen in diesem KNICKER.
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Autor:innen
Geboren 1988, von 2017 bis 2022 bei KATAPULT und Chefredakteur des KNICKER, dem Katapult-Faltmagazin. Er hat Politik- und Musikwissenschaft in Halle und Berlin studiert und lehrt als Dozent für GIS-Analysen. Zu seinen Schwerpunkten zählen Geoinformatik sowie vergleichende Politik- und Medienanalysen.