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Als im Frühjahr in Bayern die Kommunalwahlen stattfanden, erlebte Augsburg eine kleine Revolution: Zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt wurde eine Frau zum Oberbürgermeister (OB) gewählt. Eva Weber (CSU) bildet damit jedoch die absolute Ausnahme. Bei allen anderen OB-Wahlen ging der Posten an Männer. In Ingolstadt löste ein Christian von der SPD einen Christian von der CSU ab. Diese einseitige Verteilung beschränkt sich jedoch nicht allein auf das als konservativ geltende Bayern. Im 2017 veröffentlichten »Genderranking deutscher Großstädte« der Heinrich-Böll-Stiftung zeigte sich, dass gerade einmal 8,1 Prozent aller OBs – das sind Bürgermeister größerer und kreisfreier Städte – in Deutschland weiblich sind. Bei den übrigen Bürgermeistern sind es Schätzungen zufolge nur unwesentlich mehr: Die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) geht von rund 10 Prozent aus.
Frauen sind in Deutschland auch heute noch auf allen politischen Ebenen in der Unterzahl. Die Ungleichheit beginnt aber offenbar bereits im kommunalen Bereich, wo sie auch am stärksten ausgeprägt ist. Im Allgemeinen gilt: je kleiner eine Gemeinde, desto niedriger der Frauenanteil im Gemeinderat. Im Schnitt liegt er wohl bei 27 Prozent, wobei aktuelle Zahlen schwer zu bekommen sind.
Dementsprechend gering ist der Anteil weiblicher Bürgermeister. Das könnte unter anderem daran liegen, dass Frauen hier mehr Gegenwind erfahren als Männer und stärker in der Öffentlichkeit stehen. Bei einer von der EAF durchgeführten Befragung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus ganz Deutschland fanden drei Viertel der weiblichen Befragten, dass an Bürgermeisterinnen andere Erwartungen gerichtet werden als an Bürgermeister: Ihr Privatleben werde stärker beobachtet, sie müssten mehr Leistung bringen und auch ihre äußere Erscheinung werde stärker beachtet. Ebenso viele weibliche Befragte glaubten, dass ihre Karriere als Mann anders verlaufen wäre. Auch die Hälfte der Männer war der Ansicht, ihre Karriere hätte als Frau einen anderen Weg genommen.
Je rechter, desto männlicher
Unterschiede zeigen sich auch bei der Parteizugehörigkeit. So treten Frauen weniger oft einer Partei bei. Benjamin Höhne, Politikwissenschaftler und stellvertretender Leiter des Instituts für Parlamentarismusforschung in Berlin, untersuchte für die »Zeitschrift für Parlamentsfragen« die internen Rekrutierungsprozesse von Parteien. Dabei stellte er fest: Je weiter rechts eine Partei sich im politischen Spektrum befindet, desto weniger weibliche Mitglieder hat sie. In keiner Partei liegt der Frauenanteil über 40 Prozent. Quotierte Listen könnten dafür sorgen, dass Frauen trotzdem ausreichend repräsentiert werden. Solche sind aber gerade von Männern meist unerwünscht.
Am besten zeigt sich das am Beispiel der CSU: Während 91 Prozent der weiblichen Parteimitglieder angaben, der Geschlechterausgleich auf Landeslisten sei ihnen wichtig oder sehr wichtig, war das nur bei 46 Prozent der männlichen Mitglieder der Fall. Gleichzeitig sind fast 80 Prozent der CSU-Mitglieder Männer.
Der niedrige Frauenanteil unter den Mitgliedern führt auch dazu, dass bei Wahlkreisversammlungen und Listenwahlen der Landesverbände deutlich mehr Männer anwesend sind, die sich dann auch als Kandidaten durchsetzen. Höhne verweist in diesem Zusammenhang auf frühere Forschungsarbeiten, die zeigten, dass die Parteiarbeit für Frauen unattraktiver erscheine als für Männer. Parteiveranstaltungen vor Ort seien dominiert von Männern, was abschreckend wirke – zugleich ließe sich in Orts- und Kreisverbänden zu selten eine Willkommenskultur für Neumitglieder erkennen. Und nicht zuletzt könnten Frauen die Parteiarbeit schlechter mit familiären Verpflichtungen vereinbaren als Männer.
Bundestag fällt auf Frauenquoten-Niveau von vor 20 Jahren
Bei Wahlen entscheiden demnach weniger die Wählerinnen und Wähler über die Geschlechterverteilung im Gemeinderat, Land- oder Bundestag, sondern das System selbst. In einer 2018 veröffentlichten Studie zu Parität in der Politik stellen die Autorinnen Helga Lukoschat und Jana Belschner fest, dass die Ausgestaltung des Wahlrechts großen Einfluss auf die Frauenrepräsentanz hat.
Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene gilt in Deutschland das personalisierte Verhältniswahlrecht, wobei mit der Erststimme ein Direktkandidat und mit der Zweitstimme die Liste einer Partei gewählt wird. Dabei erhalten zunächst alle Direktkandidaten einen Sitz, der Rest wird auf die Listenkandidaten verteilt. Bei der Bundestagswahl 2017 waren 73 Prozent der aufgestellten Direktkandidaten Männer. Diese setzen sich im internen Nominierungsprozess der Parteien offenbar stärker durch. Die hohe Zahl der Direktmandate von CDU/CSU hat – neben dem Einzug der ebenfalls männlich dominierten AfD in den Bundestag – einen großen Beitrag zum gesunkenen Frauenanteil geleistet. Dieser sank von 37 auf 31 Prozent und damit auf den Stand von vor 20 Jahren; der durchschnittliche Frauenanteil in den Landesparlamenten liegt bei 30 Prozent.
Bei den Listen wiederum besteht die Möglichkeit einer Quotierung, die einige Parteien wie Grüne, Linke und SPD auch nutzen. Laut Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, seien die Grünen aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie Direktmandate die Frauenquote negativ beeinflussten: Bei der bayerischen Landtagswahl 2018 war ihre Liste nach dem Reißverschlussverfahren quotiert, die Landtagsfraktion hätte also eigentlich zu 50 Prozent weiblich sein können. Da die Grünen bei der Landtagswahl aber auch einige Direktmandate gewinnen konnten, liegt ihr Frauenanteil im Parlament jetzt »nur« bei 47 Prozent – von den sechs gewonnenen Mandaten gingen vier an Männer, was in absoluten Zahlen weniger dramatisch klingt.
Vorreiter: Brandenburg und Thüringen
Helga Lukoschat fordert deswegen nicht nur Quotenregeln für Wahllisten, sondern auch für Direktmandate. Ein Vorschlag wäre, dass die Parteien Tandems aus je einem Mann und einer Frau zur Wahl stellen, die dann gemeinsam ins Parlament einziehen. Dazu müsste allerdings die Zahl der Wahlkreise halbiert werden. Ein Projekt, dass Ursula Münch für unrealistisch hält, gerade im Hinblick auf die aktuell schon höchst schwierige Debatte um eine Verkleinerung des Bundestags.
2019 hat Brandenburg als erstes Bundesland ein Paritätsgesetz auf den Weg gebracht, Thüringen folgte kurz danach. Bei der nächsten Landtagswahl müssen die antretenden Parteien nun Listen einreichen, die zu 50 Prozent weiblich besetzt sind. In Berlin und Hamburg werden solche Vorschläge derzeit diskutiert. Auffallend ist: Hier sind überall linke Parteien in der Regierung.
Im Osten noch weniger Frauen, weil mehr AfD
Laut Münch und Lukoschat hat die Parteienkonstellation maßgeblichen Einfluss auf die Geschlechterzusammensetzung der Parlamente. Dies lasse sich auf Länderebene gut beobachten: Je stärker linke Parteien in den Parlamenten vertreten seien, desto höher sei der Frauenanteil. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern wird er aber durch große AfD-Fraktionen wieder nach unten gedrückt. Sind linke Parteien an der Regierung beteiligt, wird auch das Kabinett weiblicher (mit Ausnahme von Thüringen, wo Bodo Ramelow kürzlich ein sehr männliches Team zusammenstellte).
Das liegt unter anderem an parteiinternen Quotenregeln. Bei Grünen und Linken werden Ämter und Listenplätze zu 50 Prozent an Frauen vergeben. Bei der SPD hat man sich mindestens 40 Prozent zum Ziel gesetzt, zudem werden Wahllisten bei der Bundestags- und Europawahl nach dem Reißverschlussprinzip besetzt. Die CDU hat sich für eine softere Version entschieden: ein Quorum von 30 Prozent, das aber nicht unbedingt erreicht werden muss. FDP, CSU und AfD haben keine Quoten, die CSU hat sich jedoch vorgenommen, auf Landes- und Bezirksebene 40 Prozent der Ämter weiblich zu besetzen. Welchen Einfluss diese Regelungen haben, sieht man am Frauenanteil der Fraktionen des 19. Deutschen Bundestags:
Der niedrige Frauenanteil in den Parteien und Parlamenten wirkt sich letztlich auch auf die Kabinettsbildung aus. Obwohl das Kabinett Merkel IV immerhin einen Frauenanteil von 44 Prozent aufweist, zeigt sich bei näherem Hinsehen: Auch hier sind Frauen benachteiligt. Denn Amt ist nicht gleich Amt. Staatsministerinnen wie Dorothee Bär (CSU), Michelle Müntefering (SPD) oder Annette Widmann-Mauz (CDU) haben zwar einen Titel und volles Stimmrecht, aber keine eigene Abteilung – sprich kein eigenes Ressort. Und unter den Bundesministerien sind einige besonders begehrt.
Ursula Münch erklärt, dass gerade bei den klassischen Ministerien die Konkurrenz groß und die Ellbogenmentalität stark sei. Und so gibt es Ressorts, die seit jeher fest in Männerhand sind, wie etwa das Innenministerium, das Auswärtige Amt und das Finanzministerium. Auch das Verkehrsministerium und das Kanzleramt wurden noch nie von einer Frau geleitet, die einzige Wirtschaftsministerin war bisher Brigitte Zypries (SPD), die das Amt 2017 für ein Jahr innehatte. Vor Svenja Schulze (SPD) haben bisher außerdem nur zwei weitere Frauen das Umweltministerium geleitet – eine davon Angela Merkel. Umso bemerkenswerter sei es laut Münch, dass mit Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) aktuell bereits die zweite Frau Verteidigungsministerin ist. Allerdings hätten zahlreiche Skandale und Probleme in den letzten Jahren gezeigt, wie herausfordernd dieses Amt sei. Da könnten auch Kosten-Nutzen-Abwägungen der Politiker eine Rolle spielen, die das Amt weniger attraktiv machten. Während einige Politikfelder also noch immer eindeutig männlich dominiert sind, wird das Familienministerium seit 1968 fast durchgängig weiblich geführt. Von männlichen Politikern wird es laut Münch eher als Sackgasse wahrgenommen.
Historisch männliche Ministerien
Die Wochenzeitung »Die Zeit« warf 2018 im Rahmen einer groß angelegten Recherche einen genaueren Blick auf die Personalstruktur und die Führungsebenen der Bundesministerien. Der höchste Rang ist hier der des beamteten Staatssekretärs. Dabei stellten die Redakteure fest: Von 1949 bis 1999 gab es unter den beamteten Staatssekretären mehr mit dem Namen Hans (24) als Frauen (19). Unter dem Namen »Hans-Bremse« erregte diese Beobachtung einige Aufmerksamkeit.
Von insgesamt 68 parlamentarischen oder beamteten Staatssekretären sind derzeit 18 weiblich, das entspricht 26 Prozent. Auch hier sticht das Innenministerium hervor: Alle acht Staatssekretäre sind Männer. Im Verkehrsministerium sind ebenfalls alle vier Posten von Männern besetzt, Außen- und Wirtschaftsministerium haben je eine weibliche Staatssekretärin. Auf Länderebene sieht es ähnlich aus: Nur zwei von 16 Ministerpräsidenten sind weiblich, es gibt keine weiblichen Innenminister und kaum Finanz- oder Wirtschaftsministerinnen.
Ursula Münch sieht einen Teil des Problems in den Medien, von denen Frauen oft anders wahrgenommen und vor allem öfter oberflächlich kritisiert würden. Insgesamt seien aber vor allem die Parteien in der Pflicht, politisches Engagement für Mädchen und Frauen attraktiver zu machen. Auf dem Land tun sich Frauen wegen der eher konservativen Wählerschaft oft schwer. Im Gegensatz dazu werden Städte immer mehr zur Schwachstelle von CDU und CSU. Hier zeigen besonders die Grünen, dass es durchaus möglich ist, Parteien paritätisch zu organisieren.
Artikel 3 des Grundgesetzes lautet: »Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.« Verankert wurde der Satz auf Forderung der SPD-Politikerin Elisabeth Selbert, einer der vier »Mütter des Grundgesetzes«. Die geringe Beteiligung von Frauen am Politikgeschehen bezeichnete sie 1981 als Verfassungsbruch. Auch Angela Merkel sagte während der Feiern zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts im vergangenen Jahr: »Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.« Soll heißen: Nur weil der Bundeskanzler eine Kanzlerin ist, ist Gleichstellung in der Politik noch lange nicht erreicht.
Dieser Text erschien in der 18. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.
Autor:innen
War 2020 Praktikantin bei KATAPULT.