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Editorial KNICKER N° 14

Die Städte müssen umdenken

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Wie teuer das alles geworden ist! Hat auch die Doku wieder gezeigt, die ich neulich gesehen habe. Da schildert jemand empört seine Erfahrungen in Berlin – etwa so: Kannste nich mehr bezahlen. Mietenwahnsinn! Und dann stehste da mit hundert anderen Bewerbern zur Wohnungsbesichtigung – haste keene Chance. Alle wolln se nach Berlin. Ich nicke.

Soundsoviel Euro pro Quadratmeter, meint eine weitere Fernsehstimme. Sauteuer! Ich nicke wieder. Denke: Empörend! Denke dann: Oder nicht? Wie viel ist das eigentlich? Ist meine Wohnung auch so teuer? Verflixte Quadratmeterpreise. Ich versuche, das auf meine Bude umzurechnen, und stocke. Wie viel Quadratmeter hat die eigentlich? Weiß ich gar nicht. Suche Mietvertrag. Dauert … Merke dann: Aha, ist wirklich teuer. Wenn ich richtig gerechnet habe. War das jetzt eigentlich kalt oder warm? Egal, ist halt teuer in Berlin, denke ich, ist doch klar. Wollen ja alle hin.

Aber irgendwie bleibt es uneindeutig. Hängt das nicht auch vom Einkommen ab? Wichtiger ist doch: Wo übersteigen die Mieten das tatsächlich Leistbare? Dafür gibt es einen Wert, den Soziologen und einige Vermieterinnen verwenden: Wer über 30 Prozent des Nettoeinkommens aufwenden muss, um sein Wohnen zu finanzieren, zahlt eigentlich zu viel.

In dieser Statistik führt nicht Berlin, sondern Bremerhaven. Eine Stadt, die nicht wächst; sie ist in den letzten zwölf Jahren sogar geschrumpft. Trotzdem: Über 60 Prozent der Haushalte müssen dort mehr als 30 Prozent fürs Wohnen berappen. Auf dem zweiten Platz dieser Rechnung: Darmstadt. Ernsthaft? Ist das nicht die Stadt eines der reichsten Pharmaunternehmen? Ist sie. Merck heißt der Laden – über 17 Milliarden Euro Jahresumsatz. Aber es ist eben auch eine Stadt mit besonders viel Altersarmut und sozialer Spaltung. Ein Fünftel der Miethaushalte muss dort sogar mehr als 50 Prozent des Einkommens zum Wohnen aufwenden. Als Putzkraft oder Supermarktangestellter ist das nicht einfach irgendeine Zahl, sondern ein ganz konkretes Armutsrisiko.

Wer ist schuld daran? Gierige Vermieter? Immobilienkonzerne? In der öffentlichen Debatte sind Schuldige schnell gefunden. Und tatsächlich: Steigende Bodenpreise und Immobilienspekulation haben Mietpreise extrem nach oben getrieben. Doch andererseits wird vor allem in wachsenden Städten viel zu wenig gebaut. Die Gründe? Unter anderem langwierige Genehmigungsverfahren und unterbesetzte Behörden. Das bremst – und auch das treibt die Mietpreise, denn das Angebot an Wohnraum kann mit der Nachfrage nicht Schritt halten. Zudem ist die durchschnittliche Wohnfläche immer größer geworden und es gibt mehr Singlehaushalte.

Besonders gravierend: Seit Langem sinkt die Anzahl der Sozialwohnungen, also jener, die niedrigere Einkommensschichten schützen sollen. Eine Ursache: Über Jahre haben Städte Grundstücke verkauft, um Haushaltslöcher zu stopfen. Höchstbietend, Auflagen zur Sozialbindung gab es oft nur unzureichend. Das rächt sich nun.

Alleine können die Städte ihre Probleme nicht lösen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Zwar sind die Kommunen diejenigen, die vor Ort am besten für sozialen Wohnungsbau sorgen könnten. Doch ihnen fehlen häufig Geld und Erfahrung. Die Forschenden schlagen daher vor: Es müsste einen bundesweiten Fonds geben, der kommunalen Wohnungsbau fördert und die gemeinnützigen Gesellschaften mit Kapital und Wissen ausstattet. Mehr Zusammenarbeit also.

Das klingt überzeugend – bitte machen! Aber auch dieser Vorschlag ignoriert eine große Personengruppe: nämlich jene, die über gar keine Wohnung verfügen. Dazu gehören auch immer mehr Menschen, die einer geregelten Arbeit nachgehen. Schätzungen zufolge sind rund 680.000 Menschen in der Bundesrepublik wohnungslos. Lebten sie alle in einer Stadt – es wäre die sechstfünftgrößte Deutschlands. Wären sie gewerkschaftlich organisiert – es wäre nach der IG Metall und ver.di die mitgliederstärkste Gewerkschaft. Sie werden aber nicht repräsentiert, sondern ignoriert. Auch, weil viele Vorurteile existieren – etwa, dass alle eine Wohnung haben könnten, wenn sie nur wollten. Warum das falsch ist? Das beleuchtet dieser KNICKER – ebenso wie die Frage, warum in Deutschland trotz Bausparverträgen so viele Menschen zur Miete wohnen, und wo das Wohnen besonders teuer ist.

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Autor:innen

Geboren 1988, von 2017 bis 2022 bei KATAPULT und Chefredakteur des KNICKER, dem Katapult-Faltmagazin. Er hat Politik- und Musikwissenschaft in Halle und Berlin studiert und lehrt als Dozent für GIS-Analysen. Zu seinen Schwerpunkten zählen Geoinformatik sowie vergleichende Politik- und Medienanalysen.

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