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Böhmer- vs. Bachmann

Je suis Bachi?

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»Stellt Euch mal vor, wie groß der Aufschrei der Lügenpresse gewesen wäre, wenn nicht das Staatsfernseh-Bübchen, sondern ich dieses Gedicht hier verlesen hätte?«, fragt Lutz Bachmann in der letzten Woche in einer Rede vor dem Beginn seines Prozesses wegen Volksverhetzung. – Seine Vermutung: sofortige Verhaftung noch auf der Bühne.

Böhmermann ist härter

Bachmann und Böhmermann eint, dass sie beide wegen öffentlicher Äußerungen mit juristischen Konsequenzen rechnen müssen. Doch der eine ist Satiriker und Unterhalter, der andere politischer Aktivist und Mitinitiator von Pegida.

Lutz Bachmann hatte im September 2014 in Facebook-Kommentaren über Flüchtlinge und Asylbewerber gesagt, sie seien »viehzeug«, »gelumpe« und »dreckspack« [sic]. Anschließend wurde er wegen Volksverhetzung angeklagt. Der Prozess begann in der letzten Woche.

Jan Böhmermann hatte in seiner Satiresendung »Neo Magazin Royale« Ende März den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan mit verschiedenen Eigenschaften assoziert: »Sackdoof«, »Am liebsten mag er Ziegen ficken«, »die dumme Sau hat Schrumpelklöten« und Ähnliches. Jetzt wird er wegen Beleidigung angeklagt; die Anklage wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten wird geprüft.

Beim bloßen Vergleich der verwendeten Vokabeln erscheint die Ausdrucksweise Böhmermanns ungleich härter als die Bachmanns. Hätte Bachmann dieses Gedicht auf einer Veranstaltung von Pegida vorgetragen, wäre er vermutlich wirklich sehr viel härter angegangen worden als Böhmermann – unabhängig von der juristischen Dimension.

Trocken verglichen

Warum wird der eine also öffentlich als Verfechter der Meinungs- und Kunstfreiheit gefeiert und der andere nicht? – Hier ist der viel zitierte »Kontext« von Bedeutung: wer hat in welchem institutionellem Rahmen »beleidigt«; mit welcher Motivation; und wer wurde »beleidigt«?

Böhmermann hat in seiner Satiresendung das Gedicht mit dem Titel »Schmähkritik« vorgetragen, mit dem Hinweis darauf, dass es nur als Beispiel dafür dienen soll, was in Deutschland verboten sei. Es könnte also mit der Kunstfreiheit argumentiert werden, da es im Rahmen der Satire geschah.

Bachmann könnte sich – angenommen er hätte Böhmermanns Gedicht öffentlich vorgetragen – schwer darauf berufen, da ein solcher institutioneller Rahmen bei ihm nicht gegeben ist. Wobei der Begriff des Künstlers nur schwer gefasst werden kann und juristisch auch nur schwammig definiert ist: Künstler ist der, der Kunst schafft. Auch ist er politischer Aktivist, was die Ernsthaftigkeit seiner Aussagen nahelegt.

Die Motivation Böhmermanns ist genauso schwer greifbar. Wollte er tatsächlich nur verdeutlichen, was gegen das Gesetz verstößt? Wäre das nicht auch abstrakter möglich gewesen? Wo wäre dann das »komische Moment« geblieben? Wollte er nicht doch einfach beleidigen und den türkischen Präsidenten diffamieren? Lacher ernten auf Kosten eines anderen? Letztlich kann niemand Gedanken lesen, weshalb die Motivation zu einem Teil Mutmaßung bleiben muss. Aber auch hier ist natürlich die politische Dimension nicht wegzudenken.

Der eine hat eine einzelne Person beleidigt – ein Staatsoberhaupt –, die wegen der Einschränkung der Meinungs- und Pressfreiheit stark in der Kritik steht; der andere eine Gruppe von Menschen – Migranten – pauschal verurteilt.

Vorteil Böhmermann

Böhmermann scheint gerade in diesem letzten Punkt der Öffentlichkeit gegenüber sympathischer zu sein, denn er richtet sich gegen einen Mann, der auch bei vielen Deutschen in gewisser Hinsicht kein hohes Ansehen genießt. Bachmann hingegen beleidigt eine heterogene Gruppe von Menschen, die darüber hinaus überwiegend mit Opfern und Hilfsbedürftigen assoziiert wird.

Vor allem aber lässt die Öffentlichkeit dem einen mehr durchgehen als dem anderen, und zwar aus persönlichen Sympathien oder Antipathien sowie der Übereinstimmung mit dessen politischer Haltung. In einem juristischen Verfahren sind das jedoch keine Entscheidungskriterien.

Insgesamt ist der Vergleich aus formaler Sicht schwerer, als es auf den ersten Blick scheint, besonders wenn er frei von Ideologie und Sympathien geschehen soll. Klar ist jedoch, dass Beleidigung und Hetze weder durch die Meinungs- noch durch die Kunstfreiheit geschützt sind.

Autor:innen

Geboren 1983, ist seit 2015 Redakteur bei KATAPULT und vor allem als Layouter, Grafiker und Lektor tätig. Er hat Germanistik, Kunstgeschichte und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Greifswald studiert.

Sein wissenschaftliches Hauptinteresse liegt im Bereich der Sprachwissenschaft.

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