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Regimewechsel

Nach der Revolution ist vor der Revolution

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Von 1900 bis 2015 gab es 123 erfolgreiche Revolutionen. In diesen Fällen wurde also ein bestehendes Regime mithilfe einer hinreichend großen Anzahl gewöhnlicher Bürger:innen durch ein neues ersetzt. Dies geschah teilweise mit und teilweise ohne den Einsatz von Gewalt. 

Für den Großteil der erfolgreichen Revolutionen war der Sturz des alten Regimes jedoch erst der Beginn turbulenter Zeiten. Ganze 98 Mal versuchten gegenrevolutionäre Kräfte, das gestürzte Regime wieder aufzubauen. Erfolgreich waren sie allerdings nur in 22 Fällen.

Wann Gegenrevolutionen gelingen – und wann nicht – hat der US-amerikanische Politikwissenschaftler Killian Clarke von der Georgetown Universität untersucht. Sein Befund: Je mehr Gewalt beim Sturz eines Regimes eingesetzt wird, desto unwahrscheinlicher ist es, dass gegenrevolutionäre Kräfte dieses wieder installieren können. 

Clarke führt dies auf mehrere Umstände zurück. Gewaltlose Umstürze, so der Politikwissenschaftler, brauchen einen sehr breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Nur wenn sehr viele Menschen auf die Straße gehen oder sich anderweitig gegen das bestehende Regime stellen, können sie dieses stürzen. Für die Zeit nach dem Sturz bringt das allerdings Probleme mit sich, denn je mehr Gruppen an Umstürzen beteiligt waren, umso schwieriger ist es später,  gemeinsam zu regieren. Die neu installierte Regierung ist oft mit internen Streitigkeiten beschäftigt und  instabil. Zudem haben friedliche Revolutionär:innen keine eigenen Streitkräfte. Das ermöglicht es gegenrevolutionären Kräften, mithilfe des Militärs wieder an die Macht zu kommen – vorausgesetzt, sie können das Militär auf ihre Seite bringen, was oft genug gelingt. 

Wird hingegen beim Umsturz Gewalt eingesetzt, ist es für Gegenrevolutionär:innen schwieriger, sich wieder an die Macht zu bringen, weil das neue Regime mögliche Angriffe notfalls mit Waffengewalt abwehren kann. 

Ohne Gewalt kommt die Demokratie - und wird gestürzt

Ob Gegenrevolutionen überhaupt versucht werden, hängt hingegen nur bedingt vom Gewalteinsatz während der Revolution ab. Auch das erklärt Clarke. Gegenrevolutionäre Kräfte hätten im Prinzip immer eine Motivation, das neue Regime zu Fall zu bringen. Verläuft die Revolution gewaltlos, wittern sie ihre Chance, mit vergleichsweise niedrigen Kosten wieder an die Macht zu kommen. Ist die Revolution hingegen gewaltsam verlaufen, haben die abgesetzten Eliten ebenfalls einen großen Anreiz, die Macht zurückzugewinnen. In diesen Fällen drohen ihnen nämlich harte Strafen von Seiten der neuen Machthaber:innen, die eben nicht vor Gewalt zurückschrecken.

Diese Befunde bergen Zündstoff, denn: Gewaltsame Revolutionen sind stabiler, führen aber häufiger zu neuen Autokratien – ein Dilemma. Die politikwissenschaftliche Transformationsforschung ist sich weitgehend einig, dass Autokrat:innen eher durch gewaltlose Revolutionen gestürzt werden können als durch gewaltsame. Zum anderen erhöht der Verzicht auf Gewalt die Chance auf ein demokratisches Regierungssystem. Das, so Clarke, sei allerdings wenig wert, wenn die neu etablierten Demokratien in kurzer Zeit von den alten autokratischen Machthaber:innen gestürzt würden.

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Fußnoten

  1. Clarke, Killian: Revolutionary Violence and Counterrevolution, auf: cambridge.org (19.12.2022).

Autor:innen

Geboren 1986, ist seit 2020 Redakteur bei KATAPULT. Er hat Politikwissenschaft und Geschichte in Freiburg und Greifswald studiert und wurde mit einer Arbeit im Bereich Politische Ideengeschichte promoviert. Zu seinen Schwerpunkten zählen die deutsche Innenpolitik sowie Zustand und Entwicklung demokratischer Regierungssysteme.

Geboren 1994, ist seit 2021 Grafikerin bei KATAPULT. Sie hat visuelle Kommunikation in Graz studiert und ist Illustratorin.

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