Kritik darf nicht alles
Zum Glück haben wir sie nicht veröffentlicht. Die Karte war nicht falsch. Das Stimmverhalten der abgebildeten Personen - also des Vorstands des mit Abstand mächtigsten Fußballclubs Deutschlands - war genau so, wie dargestellt. Und trotzdem hätte die Grafik eine maximal verkürzte - man kann auch sagen falsche - Geschichte erzählt. Sie hätte die Botschaft vermittelt, dass der Vorstand des FC Bayern München die Menschenrechte ablehnt, sich offensiv gegen sie positioniert. Das entspricht allerdings nicht dem, was sich auf der Jahreshauptversammlung 2021 zugetragen hat.
Tatsächlich hatte der Vorstand vor der Jahreshauptversammlung eine Satzungskommission eingesetzt, die eine reformierte Vereinssatzung ausarbeiten sollte. Im Vorschlag der Kommission hieß es, dass sich der Verein zu den international anerkannten Menschenrechten bekenne. Von einem Einsatz für die Menschenrechte war dort allerdings nichts zu lesen. Dieter Mayer, Vizepräsident des FC Bayern München e.V., hatte in seiner Rede auf der Hauptversammlung darauf hingewiesen, dass seinem Sprachverständnis zufolge ein Bekenntnis zu einer Sache den aktiven Einsatz für diese Sache mit einschließe. Die Mitglieder sahen das anders, quittierten Mayers Ausführung mit Buhrufen und stimmten ihrerseits für einen Änderungsantrag aus den Reihen der Mitglieder, der den aktiven Einsatz wortwörtlich in der Satzung verankerte. Dieser Änderungsantrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. In der Satzung des FC Bayern München heißt es seitdem unter §2, Abs. 4a: “Der Club bekennt sich zum Respekt gegenüber allen international anerkannten Menschenrechten und setzt sich für die Achtung dieser Rechte ein.”1
Dass der Verein sich gegenüber dem katarischen Sponsor Qatar Airways mehr als fragwürdig verhält. Dass der ehemalige Präsident Uli Hoeneß die Situation der dortigen Gastarbeiter wiederholt schönredete. Dass die Bayern ihre Wintertrainigslager immer noch in Katar abhalten - all das muss kritisiert werden. Der Kritik darf aber nicht jedes Mittel recht sein. Aufgrund des Abstimmungsverhaltens zum Satzungsänderungsantrag zu behaupten, der Bayern-Vorstand würde sich aktiv gegen die Menschenrechte stellen, ist mindestens tendenziös, wenn nicht sogar irreführend und manipulativ.
Warum ich das alles aufschreibe? Weil es Kolleg:innen gibt, die diese Irreführung betrieben haben. Das waren keine Springer-Leute, von denen man nichts anderes erwartet. Es war unter anderem ein Redakteur des Hessischen Rundfunks. In “Links kickt besser” schreiben Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt zu besagter Jahreshauptversammlung und der Abstimmung zum Satzungsänderungsantrag: “Was für ein Bild! Was für eine Botschaft! Menschenrechte und Demokratie enden nicht nur an Werkstoren internationaler Konzerne in Schwellenländern. Sondern inzwischen auch bei einem Verein in der ‘Weltstadt mit Herz’” - also bei den Bayern.2
Das ist angesichts des tatsächlichen Ablaufs der Jahreshauptversammlung schlicht und ergreifend falsch - und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen wurden demokratische Standards offenbar gewahrt, da der Änderungsantrag mit großer Mehrheit angenommen und die Satzung dementsprechend umgeschrieben wurde. Zum anderen taugt das Beispiel nicht, um die Doppelmoral der Münchner mit Blick auf die Menschenrechte anzuzeigen. Dafür hätten andere Vorfälle herangezogen werden müssen.
Die Mühe, diese zu finden, müssen wir Journalist:innen uns machen. Kritik ist notwendig. Sie muss scharf und bisweilen mutig formuliert sein. Aber ihr darf nicht jedes Mittel recht sein, sonst macht sich auch berechtigte Kritik auf Dauer unglaubwürdig.