Zum Thema Migration sagte Bundeskanzler Merz letzte Woche in Potsdam: „Wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem.“ Obwohl er es nicht direkt ausspricht, verstehen viele die Aussage so, dass er damit Menschen mit sichtbarer Migrationsgeschichte meint.
Seither wird als Vergleich gelegentlich dieses Zitat von Adolf Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels herangezogen. Er schrieb 1941 in sein Tagebuch: „Sie [die Juden] verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung.“ Auf den ersten Blick sind sich die beiden Aussagen bemerkenswert ähnlich: Beide definieren sichtbare „Fremdgruppen“ als Störfaktor.
Wo liegen die Unterschiede? Die zeigen sich in den jeweiligen Kontexten. Obwohl der Satz von Merz so offen formuliert ist, dass er im Prinzip alle Menschen mit sichtbarer Migrationsgeschichte meinen könnte, springt er im nächsten Satz direkt zu „Rückführungen“: „Und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“ Rechtsstaatlich zielen Rückführungen auf Personen ohne Aufenthalts- bzw. ohne Bleiberecht.
Anders bei Goebbels: Juden werden hier als „Parasiten“ entmenschlicht, die es zu beseitigen gilt. Der NS-Propagandaminister äußert damit eine mehr oder weniger deutliche Vernichtungsabsicht.
Obwohl die Aussagen also nicht gleichzusetzen sind, erklärt die rhetorische Nähe von Merz zu Goebbels, warum der Satz Empörung auslöste. Er zeigt, wie populistisch die Spitzenpolitik aktuell kommuniziert, welchen Stellenwert Identitätspolitik einnimmt und wie sehr auch ein deutscher Bundeskanzler rechte Narrative bedient.
Man kann aber nicht sagen, dass sich Merz in Zeiten der AfD deutlich verändert hätte. Schon vor 25 Jahren löste Merz als damaliger CDU/CSU-Fraktionschef die sogenannte Leitkulturdebatte aus, als er forderte, Zuwanderer müssten sich einer „deutschen Leitkultur“ anpassen. Die Leitkulturdebatte ebbte politisch folgenlos ab und gilt als Prototyp einer Identitätsdebatte.
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Autor:innen
Geboren 1983, ist seit 2015 Redakteur bei KATAPULT und vor allem als Layouter, Grafiker und Lektor tätig. Er hat Germanistik, Kunstgeschichte und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Greifswald studiert.