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Das Adjektiv „sogenannt“ ist hier durchweg angebracht: Selbsternannte „alternative“ Medien sind so wenig eine Alternative, wie es die AfD in der Parteienlandschaft ist. Und doch wächst hier etwas Gewaltiges heran. Der Einfluss von Parallelmedien in Deutschland und auch in Nachbarländern wie Österreich und der Schweiz nimmt zu. Oft verschwörungsideologische Plattformen, nicht selten mit eindeutig rechtsradikalem Tonfall und voller Fake News, breiten sie sich nicht nur der Zahl nach aus. Auch ihre Reichweite wird größer.
Das stellt einen Angriff nicht nur auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern auf weite Teile der etablierten Medien dar. Die Parallelmedien knüpfen an die Propaganda der rassistischen und inzwischen aufgelösten Pegida-Bewegung an, bei deren Aufmärschen zehn Jahre lang immer wieder „Lügenpresse“ skandiert wurde.
Tatsächlich alternativ: Taz, Correctiv, KATAPULT
Alternativmedium – so sah sich wohl auch die Taz, als sie sich bei ihrer Gründung 1978 der Gegenöffentlichkeit verpflichtete. Ist ein typisches Alternativmedium eines, das ausdrücklich gar nicht neutral sein möchte? Wie der 2014 gegründete Faktenchecker-Blog Volksverpetzer, der laut Eigenwerbung stets so sein will, „dass die AfD etwas dagegen hat“. Oder ist es KATAPULT, in dem dieser Text erscheint, und das von Greifswald und inzwischen auch Chemnitz aus einer monopolisierten Zeitungslandschaft etwas entgegensetzen möchte?
Zu nennen ist auch das Recherchekollektiv Correctiv, das angetreten ist, um mit investigativem Journalismus die demokratische Gesellschaft zu stärken. Schon vor dem Bericht über ein Geheimtreffen zur massenhaften „Remigration“ packte Correctiv heiße Eisen an, die von anderen Medien vernachlässigt wurden: etwa im März 2023 das Thema häusliche Gewalt und die damit verbundenen Justizskandale.
Etablierte Medien spielen die Bälle zu
Es gibt diese alternativen Pflanzen und Pflänzchen in der Medienlandschaft. Ihnen gegenüber ist ein rechtes Medienimperium gewachsen, das in seiner ganzen Gefahr vielfach noch unterschätzt wird. Eines, das sich selbst strategisch ergänzt durch zahlreiche Kanäle auf Plattformen wie Tiktok und Telegram. Eines, dem auch etablierte Medien regelmäßig die Bälle zuspielen, beispielsweise das Monatsmagazin Cicero oder die Neue Zürcher Zeitung, das Springer-Blatt Die Welt, die Berliner Zeitung oder auch Lokalblätter wie der in Neubrandenburg erscheinende Nordkurier oder die Schwäbische Zeitung aus Ravensburg.
Immer wieder schreibt etwa die NZZ gegen die von der CDU errichtete Brandmauer gegen Rechts an – und riet der Union zuletzt im November, sich beim Thema „Zustrombegrenzungsgesetz“ um eine parlamentarische Mehrheit nicht nur mit der FDP, sondern auch mit dem BSW und der AfD zu bemühen. Eines der Argumente: Donald Trump habe sich doch in den USA auch nie zum Getriebenen seiner medialen Kritiker machen lassen.
„Die Alternativmedienmacher“ überschrieb der Spiegel im September eine umfangreiche Recherche über die Berliner Zeitung, genannt „Protokoll einer Disruption“. Seit die Zeitung vom Ostberliner Softwaremillionär Holger Friedrich und seiner Frau Silke übernommen wurde, herrsche dort „viel Verständnis für Autokraten, Impfgegner und Russlanderklärer“.
Zweifelhafter Aktivismus bei der Schwäbischen Zeitung
In anderen Medien aufgefallen ist auch der dubiose Aktivismus des Zeitungsverbundes Nordkurier, Schweriner Volkszeitung und Schwäbische Zeitung. „Auf Kollisionskurs mit dem Pressekodex“ überschrieb das Onlinemagazin Übermedien im Oktober eine Recherche zur Schwäbischen Zeitung. Im Mittelpunkt standen die „Corona-Spekulationen“ von Philippe Debionne, der inzwischen Chefredakteur des Nordkuriers ist. Auch Medieninsider, FAZ, Taz, Zeit online und andere befassten sich mit dem Thema: „Ist die ‚Schwäbische Zeitung‘ zur Bühne für AfD und Querdenker geworden?“, lautete eine Frage. Der SWR zitierte einen Redakteur des Blattes mit den Worten, Debionne sei „affin für Rechtspopulismus und die ,Querdenker‘-Szene“– was dieser empört zurückwies.
Selbstkritik bei den abgedrifteten Zeitungen? Fehlanzeige. Auch der Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung, Gabriel Kords, schrieb im eigenen Blatt, Berichte „über einen vermeintlichen Rechtskurs“ seien „haarsträubender Unsinn“. Die Chefredaktion der Berliner Zeitung warf dem Spiegel als Reaktion auf die Kritik an den Friedrichs in einem offenen Brief vor, „regelrechte Lust“ zu verspüren, „Akteure des Berliner Verlags mit taktischen Fouls aus dem Spiel zu nehmen“.
Doch längst geht es nicht bloß um einzelne einst renommierte Regionalzeitungen oder frühere Qualitätsmedien wie Cicero oder NZZ: In einem Beitrag für die Zeitschrift Journalist – das Organ des Deutschen Journalistenverbands – zieht der AfD-kritische Autor und Journalist Michael Kraske eine bittere Bilanz zum Umgang der Medien mit der rechten Bedrohung ganz allgemein. Kraske betrachtet nicht nur den Versuch der öffentlich-rechtlichen Sender als gescheitert, AfD-Spitzenpolitiker auf „Meinungsbühnen“ zu entlarven.
Wird die ostdeutsche Wählerschaft geschont?
Auch viele Regionalzeitungen gerade in AfD-Hochburgen würden die Partei nicht hart genug anpacken: „Beim Versuch, deren ostdeutsche Wählerschaft zu schonen, gehen die Medien der AfD inhaltlich auf den Leim.“ Die rechtsradikale Partei habe es geschafft, „mit dem Kampfbegriff ,Neutralität‘ und dem Ruf nach Fairness eine Art vorauseilenden Gehorsam bei den Medien zu erzeugen“. Im Tagesgeschäft der Redaktionen vor den Wahlen bleibe der extremistische Kern der AfD „bestenfalls unscharf“.
Mit anderen Worten: An die Stelle von „besorgten Bürgern“ – letztlich ein Euphemismus für Menschen, die sich von der Demokratie längst abgewandt haben – treten immer häufiger „besorgte Leser“. Mit ihnen möchten sich viele Redaktionen immer seltener anlegen, um die existenzielle Krise ihrer Blätter nicht zu verschärfen. Dramatisch zu kurz kommt, sagt auch Kraske, dann „die Berichterstattung über den demokratischen, kreativen und vielfältigen Osten, den es selbst in rechten Hotspots gibt“.
Querfront und Provokation
Es ist ganz allgemein in der Medienlandschaft etwas ins Rutschen geraten. Und die selbsternannten „freien“ und „alternativen“ Medien schaffen das ideologische Fundament dafür. In der Juni-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik schrieb Markus Linden über die „radikale Mosaik-Rechte“, die sich durch Selbstverharmlosung und Provokation auszeichne, ohne durchweg rechtsextrem zu sein: „Das Feld reicht von den Nachdenkseiten bis Nius, von Multipolar bis Tichys Einblick, vom Deutschlandkurier bis Auf1, von der Weltwoche bis zu Kontrafunk, von Apolut bis zum RT-Nachfolger Infrarot.“ Mehrere Parteien wurzelten dort, neben der AfD zum Beispiel das Bündnis Sahra Wagenknecht, die Werteunion von Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, die Corona-Verharmloser von Die Basis – eine „Querfront“ rechter und linker Ideologien mit dem Ziel, politische Macht zu gewinnen. Deren Vertreter fänden „eine Öffentlichkeit, die eigene Experten und eigene Wahrheiten besitzt, nie diskursiv ist und immer ihren Gegner kennt“. Laut Linden steckt hinter dem Begriff „Mosaik-Rechte“ ein größeres strategisches Konzept der neuen Rechten. Das Rechtsaußen-Lager verfolge so die Absicht, seine Ziele bis in angeblich konservative Kreise zu etablieren.
Faesers Fehlschlag
Diesem Muster folgt auch das rechtsextreme Magazin Compact von Jürgen Elsässer. Der Versuch von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), es auf Grundlage des Vereinsrechts zu verbieten, wurde zu einem Fehlschlag. Einen Monat nach dem Vollzug setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verbot im August teilweise wieder aus. Und betonte das „besondere Gewicht“ von Meinungs- und Pressefreiheit. Faesers 79-seitige Verbotsverfügung landete erst einmal im Aktenschrank: „Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie.“ Und: Compact vertrete ein „völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept“, nach Ansicht des Magazins „ethnisch Fremde“ sollten aus dem Staatsvolk ausgeschlossen werden. Faeser sprach von „Widerstands- und Revolutionsrhetorik“, „gezielten Grenzüberschreitungen“ sowie „verzerrenden und manipulativen Darstellungen“.
Über das Verbot soll nun erst ab Juni 2025 abschließend verhandelt werden. Den Status quo beschreibt Michael Kraske so: „An vielen Kiosken und Tankstellen kann man zwar das zwischenzeitlich verbotene rechtsextreme Compact-Magazin kaufen, nicht aber Spiegel oder Zeit. Der Journalismus ist im Osten auf dem Rückzug.“
Compact-Chef Elsässer war mal ein Linker. Seit 2016 hatten zwei Autoren des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer verfolgt, wie er sich zum rechten Agitator wandelte, im Oktober 2016 beim zweiten Pegida-Geburtstag gemeinsam mit dessen Anführer Lutz Bachmann, dem rechten Aktivisten Michael Stürzenberger, Martin Sellner von der Identitären Bewegung und dem rechten Ideologen Götz Kubitschek auf der Bühne in Dresden stand. Er sprach von „Umvolkung“, „Volkszerstörung“ und „Globalismus“, sagte Sätze wie: „Weite Teile der alten Bundesländer sind im Grunde eine islamisch besetzte Zone.“ Paul Simon und Andreas Raabe analysierten: „Elsässer beherrscht die Klaviatur der deutschtümelnden Hetze, denn er hat jahrelang gegen sie angeschrieben.“ Den Compact-Chef zitierten sie mit den Worten, die AfD sei für ihn „der Stock, mit dem wir die Blockparteien prügeln müssen, bis sie grün und blau sind“.
Beim Kreuzer war schon damals vom Verdacht die Rede, dass Compact vom Kreml finanziert wird. Der später selbst in die Parallelmedienwelt abgetauchte langjährige Russland-Korrespondent Boris Reitschuster wurde mit der Feststellung zitiert, Elsässer trage seinen Teil zur russischen Medienstrategie bei. Reitschuster beobachtete demnach bei Compact „Kontakte zu genau den Organisationen beziehungsweise Personen aus Moskau, die am lautesten davon reden, dass der Westen propagandistisch zu unterwandern ist“. Viele Texte würden sich lesen „wie aus der Propaganda-Abteilung des Kremls“. Das könne schwerlich ein Zufall sein.
Compact für eine Kanzlerin Wagenknecht
Mit fast ähnlichen Begründungen, wie sie die Bundesinnenministerin drei Jahre später für das Verbot wählte, hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz Compact bereits 2021 als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Im Februar 2024 nahmen dann Hunderte Bahnhofsbuchhandlungen in Deutschland das Blatt aus ihrem Angebot. Elsässer hatte sich derweil bemüht, durch Allianzen mit dem ideologisch entgegengesetzten Lager von der glasklar rechtsextremen Orientierung abzulenken. Ein Beispiel: Im Dezember 2022 hob das Magazin die Noch-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht auf seine Titelseite, Überschrift: „Die beste Kanzlerin – eine Kandidatin für Links und Rechts“. Mit einer eigenen Partei könne Wagenknecht bis zu 30 Prozent abräumen, ermunterte Elsässer im Editorial. „Zusammen mit der AfD würde das zu einer Querfront-Mehrheit reichen.“
Das Compact-Verbot polarisierte. Der Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit sah in der Taz keinen Eingriff in die Meinungsfreiheit: „Wen jetzt also allein die Sorge der Pressefreiheit umtreibt, der könnte die Gefahr des Netzwerks Compact, [seine] Strategie und [seine] Macht verkennen.“ Mit seinen Auftritten verfolge Elsässer ein Ziel: „Wir wollen einfach das Regime stürzen.“ Die Autorin und Desinformationsexpertin Karolin Schwarz sagte bei einer Videokonferenz des Zentrums Liberale Moderne: Compact sei „keine Presse, das ist pure Propaganda“. Aus ihrer Sicht habe es „sehr lange gedauert“, bis der Rechtsstaat reagiert habe, und sie hoffe, dass man sich hinreichend vorbereitet habe. Diese Hoffnung ging nicht auf.
Der frühere Geheimdienst-Chef Maaßen hingegen wählte das vom thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke gehypte Internetradio Kontrafunk, um Faeser zu bezichtigen, „verfassungswidrig“ und „perfide“ gehandelt und unzulässig in die Pressefreiheit eingegriffen zu haben. Maaßen äußerte sich ausgerechnet in dem Medium, das Höcke zum Sendestart im Juni 2022 auf Twitter als „hochwertige Alternative zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ gelobt hatte. Er stimmte dem Interviewer zu, dass es der Bundesregierung darum gehe, abweichende und regierungskritische Meinungen „zu diffamieren, um sie abschalten zu können“.
Hilfe von Coronaleugnern
Nach der im ersten Anlauf gescheiterten Verbotsverfügung Faesers höhnte Jürgen Elsässer dann im August: „Die Demokratie siegt über die Diktatur und das Volk siegt über das Regime!“ Bereits zuvor hatte der Schritt der Bundesinnenministerin die Szene mächtig mobilisiert. Elsässer und seine rechtsextreme Zeitschrift bekamen in der Debatte Unterstützung unter anderem von der Querdenken-Bewegung um Michael Ballweg, der in einem Aufruf zu einer Demonstration Anfang August in Berlin schrieb, er gehe davon aus, dass das verbotene Magazin bald wieder erscheine: „Freiheit lässt sich nicht verbieten.“ Tage später schmierten Coronaleugner unter Hinweis auf die Demo „Lügner“ und „Heuchler“ an die Pforte des ARD-Hauptstadtstudios.
Dies alles ist eine fatale Stimmungsmache gegen angebliche „Staatsmedien“ und „Mainstreammedien“. Ohne Berührungsängste geben Menschen wie Maaßen, die früher zum Staatsapparat gehörten, auch verschwörungsideologischen Portalen Interviews. Der Ex-Geheimdienstchef ist nur ein Vertreter einer größer werdenden Gruppe, die sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit immer noch gern etablierter Zeitungen und Rundfunkanstalten bedient, wenn diese sie fragen. Die aber zugleich die Propagandamaschinerie mittels „eigener“ Medien am Laufen hält.
Der AfD und anderen rechtsradikalen Kräften ist es gelungen, das Misstrauen in Qualitätsmedien immer weiter zu nähren. 2019 lud die AfD im Bundestag zur „ersten Konferenz der freien Medien“ ein – Compact war damals dabei, als nur einer von zahlreichen Akteuren. Auch der Aktivist Stürzenberger kam, Kubitschek, PI News und die Gründer der rechten Website Jouwatch, die mit trickreichen Anträgen jahrelang von der steuerlichen Gemeinnützigkeit profitierte. Dass speziell die AfD mit irreführenden und falschen Informationen operiert und stark mit den Mitteln der Vereinfachung und Empörung arbeitet, beschrieb die Trierer Demokratieforscherin Anna-Sophie Heinze im Februar im Verfassungsblog: Die Partei befeuere „immer wieder die Behauptung, es gebe in Deutschland eine Zensur beziehungsweise keine echte Meinungsfreiheit“.
Grenzen zwischen Links und Rechts verschwimmen
Die Grenzen zwischen Links und Rechts verwischen in dieser Szene. Die Nachdenkseiten, einst als Portal vorbildlicher Gegenöffentlichkeit gegründet, lobten den AfD-Politiker Alexander Gauland für die beste Bundestagsrede zum Ukraine-Krieg. Der rechte Blogger Roland Tichy tat sich mit dem ehemaligen Linken-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm zusammen für eine Gesprächsreihe „Streit-Bar“ als „Zeichen gegen die Cancel Culture“ – als einer der ersten Gäste wurde Nachdenkseiten-Chefredakteur Jens Berger geladen. Lisa Fitz, linkes Kabarett-Urgestein aus Bayern, quittierte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, um dann selbst ein Videoformat bei den Nachdenkseiten zu übernehmen. Bei Punkt.Preradovic auf Youtube wiederum warb sie dafür, die AfD endlich an einer Regierung zu beteiligen. Schließlich sei die Partei „demokratisch gewählt“.
Kreuz und quer laufen die Verbindungen: Der frühere Chef von Compact TV, Martin Müller-Mertens, wurde 2022 als Berlin-Korrespondent für Auf1 verpflichtet, als der österreichische Sender nach Deutschland expandierte. Die Berliner Immobilienmaklerin Silke Schröder wiederum hatte jahrelang eine Gesprächsreihe beim Lokalsender TV Berlin, in der sie unter anderem Auf1-Chefredakteur Stefan Magnet in einem 38-minütigen Gespräch gefällig befragte. Magnet warb dafür, die Macht der „Kartellmedien“ zu brechen.
Mosaik der radikalen Rechten
Die „radikale Mosaik-Rechte“, wie es Markus Linden ausdrückt, ähnelt sich in ihren Erzählweisen. Im Februar 2023 plante der rechtspopulistische Sender Servus TV aus Österreich eine Talkrunde. In der Einladung an potenzielle Gäste, verschickt von einer ehemaligen NDR-Redakteurin, hieß es: „,Friedensschwurbler‘: Mit diesem Begriff werden neuerdings all jene abqualifiziert, die sich für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und für Verhandlungen mit Russland aussprechen. Kein neues Phänomen: Seit Beginn der Corona-Pandemie steigt die Lust, das Meinungsspektrum in richtig und falsch oder sogar gut und böse zu teilen. (…) Mancher zerbricht an Hass und Hetze. (…) Ist dieser tiefe Riss noch zu kitten?“
Viele der Akteurinnen und Akteure, die heute für „Alternativmedien“ arbeiten, standen früher im Dienst jener Publikationen und Sender, die von ihnen inzwischen als „Systemmedien“ verfemt werden. Allein in der Bundespressekonferenz, der Vereinigung der Hauptstadtkorrespondenten, lässt sich das beobachten: Ein Ex-MDR-Reporter fragt für die Junge Freiheit, ein früherer Focus-Mann meldet sich für Tichys Einblick, für das Portal Nius des ehemaligen Bild-Chefs Julian Reichelt sitzt dort unter anderem der ehemalige Bild-Hauptstadtbüroleiter. Das Internetradio Kontrafunk wiederum ist durch einen früheren Korrespondenten des ARD-Hauptstadtstudios vertreten.
Internetradio aus der Schweiz
Überhaupt Kontrafunk: Der Sender mit Sitz in der Schweiz lebt vom Image, Positionen zu Gehör zu bringen, „die von den Regierungsmedien ausgeblendet werden“. Gründer und Chefredakteur ist Burkhard Müller-Ullrich, ehemals beim Deutschlandfunk. Er verlegte 2023 im Verlag der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, einer Schlüsselfigur der Neuen Rechten in Sachsen, das Buch Medienmärchen. Im Vorwort unterstellt er vor allem den öffentlich-rechtlichen Medien „gesinnungsmäßiges Mainstreaming“. Er schreibt: „Das ganze Rundfunkbiotop ist gekippt. Versifft, verseucht, unsanierbar.“
Heute gehören zum Moderationsteam von Kontrafunk unter anderem der frühere langjährige Spiegel-Autor Matthias Matussek sowie Birgit Kelle, die mit ihrem Buch Gendergaga 2016 bei der CDU Sachsen zu Gast sein durfte. Sein Spendenkonto hat Kontrafunk bei der Volksbank im sächsischen Pirna – ebenso wie das neu gegründete BSW und russische Propagandamedien.
Als Kontrafunk im Juni sein zweijähriges Jubiläum in der Dresdner Messehalle feierte, kauften 3.000 Menschen Eintrittskarten zum Preis von 39 Euro. Festredner war die ehemalige ZDF-Größe Peter Hahne. Er sagte: „Ohne den Kontrafunk lebten wir im Tal der Ahnungslosen und in einem dauernden Funkloch bezüglich Wahrheit und Vernunft.“ Hahne zeigte auf eine Karte zur Europawahl im Juni: der Osten blau eingefärbt, der Westen schwarz. Nun sei Westdeutschland das neue Dunkeldeutschland.
Zwei Monate zuvor hatte die Sächsische Zeitung über einen Auftritt in der beliebten MDR-Talkshow Riverboat berichtet. Hahne habe dort „alle Hemmungen fallengelassen“. Der Ex-Moderator fabulierte demnach von „Schulklassen, die zu 99 Prozent [aus] Migranten“ bestünden. Er nannte die Bundesregierung „irre“ und den Verfassungsschutz „Stasi“. Moderator Klaus Brinkbäumer wusste, wen die Redaktion eingeladen hatte. Er kündigte Hahne mit den Worten an: „Unser nächster Gast hat etwas hervorgerufen, was wir in dieser Form selten erleben, nämlich einen Sturm der Begeisterung ebenso wie einen Sturm der Ablehnung, als wir ihn nur angekündigt haben.“
Warum lädt der öffentlich-rechtliche Rundfunk Leute in seine Sendungen ein, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verabscheuen? Warum wird die fatale, von Parallelmedien bediente Geschichte, wonach der Meinungskorridor in Deutschland immer enger werde, teilweise auch von etablierten Medien mitgeschrieben? Im April beklagte Anne Hähnig in einem Kommentar in der Zeit mangelnde Vielstimmigkeit in den deutschen Medien. Beispielsweise in Texten zu Waffenlieferungen an die Ukraine werde ein Konsens suggeriert, den es in Deutschland nicht gebe: „Die Meinungsmonotonie ist ja kein neues Phänomen. Sie ließ sich so ähnlich auch zu Zeiten der Migrationspolitik 2015 und der Coronapandemie beobachten.“ Jetzt aber liefen nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk, sondern auch Zeitungen oder das Privatfernsehen Gefahr, „einen Teil des Publikums an neurechte Portale zu verlieren“.
Derweil werten immer wieder auch Politiker der demokratischen Parteien „Alternativmedien“ auf, indem sie ihnen Interviews geben. Etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), für den das „Mit Rechten reden“ zum festen Konzept gehört. In einem Gespräch mit dem Portal Nius im Februar nannte er es „demokratiezerstörend“, dass die Ampel-Regierung nach der Correctiv-Recherche zum Potsdamer Geheimtreffen zu Protesten gegen Rechts aufgerufen habe, zugleich aber die Teilnehmer der Bauernproteste beschimpfe.
Christian Lindner empört die Taz
Im Juni gab der FDP-Chef und damalige Bundesfinanzminister Christian Lindner Nius ein Interview. Nach Kritik daran verteidigte er sich auf der Plattform X damit, zuvor auch mit der Taz gesprochen zu haben: „Die Pluralität der Medienlandschaft ist ein hohes Gut.“ Das NDR-Medienmagazin Zapp kritisierte daraufhin: „Lindners Aussage impliziert, dass beide Medien gleichwertige Pole in der pluralen Medienlandschaft sind. Doch das ist nicht der Fall: Die taz arbeitet nachweislich nach journalistischen Standards, Nius hingegen fällt regelmäßig durch Falschinformationen, Unterstellungen und reißerische Berichte auf.“
Auch die Taz-Chefredakteurinnen Barbara Junge und Ulrike Winkelmann äußerten sich im Blog ihrer Zeitung irritiert und ratlos über Lindner und seinen Nius-Taz-Vergleich. Im Gegensatz zu Nius sei die Taz ein journalistisches Medium, das presseethische Grundsätze beachte. „Bei Nius handelt es sich um eine unappetitliche, rechtslastige Website“, schrieben Junge und Winkelmann. Zur Begründung des Interviews nun „‚Pluralität‘, also die Pressefreiheit zu bemühen, die unsere Demokratie von Autokratien und Diktaturen so essentiell unterscheidet, schmerzt unbeteiligte Zuschauerinnen wie uns“.
Die Aufzählung ließe sich noch lange fortführen. Zusammengefasst: Das Land rutscht nach rechts, radikale Kräfte gewinnen. Doch weder die Medien noch die Politik sind gut aufgestellt, um sich dem energisch zu widersetzen. Und die AfD? Sie hat mit Erfolg eigene Netzwerke geknüpft, was wichtig ist für die Mobilisierung nach innen. Um erfolgreich zu sein und eine breite Wirkung zu erzielen, braucht sie die Wechselbeziehung mit den klassischen Medien. Die sollten der extremen Rechten nicht in die Falle gehen.
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