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Immer mehr Wettfirmen kooperieren mit dem Profisport. Ihre Werbung in Stadien und während Sportsendungen sind kaum wegzudenken. Besonders beliebt: Fußball. Private Sportwetten- und Glücksspielanbieter sponsorten in der Saison 2019/2020 so gut wie alle Vereine der Fußball-Bundesliga. Einzig der SC Freiburg und der 1. FC Mainz 05 fehlten. Aber auch sie erhielten Geld von einem Glücksspielanbieter – nämlich der staatlichen Lotteriegesellschaft. Ähnlich sieht es auch in anderen Ländern aus. Die Hälfte der zwanzig Mannschaften der englischen Premier League und 17 von 24 Teams der zweiten Liga (EFL Championship) trugen in der letzten Saison beispielsweise den Namen eines Wettanbieters auf dem Trikot. Warum ist das problematisch? Wetten kann süchtig machen. Und viele Anbieter bieten online zudem illegale Glücksspiele an. Dafür darf offiziell zwar nicht geworben werden. Das tun Fußballmannschaften aber automatisch, wenn sie deren Logo auf ihrem Shirt präsentieren.
Tipico, eine der marktführenden Glücksspielfirmen mit Sitz in Malta, bietet Sportwetten und Online-Casinospiele an. Zusätzlich zum Onlineangebot betreibt Tipico auch stationäre Wettannahmestellen; eigenen Angaben zufolge etwa 1.100 Filialen in Deutschland und Österreich, die im Franchisesystem geführt werden. Mit den Geschäften baut sich das Unternehmen ein seriöses Image auf, das gleichzeitig positiv auf das Onlinegeschäft wirkt. Tipico ist offizieller Partner der gesamten Deutschen Fußball-Liga sowie Sponsor des FC Bayern München. Seit 2014/2015 unterstützt Tipico außerdem die österreichische Bundesliga. Seitdem heißt die: Tipico Bundesliga.
Werbung für Alkohol und Tabak: nein, Werbung für Glücksspiele: auf jeden Fall
So vielseitig das Angebot ist, so einseitig sind die Namen der Anbieter. Viele heißen irgendwas mit Bet: Betfair, Betway, Bet-at-home, Eaglebet, Betsson, Bethard, BetRebels, Betsafe oder BetVictor. Mit Sportwetten und Online-Casinospielen haben die meisten Wettfirmen eine ähnliche Produktpalette. Sie verdienen ihr Geld damit, dass Leute Geld einzahlen und auf ein bestimmtes Ergebnis setzen. Mit Erfolg: Im Verlauf der letzten sechs Jahre haben sich die Wetteinsätze in Deutschland mehr als verdoppelt. Allein im Jahr 2019 wurden rund 9,3 Milliarden Euro auf Sportereignisse gewettet.
Um das Geschäft anzukurbeln, investieren die Glücksspielfirmen kräftig. Bis in die Dritte Liga gibt es fast keinen Verein ohne Wettanbieter als Sponsor. Sieben von zwanzig Drittligisten trugen in der Saison 2019/2020 das Logo des Wettportals Sunmaker auf ihrem Trikot. Der Glücksspielmarkt ist unübersichtlich: Zum Jahresbeginn 2019 warben 28 verschiedene Glücksspielmarken auf Trikots und Werbeflächen bei Sportereignissen in Deutschland. Wie die Sponsoren bezeichnet werden, ist unterschiedlich. Manche sind Hauptsponsor, andere gehören zu den offiziellen oder den exklusiven Partnern. Für das Sponsoring im deutschen Profisport geben Anbieter jährlich mehr als 43 Millionen Euro aus. Auch prominente Markenbotschafter werben für verschiedene Sportwettenanbieter, darunter Lothar Matthäus, Lukas Podolski und Oliver Kahn. Der Ex-Nationaltorwart, seit 2020 auch im Vorstand von Bayern München, verspricht seit 2013 im Namen von Tipico: »Ihre Wette in sicheren Händen.« Und die Werbemaßnahmen wirken. Das bestätigt Sportökonom Konstantin Herrmann nach einer Onlinebefragung von 500 Personen – 205 davon hatten im Jahr zuvor an Sportwetten teilgenommen und galten als aktiv Wettende. 31 Prozent dieser aktiv Wettenden gaben an, über Werbung zu den Sportwetten gekommen zu sein. Mehr Einfluss hat nur das persönliche Umfeld: Mannschaftskameraden, Familie, Freunde und Bekannte.
Zusammen mit dem Hamburger Institut für Interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung hat der Arbeitsbereich Glücksspielforschung an der Uni Bremen 63 internationale Studien der vergangenen zehn Jahre ausgewertet. Ergebnis: 48 Arbeiten bestätigen eine erhöhte Suchtgefahr in Bezug auf Onlineglücksspiele.
Eine Umfrage unter 639 australischen Sportwettenteilnehmern gibt Aufschluss darüber, wer besonders gefährdet ist, eine Spielsucht zu entwickeln. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bestimmte Risikofaktoren problematisches Verhalten begünstigen. Je öfter jemand spielt und je höher die Wetteinsätze sind, desto größer ist das Risiko einer Spielsucht. Die Wissenschaftler haben sich auch demografische Faktoren angesehen. Der Befragung zufolge weisen vor allem junge Singlemänner problematisches Suchtverhalten auf. Allerdings entsprechen sie eher weniger dem Klischee suchtkranker Spieler: Die meisten von ihnen sind gebildet, arbeiten in Vollzeit und sind selbst sportlich aktiv oder zumindest sportbegeistert.
Beim klassischen Glücksspiel ist der Ausgang vom Zufall abhängig. In der Lotterie, bei Casinospielen, an Automaten oder beim Würfeln können Sieg oder Niederlage in keiner Weise vorhergesehen werden. Sportwetten bilden eine Ausnahme: Sie gelten als Glücksspiele mit Kompetenzanteil. Das heißt, dass viele Teilnehmer davon überzeugt sind, ihr Fachwissen erhöhe die Chance, einen Spielausgang oder das Ergebnis korrekt vorherzusagen. Dafür beschäftigen sie sich im Vorfeld mit der Mannschaftsaufstellung, der Leistungsform einzelner Spieler oder sehen sich Statistiken an. Oft überschätzen die Wettenden jedoch den Einfluss ihres Wissens. Forscher der kanadischen Universität Laval konnten beispielsweise belegen, dass Eishockeyexperten zwar bessere Vorhersagen treffen als Laien. Die Gewinne fielen durch das Spieldesign des untersuchten Wettanbieters allerdings nicht höher aus.
Viermal so viele Spiel- wie Geldautomaten
Ein weiteres Problem besteht darin, dass es im Bereich Sportwetten kaum Suchtprävention gibt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) engagiert sich zwar gegen Werbung für Tabak und hochprozentigen Alkohol. Sportwetten hingegen scheinen für ihn kein Problem darzustellen.
Weltweit sind 350 Millionen Menschen von Spielsucht betroffen. In Deutschland sind es ungefähr 429.000. Vermutlich sind die Zahlen zu niedrig angesetzt, denn Suchtkrankheiten haben oft eine hohe Dunkelziffer. Die Rückfallquote liegt nach einem Aufenthalt in spezialisierten Kliniken bei 60 Prozent – weniger als die Hälfte schafft es also, ihre Sucht zu überwinden. Deswegen gilt pathologisches Glücksspiel als schwere und oft chronische Erkrankung. Neben dem finanziellen Schaden kann auch das Umfeld der Betroffenen Schaden nehmen. Sie vernachlässigen mitunter ihre Angehörigen und Freunde oder verlieren ihren Job und ihre Wohnung. Offizielle Zahlen zu den daraus resultierenden sogenannten sozialen Kosten gibt es bisher nicht.
Bereits in den Achtzigerjahren wurde das pathologische Glücksspielen als eigenständiges psychisches Störungsbild definiert, seit 2001 ist Glücksspielsucht auch in Deutschland als Krankheit innerhalb der psychischen Störungen anerkannt. Denn Glücksspiel beinhaltet bestimmte Mechanismen, die Suchtpotenzial bieten. Bei Sportwetten beispielsweise wird rund um die Uhr auf nahezu alle denkbaren Ereignisse geboten – auf das Halbzeitergebnis, das Endergebnis, auf Torschützen, darauf, wer zuerst eine Gelbe Karte bekommt oder wann das zweite Tor fällt, auf Pferde und Hunde. Die Liste ist lang und umfasst neben Aktionen in sämtlichen Sportarten auch sogenannte Unterhaltungswetten: Wer wird der nächste Papst oder der nächste James Bond? Die Spiele sind immer zugänglich. 245.000 Spielautomaten gibt es in deutschen Casinos und Gaststätten – das sind gut viermal so viele wie Geldautomaten. Begünstigt wird der Sucht- durch den Zeitfaktor: Bei den sogenannten Livewetten werden Tipps während des laufenden Spiels abgegeben. Der Glücksspieler steht dabei unter enormem Druck und kann Entscheidungen nicht in Ruhe abwägen. Das hat Auswirkungen: Personen, die Livewetten spielen, haben ein fünffach höheres Risiko, ein Suchtverhalten zu entwickeln.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung untersucht regelmäßig das Glücksspielverhalten in Deutschland. Rund 75 Prozent von gut 11.500 Befragten gaben 2019 an, in ihrem Leben schon einmal an einem Glücksspiel teilgenommen zu haben. Im Jahr 2018 hatte fast die Hälfte von ihnen mindestens ein Glücksspiel gespielt. Das am häufigsten genannte Motiv: Geld machen. Das lag noch vor Spaß haben. Besonders erfolgreich waren die Befragten damit aber nicht. Nur 10 Prozent gaben an, im letzten Jahr Gewinn erzielt zu haben, fast 64 Prozent hingegen hätten einen Verlust erlitten.
Tod durch 19 Stunden World of Warcraft
Ein ähnliches Suchtpotenzial haben übrigens Online-Computerspiele. Schätzungen zufolge soll jeder Fünfte, der im Internet zockt, süchtig sein. Online-Videospielsucht kann im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen. Es gibt Einzelfälle, bei denen junge Menschen nach übermäßigem Computerspielen starben: etwa ein 24-Jähriger nach 19 Stunden World of Warcraft, ein Teenager nach 40 Stunden Diablo 3 oder ein 35-Jähriger bei einem World-of-Tanks-Marathon. 2018 klassifizierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Online-Videospielsucht als Krankheit. Dafür kennt die WHO drei Kriterien: Erstens können die Süchtigen nicht mehr kontrollieren, wie häufig und wie lange sie zocken. Zweitens ziehen sie das Spielen anderen Hobbys vor. Und drittens spielen sie selbst dann weiter, wenn sie wissen, dass es negative Konsequenzen hat. Eine leichte bis ausgeprägte Form wird als problematisches Spielen bezeichnet. Einige Wissenschaftler kritisieren, dass die Onlinespielsucht als Krankheit eingestuft wird. Die Begründung: Ihr könnten andere psychische Störungen wie beispielsweise Depressionen zugrunde liegen, die möglicherweise unerkannt blieben.
Der Vorteil dieser Klassifizierung: Es werden Statistiken über Spielsucht erhoben und diese überhaupt erst sichtbar. So verdeutlichen die Daten der Deutschen Suchthilfestatistik das Ausmaß des Problems in Deutschland. Mehr als 10.000 Personen suchten 2018 wegen ihres Suchtverhaltens im Bereich Glücksspiel eine ambulante Beratungs- und Behandlungsstelle auf. Die Mehrheit von ihnen kam wegen Abhängigkeitserscheinungen, verursacht von Geldspielautomaten in Spielhallen oder Gaststätten. Dahinter auf Platz zwei mit neun Prozent: Sportwetten.
Warum illegale Wettanbieter nicht verboten werden
Glücksspiele sind in Deutschland rechtlich nicht eindeutig geregelt. Aktuell gibt es einen regulierten und einen nichtregulierten Markt. Angebote wie staatliche Spielbanken und Lotterien, Spielautomaten oder der staatliche Sportwettenanbieter Oddset besitzen eine Glücksspielkonzession und sind damit erlaubt. Die meisten Sportwetten und Spiele in Onlinecasinos finden jedoch überwiegend unerlaubt statt. Die privaten Anbieter besitzen eine ausländische Lizenz. Nach deutschem Recht sind sie illegal. Die Angebote werden dennoch geduldet und öffentlich stark beworben. Und noch einen Vorteil haben die ausländischen Lizenzen, vorzugsweise aus Malta oder Gibraltar: Die Unternehmen zahlen dort nur 0,5 Prozent Steuern. In Deutschland sind es fünf Prozent des Spieleinsatzes. Gut für die Unternehmen, schlecht für den Staat und die Suchtgefährdeten.
2008 sollte Glücksspiel in Deutschland über den sogenannten Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) erstmals neu geregelt werden. Es folgte ein Krimi: Der Vertrag wurde notwendig, weil das Bundesverfassungsgericht zuvor das Staatsmonopol auf Sportwetten für verfassungswidrig erklärt hatte, sofern es nicht der Suchtbekämpfung diene. Also einigten sich die Bundesländer auf einen zeitlich begrenzten Vertrag, der Glücksspiel ausdrücklich in den Dienst der Suchtprävention stellte. Spielautomaten und Spielhallen blieben von der Neuregelung zunächst übrigens unberührt. Als der Vertrag Ende 2011 auslief, unterschrieben die Bundesländer einen Änderungsvertrag zum ursprünglichen Gesetz (1. GlüÄndStV) – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nämlich unterdessen beanstandet, dass man nicht einerseits das Staatsmonopol mit Suchtprävention rechtfertigen und andererseits Glücksspiel weiterhin kräftig bewerben könne. Mit der Änderung konnten nun auch 20 private Anbieter eine Konzession für eine Experimentierphase von sieben Jahre erhalten. Allein Schleswig-Holstein schränkte die Zahl der Lizenzen zunächst nicht ein. Ein Verlierer des Vergabeverfahrens klagte jedoch vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden – und erhielt 2015 Recht. Die Vergabe sei zu intransparent, so die Begründung. Darauf folgte 2016 der K.O. für die deutsche Regulierung des Glücksspiels. Denn der EuGH urteilte: Solange es kein ordentliches Vergabeverfahren gibt, dürfen ausländische Wettanbieter nicht sanktioniert werden. Es folgte der zweite Glücksspieländerungsstaatsvertrag, der die zahlenmäßige Beschränkung für Sportwettenkonzessionen aufheben sollte. Aber auch der scheiterte: Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen weigerten sich, sie wollten überdies Onlinecasinos erlauben. Heute haben »illegale« Anbieter einen Marktanteil von 20 Prozent am Glücksspielmarkt und ausländische Unternehmen einen Marktanteil von über 99 Prozent bei den Sportwetten. Zwar gilt bis Mitte 2021 der 1. GlüÄndStV rein rechtlich noch, sanktioniert werden dürfen die Anbieter wegen des EuGH-Urteils aber nicht.
Werbung ohne Profifußballer
International verschlechtert sich die Lage der Wettanbieter derzeit. So dürfen beispielsweise in der Saison 2020/2021 die Logos von Wettanbietern nicht mehr auf den Trikots in der höchsten spanischen Fußballliga zu sehen sein. Acht Vereine könnten dadurch ihren Hauptsponsor verlieren. Damit verschärft Verbraucherminister Alberto Garzón von der Vereinigten Linken die Vorschriften zu Sponsoring und erlaubten Werbemaßnahmen. Auch in Großbritannien empfiehlt ein parteiübergreifender Ausschuss des Parlaments, das Trikotsponsoring zu beenden. Um kleineren Vereinen Zeit für die Suche nach neuen Unterstützern zu geben, solle das Verbot frühestens 2023 in Kraft treten. Zusätzlich soll es in Großbritannien ein Limit für Wetteinsätze geben und Kreditkartenzahlung bei Glücksspielen verboten werden. In Italien gibt es bereits ein Gesetz, um die Anzahl von Spielautomaten zu verringern. Kontrolliert wird aber nicht. In Österreich ist der Markt weitgehend unreguliert, das Monopol hält eine teilstaatliche AG. Deswegen gibt es viele illegale Onlineanbieter. Gemein ist den Ländern meist, dass die Gesetzgebung in Sachen Onlineglücksspiel der Realität hinterherhinkt.
Auch in Deutschland könnte sich die rechtliche Lage bald ändern. Der geplante Glücksspielneuregulierungsstaatsvertrag (GlüNeuRStV) sieht ab 2021 eine Öffnung des Marktes vor. Darauf einigten sich die zuständigen Minister der Länder. Dabei geht es um die rechtliche Anerkennung bisher nicht zugelassenener Firmen – verbunden mit einer verschärften Kontrolle sowie Regeln zum Jugend- und Spielerschutz. So soll zwischen 6 und 21 Uhr keine Werbung im Radio oder Internet für Onlineglücksspiele laufen dürfen. Ein Paragraf des Gesetzentwurfs lautet außerdem: »Unmittelbar vor oder während der Live-Übertragung von Sportereignissen ist auf dem übertragenden Kanal Werbung für Sportwetten auf dieses Sportereignis nicht zulässig. Werbung für Sportwetten mit aktiven Sportlern und Funktionären ist unzulässig.« Oliver Kahns Deal mit Tipico wäre dann natürlich nicht mehr erlaubt.
Dieser Text erschien in der 19. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.
Autor:innen
Seit 2019 bei KATAPULT, seit 2020 Onlinechefin. Vor allem für die Berichterstattung über sozialpolitische Themen zuständig.
Geboren 1988 und seit 2019 in der Redaktion bei KATAPULT und KNICKER. Sie hat Kunstgeschichte und Geschichte, mit Schwerpunkt auf den Ostseeraum, in Greifswald studiert.