Europas unsichtbare Migranten
Von ihren Offizieren wurden die Harkis1 als »arme Teufel« beschrieben.2 Oft nur rudimentär ausgerüstet, kämpften diese Algerier während des Unabhängigkeitskriegs in ihrem Land für die französische Kolonialmacht. Mehr als sieben Jahre lang währte der Konflikt, bis der nordafrikanische Staat 1962 die Fremdherrschaft abschüttelte. Hunderttausende Menschen waren getötet worden. Die Gründe der Harkis, aufseiten der Franzosen zu kämpfen, waren vielfältig. Manchen ging es um Politik, anderen nur darum, ihre Familien zu ernähren. Andere beteuerten, zum Dienst gezwungen worden zu sein.3
Als die Unabhängigkeit Algeriens nahte, traf die Harkis die Rache der Nationalisten. Als Kollaborateure gebrandmarkt, wurden sie öffentlich gedemütigt und misshandelt. Mindestens 10.000 Harkis wurden massakriert.4 Mit dem Schicksal ihrer Hilfstruppen hielten sich die französischen Diplomaten bei den Verhandlungen zur Unabhängigkeit nicht lange auf. Einige Offiziere aber versuchten, loyale Harkis zu schützen und nach Frankreich in Sicherheit zu bringen – wurden jedoch von der Regierung gewarnt: Wer nicht auf offiziellem Weg nachkomme, werde zurückgeschickt.5
Die Zehntausenden Harkis und ihre Angehörigen waren Teil einer größeren Bevölkerungsbewegung: Als die europäischen Kolonialreiche zusammenbrachen, verließen Millionen Siedler und Beamte mit ihren Familien die betroffenen Länder und trugen dazu bei, dass Europa vom Auswanderer- zum Einwandererkontinent wurde. Zwischen fünf und sieben Millionen Menschen siedelten ab etwa 1940 nach Italien, Spanien, Belgien, Portugal, Frankreich, Großbritannien und in die Niederlande über.6 Ihre »Rückkehr« stellte die Mutterländer vor große Herausforderungen und veränderte einige europäische Gesellschaften von Grund auf.7