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Kinderarbeit in der Kakaoindustrie

Machete statt Spielzeug

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Im Jahr 2001 unterzeichneten die USA, Ghana und die Elfenbeinküste eine freiwillige Vereinbarung mit internationalen Konzernen der Kakaoindustrie. Darunter: große Schokoladenhersteller wie Mars, Hershey und Nestlé. Das Ziel des sogenannten Harkin-Engel-Protokolls war ambitioniert: keine ausbeuterische Kinderarbeit auf Kakaoplantagen bis 2005. Wurde das Ziel erreicht? Nein. Und so verlängerten sie die Deadline bis 2008. Und noch einmal bis 2010. Als absehbar war, dass sie keinen nennenswerten Erfolg erzielen würden, einigten sich die Vertragspartner auf ein neues Ziel: 70 Prozent weniger Kinderarbeit bis 2020. Was hat sich in den letzten knapp 20 Jahren getan? Die Kinderarbeit hat sogar noch zugenommen.

Etwa 1,56 Millionen Kinder arbeiten auf Kakaoplantagen in Ghana und der Elfenbeinküste, davon führen 1,48 Millionen gefährliche oder gesundheitsschädigende Tätigkeiten aus. Das fand das Forschungsinstitut National Opinion Re­search Center (NORC) der Universität Chicago im Auftrag des US-Arbeitsministeriums heraus. Im Vergleich zu den Ergebnissen aus zwei früheren Umfragerunden stellten die Forschenden fest: Zwischen 2008 und 2019 stieg der Anteil der Kinderarbeit in den beiden westafrikanischen Ländern um 14 Prozentpunkte auf 45 Prozent. Eine Erklärung hierfür: Die Kakaoproduktion wuchs in den letzten Jahren um mehr als das Doppelte. Somit sind auch mehr Familien im Kakaoanbau tätig – genau wie ihre Kinder.

Das soll sich schnellstmöglich ändern. Jedoch hat kein Unternehmen seine freiwillig gesteckten Ziele erreicht. Die Schokoladenproduzenten wissen noch immer zu wenig darüber, wie viel Kinderarbeit überhaupt in ihrer Ware steckt. Das Unternehmen Mars konnte zuletzt etwa die Hälfte des Kakaos zurückverfolgen, der Lebensmittelkonzern Nestlé nur 44 Prozent. Die Nachverfolgung gestaltet sich schwierig, denn Kakao wird häufig auf kleinen und abgelegenen Farmen angebaut. Bis die Bohnen auf dem Weltmarkt landen, werden sie mehrmals weiterverkauft.

Die Vereinten Nationen versagen

Weltweit müssen 152 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren arbeiten, schätzt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Für mehr als die Hälfte von ihnen ist die Arbeit besonders schädlich und gefährlich. Die Zahlen sind in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken – allerdings nicht schnell genug. Bei gleichbleibendem Tempo gibt es im Jahr 2025 voraussichtlich immer noch 121 Millionen arbeitende Mädchen und Jungen. Bis dahin wollen die Vereinten Nationen die Kinderarbeit eigentlich abgeschafft haben.

Helfen Kinder ihren Eltern, ist das nicht gleich Kinderarbeit oder ausbeuterisch. Entscheidend sind das Alter, die Arbeitsstunden und die Aufgaben. Die meisten Staaten und Organisationen orientieren sich hierfür an den Standards der ILO. Sind die Kinder jünger als 12 Jahre oder arbeiten sie mehr als die in ihrem Alter erlaubten Stunden, ist das Kinderarbeit. Zu den schlimmsten Formen von Kinderarbeit gehören Sklaverei, Zwangsarbeit und Prostitution. All das ist offiziell verboten und gilt als Verletzung der Menschenrechte.

Die Arbeit auf Kakaoplantagen ist für Kinder besonders gefährlich. Sie benutzen scharfe Werkzeuge, tragen schwere Lasten, helfen bei Rodungen oder sind aggressiven Chemikalien ausgesetzt. Die Folgen: Gesundheitsrisiken wie Schnittverletzungen, Muskelschmerzen oder Juckreiz. In allen Bereichen verzeichnete das Forscherteam des NORC in den letzten Jahren einen Anstieg, in Bezug auf die Chemikalien sogar um fast das Fünffache. Etwa ein Viertel aller Kinder sprüht selbst giftige Pestizide oder kommt regelmäßig damit in Berührung.

Mehr Einkommen, mehr Kinderarbeit?

Die häufigste Ursache für Kinderarbeit: Armut. In Ghana und der Elfenbeinküste bauen überwiegend kleine Familienbetriebe Kakao an. Ihre Plantagen sind durchschnittlich zwischen zwei und fünf Hektar groß. Zum Vergleich: Ein Fußballfeld misst knapp einen Hektar. Für viele westafrikanische Kleinbauern stellt Kakao die wichtigste Einnahmequelle dar. Dennoch können die Familien ihre Lebenshaltungskosten damit nicht decken. Bezahlte Arbeitskräfte und den Schulbesuch der Kinder können sich die Familien nicht leisten. Das Problem wird durch eine schlechte Infrastruktur, fehlendes Problembewusstsein und politische Konflikte verstärkt. Eine Arbeitsgruppe des niederländischen Königlichen Tropeninstitutes (KIT) ermittelte: Haushalte, die Kakao produzieren, beziehen daraus gut zwei Drittel ihres Einkommens. Zusätzlich verkaufen sie andere landwirtschaftliche Erzeugnisse oder betreiben kleine Geschäfte.

Entwicklungspolitische Organisationen, Regierungen und Hersteller versuchen deshalb, die Einkommenssituation der Familien langfristig zu verbessern. Ein Ansatz besteht darin, die Produktivität der Bauern und Bäuerinnen zu steigern. Das Argument: Je mehr Kakao sie anbauen, desto mehr Geld verdienen sie damit. Geht es den Familien finanziell besser, könnte auch die Kinderarbeit abnehmen. Ob das langfristig und in jedem Fall so stimmt, ist unklar. Forschende fanden auch Hinweise auf einen gegenteiligen Trend. Im Auftrag der International Cocoa Initiative (ICI) wertete Chiara Ravetti 50 Studien aus unterschiedlichen Weltregionen aus. Ihre Frage: Wie beeinflusst das Einkommen die Kinderarbeit? Die Ergebnisse zeigen vor allem eines: Einkommenssteigerungen oder finanzielle Unterstützung sind keine Patentrezepte. Nicht in allen Fällen konnte die Kinderarbeit dadurch gesenkt werden – teilweise nahm sie sogar zu.

Plantagen kaputt

Eine Möglichkeit, um mehr zu produzieren: Bäuerinnen und Bauern vergrößern ihre Anbauflächen oder erschließen neue – indem sie Wälder roden, auch in eigentlich geschützten Gebieten. Schätzungen zufolge sind bereits mehr als 90 Prozent der westafrikanischen Regenwälder verschwunden. Die ökologischen Folgen sind bereits jetzt zu spüren. Extreme Wetterphänomene haben zugenommen. Forschende vom Internationalen Zentrum für tropische Landwirtschaft (CIAT) in Kolumbien befürchten, dass es in einigen Gebieten Westafrikas bereits ab 2050 zu trocken für den Kakaoanbau sein könnte.

Je nach Alter der Bäume ernten Familien in Ghana und der Elfenbeinküste zwischen 100 und 500 Kilogramm Kakaobohnen pro Hektar. Mindestens das Doppelte ist theoretisch möglich. Aber: Mehr Fläche führt nicht automatisch zu mehr Kakaofrüchten. Mit jedem zusätzlichen Hektar Land sinken die Erträge um durchschnittlich 71 Kilogramm. Warum? Viele Pflanzen sind überaltert und anfällig für Schädlinge und Krankheiten, die Böden durch Düngemittel ausgelaugt. Den Bauern fehlt es an Zeit und Geld, um richtig in die Plantagen zu investieren. Zudem brauchen sie Arbeitskräfte. Gibt es nicht genügend, bleibt auch die Ernte niedrig.

Nestlés Hilfsprojekte helfen nicht

An Initiativen gegen Kinderarbeit scheint es nicht zu mangeln. In den letzten Jahren investierten Schokoladenhersteller, Nichtregierungsorganisationen und Staaten in Bildungsprojekte, Überwachungs- und Zertifizierungssysteme. Fast alle setzen auf eigene Nachhaltigkeitsprogramme. Nestlé nutzt ein System, mit dem es Kinderarbeit überwachen und unterbinden will. Die Idee dahinter: Vertrauenspersonen besuchen regelmäßig die Farmen. Sie erkundigen sich über die Arbeitsverhältnisse, klären auf und sammeln Daten. Auf dieser Grundlage investiert der Konzern in Schul- und Hilfsprojekte. Laut Nestlé sei man auf einem guten Weg. Bis 2019 identifizierte das Unternehmen rund 18.000 arbeitende Kinder in seiner Lieferkette. Die industrienahe ICI resümiert: Mit den bislang durchgeführten Projekten sei es gelungen, die Kinderarbeit um bis zu einem Drittel zu reduzieren.

Die Autoren am Sozialforschungsinstitut NORC beobachteten, dass der Anteil der Kinderarbeit in den großen Anbaugebieten in den letzten Jahren weitestgehend stabil blieb, obwohl die Produktion stieg. Auf diese Regionen konzentrieren sich die meisten Hilfsprogramme. Kinder­arbeit nahm hingegen dort zu, wo weniger oder erst seit Kurzem Kakao angebaut wird. Die Schlussfolgerung: Projektbasierte Ansätze könnten erfolgversprechend sein, auch wenn noch keine Langzeitstudien vorliegen. Das größte Problem bestehe aber darin, dass die Maßnahmen zu wenige Haushalte erreichten. Aktuell werden wohl nur 10 bis 20 Prozent aller Kakaofarmen von Projekten der ICI oder anderen Organisationen beobachtet.

Das NORC untersuchte außerdem, wie effektiv welche Maßnahmen waren. Es betrachtete die Programme dazu nicht im Einzelnen, sondern nach ihren Ansätzen, darunter die Bereitstellung von Schulmaterial, finanzielle Unterstützung, Aufklärung und Gesundheitsversorgung. Das Ergebnis: Wenn mehrere Konzepte in einer Gemeinde kombiniert werden, sinkt die Kinder­arbeit. Es reicht also nicht, nur die Landwirtschaft und deren Erträge zu fördern. Die Initiativen müssen sich auch auf die Bereiche Gesundheit, Ernährung, Bildung und Infrastruktur erstrecken.

Fairtrade reicht auch nicht

Dennoch, ein Hauptproblem bleibt. Durch den niedrigen Kakaopreis verdienen die, die den Kakao vor Ort ernten, zu wenig. Die offensichtlichste Lösung: mehr Geld. Amerikanische Agrarökonomen berechneten am Beispiel Ghanas, wie stark der Kakaopreis steigen müsste, damit die Farmen ohne Kinderarbeit auskämen. Ein nur um 2,8 Prozent höherer Kakaopreis, und die Plantagenbesitzer könnten die schlimmsten Formen von Kinderarbeit beenden. Gänzlich überflüssig würde Kinderarbeit, wenn der Preis um mehr als das Doppelte stiege, so die drei Forscher.

Wie billig oder teuer Kakao ist, wird an den Rohstoffbörsen in London und New York bestimmt. Schwankende Börsenkurse kommen durch die Nachfrage, Lagerbestände sowie Prognosen zum künftigen Angebot zustande. Infolge einer Rekordernte gab es in der Saison 2016/2017 ein Überangebot an Kakao. Daraufhin sank der Preis je Tonne innerhalb kurzer Zeit von 3.000 auf unter 2.000 US-Dollar.

Ghana und die Elfenbeinküste schlossen sich im Jahr 2019 zusammen, um das Risiko unbeständiger Preise zu minimieren. Gemeinsam legen sie den Kakaopreis fest – ähnlich wie die Opec-Staaten beim Öl. Die kakaoverarbeitenden Firmen zahlen seitdem einen Zuschlag. Einige Unternehmen haben sich außerdem freiwillig verpflichtet, die Produzenten mit festen Prämien zu unterstützen. Mit einem Bonus von aktuell 240 Dollar pro Tonne, zusätzlich zum garantierten Mindestpreis, will Fairtrade soziale, ökologische und ökonomische Standards sicherstellen. Aber: Selbst das reicht noch immer nicht, um allen Bauern ein existenzsicherndes Einkommen zu garantieren.

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Fußnoten

  1. Becker, Andreas: Kakao: Kein Fortschritt im Kampf gegen Kinderarbeit, auf: dw.com (13.11.2020).
  2. NORC (Hg.): Assessing Progress in Reducing Child Labor in Cocoa Production in Cocoa Growing Areas of Côte d’Ivoire and Ghana, 2020, S. 10ff.
  3. Fountain, Antonie C.; Hütz-Adams, Friedel: 2020 Cocoa Barometer, 2020, S. 33.
  4. International Labour Organization (ILO): Global Estimates of Child Labour: Results and trends, 2012-2016, Genf 2017, S. 5.
  5. Ebd., S. 10
  6. Seeburg, Carina: Im Anfang ist die Tat, auf: sueddeutsche.de (21.1.2021).
  7. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) setzt sich dafür ein, die Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen weltweit zu verbessern. Die beiden Übereinkommen zum Mindestalter (Nr. 138, 1973) und zur Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (Nr. 182, 1999) legen fest, welche Formen der Betätigung für Kinder verboten sind.- ILO (Hg.): International Labour Standards on Child labour, auf: ilo.org.
  8. NORC 2020, S. 73.
  9. Hütz-Adams, Friedel: Menschenrechtsverletzungen im Kakaoanbau. Warum wir ein Lieferkettengesetz brauchen, Berlin 2019, S. 8.
  10. Bymolt, Roger u.a.: Demystifying the cocoa sector in Ghana and Côte d’Ivoire, 2018, S. 244.
  11.  Ebd., S. 10.
  12. International Cocoa Initiative (Hg.): The effects of income changes on child labour, 2020.
  13. Fountain, Antonie; Hütz-Adams, Friedel: Kakao-Barometer 2018, 2018, S. 3.
  14. Bunn, Christian et al.: The economic case for climate action in West-African cocoa production, Cali 2018, S. 7.
  15. Bymolt u.a. 2018, S. 304.
  16. Ebd.
  17. Nestlé (Hg.): Tackling Child Labour, 2019, S. 4.
  18. International Cocoa Initiative (Hg.): Annual Report 2019, auf: cocoainitiative.org.
  19. Fountain; Hütz-Adams 2020, S. 61.
  20. NORC 2020, S. 18.
  21. Luckstead, Jeff u.a.: Estimating the economic incentives necessary for eliminating child labor in Ghanaian cocoa production, in: PLOS ONE, (14)2019, Nr. 6, S. 19.
  22. Fountain; Hütz-Adams 2018, S. 7.
  23. Rusman, Andrea u.a.: Cocoa Farmer Income. The household income of cocoa farmers in Côte d’Ivoire and strategies for improvement, 2018, S. 24.

Autor:innen

Geboren 1988 und seit 2019 in der Redaktion bei KATAPULT und KNICKER. Sie hat Kunstgeschichte und Geschichte, mit Schwerpunkt auf den Ostseeraum, in Greifswald studiert.

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