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Frauen in Armeen

Die Waffe der Frau ist die Panzerfaust

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Der Engländer Denis Smith zog 1915 gegen die Deutschen in den Krieg, mit dem Fahrrad. Schon nach zehn Tagen im Schützengraben ging er erschöpft zu seinem Vorgesetzten und meldete, dass er eine Frau sei und eigentlich Dorothy Lawrence heiße. Lawrence war alleine an die Front gefahren, hatte sich die Haare abgeschnitten, marschieren gelernt und sich der Truppe angeschlossen. Ihr Ziel: So dicht wie möglich an der Front sein, um detaillierte Artikel schreiben zu können. Dorothy Lawrence war eine als Mann verkleidete Journalistin. Für Frauen war der Militärdienst an der Front eigentlich verboten. Sie wurde deshalb wieder nach Hause geschickt.

Heute ist das anders. Viele Armeen lassen Frauen zu, sie werben sogar um sie. Von der deutschen Bundeswehr gibt es ein Plakat mit einer Frau auf einem U-Boot. Darunter der Satz: »Mach, was wirklich zählt – Als Führungskraft und Offizier (m/w)«. Das zeigt Wirkung: Seit 2001 dürfen sich Frauen auf alle Stellen der Bundeswehr bewerben, und seitdem ist der Frauenanteil auf zwölf Prozent gestiegen. Das sind über 21.000 Soldatinnen.

Weltweit existieren nur wenige Länder, in denen Frauen verpflichtet sind, Wehrdienst zu leisten, darunter Israel, Schweden, Norwegen und Eritrea. In Israel ist das schon seit 1949 so. Ursprünglich hatte der damalige Premierminister Ben Gurion damit geworben, dass es nur Sicherheit für den neu gegründeten Staat geben könne, wenn auch Frauen für Israel kämpfen würden. Aus dieser pragmatischen Sicht ist mittlerweile ein Kult geworden. Es gibt unzählige Internet-, Instagram- und Facebook-Seiten, auf denen täglich die schönsten Soldatinnen der Nation gezeigt werden. Oft mit einem Doppelbild: links in Uniform, rechts im Bikini.

Über die Hälfte der deutschen Soldatinnen wird sexuell belästigt

Der Fall Dorothy Lawrence zeigt, wie schwer es noch vor einem Jahrhundert war, als Frau in die Truppe zu kommen. Das gilt für die meisten Länder. Nur die Sowjetunion institutionalisierte die Frau an der Waffe. Es gab zwar auch deutsche Frauen, die als Flakhelferinnen im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden, das blieben aber Sonderfälle. Heute werben Streitkräfte wie die Bundeswehr mit schönen Frauen. Das heißt aber auch: Die Armeen haben sich demokratisiert, die Gleichberechtigung ist in einigen Ländern vorhanden und die Gleichstellung vorangeschritten. Was aber ändert sich eigentlich, wenn immer mehr Frauen in regulären Armeen kämpfen?

Verbessert haben sich die Außenwirkung, die sozialen Fähigkeiten und der Umgangston. Erhöht hat sich die Zahl der Vergewaltigungen und verschlechtert hat sich nach subjektivem Empfinden der Soldaten auch die Kampfkraft.

Im Detail sieht das so aus: Männliche Soldaten trauen ihren weiblichen Kollegen nur bedingt militärische Fähigkeiten zu. In einer Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr waren 20 Prozent der männlichen Soldaten der Meinung, dass die Bundeswehr ohne Frauen effektiver sei. Ein Drittel glaubt, dass die Bundeswehr durch Soldatinnen an Kampfkraft verliert, und über die Hälfte der Soldaten beantwortet die Frage, ob sich die Bundeswehr durch die Integration von Frauen zum Schlechteren entwickele, mit Ja. Auch weibliche Soldatinnen bejahten diese Frage – allerdings nicht so sehr wie die Männer.

In der Studie wurden insgesamt 3.058 weibliche und 1.771 männliche Soldaten zur Integration von Frauen befragt. Sowohl Soldatinnen als auch Soldaten sind mehrheitlich der Überzeugung, dass sich der Umgangston positiv verändere, wenn Frauen im Militär sind. Etwa ein Viertel der Frauen und über die Hälfte der Männer glauben, dass es durch die Aufnahme von Frauen mehr Probleme im dienstlichen Alltag gebe. Besonders große Unterschiede in der Wahrnehmung gab es bei der Frage, ob die Soldatinnen ihre Weiblichkeit gezielt einsetzten, um berufliche Vorteile und Aufmerksamkeit zu bekommen. 60 Prozent der Männer bejahten diese Frage, von den Frauen waren es nur 30 Prozent.

Laut der Studie waren über die Hälfte der Frauen und zwölf Prozent der Männer von sexueller Belästigung betroffen. Drei Prozent der Soldatinnen berichteten von sexueller Nötigung oder Vergewaltigung. Kein Mann bejahte diese Frage.

Frau klagt sich an die Waffe

Das sind insgesamt eher negative als positive Folgen. Trotzdem ist die Einführung des Frauenmilitärdienstes ein Akt der Emanzipation. Allein der Gerichtsprozess, der dazu geführt hat, ist ein emanzipatorischer Moment. Bis zum Jahr 2001 waren der Sanitätsdienst und der Militärmusikdienst die einzigen Arbeitsfelder in der Bundeswehr, die auch Frauen offenstanden. In den anderen Bereichen waren sie nicht zugelassen.

Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs änderte das. Die Elektronikerin Tanja Kreil bewarb sich bei der Bundeswehr auf eine Stelle als Waffenelektronikerin und wurde mit Verweis auf Artikel 12a, Absatz 4 abgelehnt. Von 1956 bis 2000 hieß es darin: »Sie [Frauen] dürfen auf keinen Fall Dienst an der Waffe leisten.« Kreil klagte und der Europäische Gerichtshof gab ihr recht. Das Grundgesetz wurde geändert. Seitdem dürfen auch Frauen in Kampfeinheiten dienen. Heute sind nur noch ein Drittel der Frauen im Sanitätsdienst beschäftigt, früher war die Quote deutlich höher. Bei den Männern ist der Anteil noch geringer: 7,5 Prozent.

Israel – das Land der besseren weiblichen Soldaten

Ähnlich wie in Deutschland durften israelische Frauen lange Zeit nicht alle Positionen in der Armee besetzen. Auch dort klagte im Jahr 2000 eine Soldatin, die aufgrund ihres Geschlechts keine Pilotin werden durfte. Das Oberste Gericht gab ihr recht. Seitdem stehen zwar noch immer nicht alle, aber ungefähr 85-90 Prozent der Positionen im israelischen Militär Frauen offen. Theoretisch. Praktisch ist es noch immer so, dass die hohen Dienstgrade zu 70 bis 80 Prozent von Männer besetzt werden.

Die israelische Armee pflegt eine außergewöhnlich hohe öffentliche Präsenz. Weibliche und männliche Soldaten sind in allen zivilen Bereichen des Lebens zu sehen. Sie gehören zum normalen Stadtbild. In Souvenirläden werden sogar T-Shirts mit dem Logo der »Israel Defense Forces« verkauft. Ungefähr 65 Prozent der Frauen leisten in Israel Wehrdienst. Diejenigen, die den Wehrdienst verweigern, tun dies überwiegend aus religiösen Gründen (83 Prozent). Sie müssen Zivildienst leisten.

Die Akzeptanz gegenüber Frauen im Militär ist in der israelischen Bevölkerung hoch. 60 Prozent der Befragten befürworten, dass Frauen in Kampfeinheiten aktiv sind. Außerdem sind Frauen für das Image der israelischen Armee wichtig. Durch sie bekommt die Armee »ein sanfteres und moralisches Gesicht«. Um für den Militärdienst zu werben, hat selbst das Außenministerium Kampagnen mit attraktiven Soldatinnen geführt.

Dass Regierungen wie die deutsche und israelische offen mit ihren Kämpferinnen werben, ist historisch betrachtet eine Neuheit. Es gibt viele historische Quellen, die Frauen an der Front nachweisen: 500.000 deutsche Frauen dienten als Helferinnen in der Wehrmacht, im Reichsluftschutzbund, beim Roten Kreuz oder in Konzentrationslagern, waren aber selten in Kampfhandlungen verwickelt. Kurz vor Kriegsende wurden sie noch an der Panzerfaust ausgebildet. Der »Völkische Beobachter« druckte in den letzten Kriegswochen sogar Anleitungen zur Verwendung der Panzerfaust – der »Waffe der Frau«.

Es lassen sich viele Ausnahmen und Beispiele finden, aber eines ist klar: Frauen wurden bis ins späte 20. Jahrhundert von den Soldaten nicht als gleichrangige Kameraden anerkannt. Mit einer Ausnahme: der Roten Armee. Hier waren Frauen regulärer Bestandteil der Armee. Insgesamt dienten etwa 800.000 Soldatinnen für die Sowjetunion. Viele waren an Kriegshandlungen beteiligt, nicht nur als Helfer, sondern als Scharfschützinnen, Panzerfahrerinnen und Kampfpilotinnen. Sie wurden innerhalb der Truppe als gleichrangige Soldaten wahrgenommen.

Die Demokratisierungswelle der Armeen hat ihren Beginn in der Sowjetunion. Trotz aller Gräueltaten und Kriegsverbrechen hat dieses Regime eben auch die Gleichstellung der Frau angestrebt. Die kommunistische Ideologie in der Sowjetunion und auch in der DDR wertete die Rolle der Frau auf. Sie war nicht mehr nur Hausfrau, sondern in die Arbeitswelt der Männer integriert. Diese Gleichstellung reichte bis in die Armee, in der Frauen als Soldaten anerkannt wurden. Wäre Dorothy Lawrence Russin gewesen, sie hätte ohne Probleme als Frau von der Front berichten können – vorausgesetzt, es hätte eine freie Presse gegeben.

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Fußnoten

  1. Vgl. Lopez, Susanne; Bötel, Frank: Gelebte Normalität: Frauen in der Bundeswehr, auf: bundeswehr.de (21.11.2018).
  2. Vgl. o.A.: Frauen im Militär. Israelische Verhütungstaktik, auf: sueddeutsche.de (25.10.2018).
  3. Vgl. Kümmel, Gerhard: Truppenbild ohne Dame? Eine sozialwissenschaftliche Begleituntersuchung zum aktuellen Stand der Integration von Frauen in die Bundeswehr, Potsdam 2014.
  4. Vgl. Gross, Judah Ari: Analysis. New combat positions for women in the IDF, same old obstacles, auf: timesofisrael.com (13.3.2016); Shoval, Lilach: Number of women in senior IDF roles continues to climb, auf: israelhayom.com (2.10.2018).
  5. Vgl. Reinsch, Melanie: Wehrdienst. Wer in Israel nicht dient, gehört nicht dazu, auf: fr.de (6.8.2018).
  6. Vgl. Schmid, Ulrich: Frau sein und stark sein in der Armee, auf: nzz.ch (8.3.2017).
  7. Vgl. o.A.: Wehrdienst: Weniger Männer, mehr Frauen, auf: israelnetz.com (17.11.2016).
  8. Vgl. Lemel, Sara: »Ich bin eine Kriegerin«: Immer mehr Frauen in Israels Kampfeinheiten, auf: rnz.de (7.3.2017).
  9. Bolliger, Monika: Kämpferinnen in einer Männerdomäne, auf: nzz.ch (9.11.2013).
  10. Brockschmidt, Annika: Frauen in der Armee. Helfen, aber nicht kämpfen, auf: zeit.de (2.8.2018).
  11. Maubach, Franka: Hitlers Vernichtungskrieg. Siegen helfen, auf: zeit.de (24.5.2011).

Autor:innen

KATAPULT-Redakteurin

Ehemaliger Redakteur bei KATAPULT. Er ist Chefredakteur von KATAPULT Kultur und für die Produktionsleitung des Magazins verantwortlich. Er hat Geographie an der Universität Augsburg und der Universitat de Barcelona studiert. Er ist zudem als freiberuflicher Fotograf tätig.

Der Herausgeber von KATAPULT und Chefredakteur von KATAPULTU ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete während seines Studiums das KATAPULT-Magazin.

Aktuell pausiert er erfolgreich eine Promotion im Bereich der Politischen Theorie zum Thema »Die Theorie der radikalen Demokratie und die Potentiale ihrer Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten«.

Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)

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