Taiwan
Die Möglichkeit des Krieges
Von Tobias Müller, Juli Katz, Lilly Graschl, Patricia Haensel und Iris Becker
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Ein Staat ist ein Staat, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind: Er verfügt über ein Staatsvolk, hat ein Staatsgebiet und eine Staatsgewalt. Taiwan ist also ohne Zweifel ein Staat. Trotzdem wird das Land, das mit 23 Millionen ähnlich viele Einwohner:innen wie Nordkorea oder Australien hat, international von gerade mal 14 Staaten anerkannt. Im Grunde genommen gibt es Taiwan sogar überhaupt nicht, denn den Vereinten Nationen zufolge heißt das Land nicht Taiwan, sondern Republik China. Taiwan ist also eines von zwei Chinas. Das andere China - also die Volksrepublik unter Führung Xi Jinpings - betrachtet das demokratisch regierte Taiwan allerdings als Teil des eigenen Staatsgebiets.
Der Konflikt ist mehr als 70 Jahre alt. Die ehemalige niederländische und spanische Kolonie Taiwan stand teilweise unter chinesischer Kontrolle. Dann verlor China 1895 einen Krieg gegen Japan und musste Taiwan abgeben. Die nächsten 50 Jahre gehörte Taiwan zu Japan, bevor es 1945 wieder in die chinesische Verwaltung überging. Ruhe kehrte damit allerdings nicht ein. Stattdessen spitzte sich in China der Bürgerkrieg zwischen der nationalistischen Regierungspartei und der Kommunistischen Partei zu. 1949 hatten die Kommunisten dann das gesamte Festland erobert und gründeten die Volksrepublik China. Der Großteil der nationalistischen Truppen flüchtete nach Taiwan und übernahm dort die Regierungsgewalt.
Zur Demokratie wurde der Inselstaat aber erst im Jahr 1996. Mittlerweile gilt Taiwan aufgrund von freien Wahlen, einer unabhängigen Justiz, einer eigenen Armee und definierten Gebietsgrenzen als eine der stabilsten Demokratien der Region. Auch wirtschaftlich hat sich Taiwan eine wichtige Position erarbeitet. Das BIP liegt bei 668,5 Milliarden US-Dollar, das Pro-Kopf-Einkommen bei 28.306 US-Dollar. Damit ist Taiwan nach Singapur, Japan und Korea das viertwohlhabendste Land Asiens und wichtig für den Welthandel und die Weltwirtschaft. Insbesondere, wenn es um elektronische Bauelemente geht. Denn vor allem das Unternehmen TSMC ist global führend und wichtig für die Außen- und Sicherheitspolitik vieler Staaten. Denn in den meisten elektronischen Produkten befinden sich Chips dieses Herstellers. Insgesamt entfällt über die Hälfte des weltweiten Marktanteils in dieser Wirtschaftssparte auf Taiwan.
Mitglied bei den Vereinten Nationen (UN) ist Taiwan aktuell trotzdem nicht. Die Volksrepublik China hingegen ist nicht nur einfaches Mitglied, sondern einer der Veto-Staaten im UN-Sicherheitsrat. Das erleichtert es der Volksrepublik, Taiwans Souveränität herauszufordern. So fliegen beispielsweise immer mehr chinesische Flugzeuge in die taiwanesische Luftraumüberwachungszone. 950 solcher Flüge sollen es allein im Jahr 2021 gewesen sein. Daneben soll auch die chinesische Marine präsenter und chinesische Cyberattacken gegen taiwanische Behörden sollen ausgeweitet worden sein. Außerdem stoppte China den Import von taiwanischen Ananas. Taiwans Präsidentin ließ 2020 verlauten, dass ein Krieg nicht ausgeschlossen werden könne. Und der chinesische Präsident sagte kürzlich, dass alles “ein böses Ende nehmen” werde.
Solche Drohungen häufen sich unter anderem, wenn die USA eine Rolle spielen. Die sind seit den frühen 1950er-Jahren ein zentraler Akteur im chinesisch-taiwanesischen Konflikt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Vereinigten Staaten auf der Suche nach militärischen Verbündeten in Südostasien an die Regierung in Taipeh gewandt. Ende der 1970er-Jahre stellten die Vereinigten Staaten dann zwar ihre offiziellen Beziehungen zu Taiwan ein. Der Handel zwischen den USA und dem Inselstaat ist allerdings rege - Waffenlieferungen inklusive. Offizielle Aussagen darüber, ob die USA Taiwan im Falle eines Angriffs militärisch verteidigen würden, gibt es allerdings nicht.
Sicher ist hingegen, dass die taiwanesisch-US-amerikanische Verbindung für China ein Problem ist. Denn sie steht sowohl dem “Chinesischen Traum” der Wiedervereinigung entgegen, als auch dem Vorhaben, die eigene Macht im Südchinesischen Meer auszubauen. Dieses und die sogenannte Taiwanstraße sind besonders wichtig für den Welthandel, vor allem für die USA, Japan und Europa.
Mit Europa teilt Taiwan dasselbe liberale Wertefundament. Andererseits halten sich die Europäer:innen bedeckt und “vermeiden [...] Gesten, die als Anerkennung der Staatlichkeit Taiwans aufgefasst werden könnten”. Alle anderen Bemühungen werden seitens der VR China auch sanktioniert. So wurde Litauen von der VR mit einem Importstopp belegt, nachdem die litauische Regierung die Eröffnung einer offiziellen Vertretung Taiwans in Vilnius erlaubt hatte. Als die drei wichtigsten europäischen Staaten für Taiwan gelten Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Deutschland beispielsweise ist der größte Handelspartner Taiwans in Europa und auch ein universitärer Austausch findet regelmäßig statt.
Wie sich die taiwanesisch-europäischen Beziehungen entwickeln, dürfte auch vom Fortgang des Konflikts zwischen China und Taiwan abhängen. Dafür, dass sich die Situation verschlechtert hat, nennt das Deutsche Institut für Internationale Politik und Sicherheit drei Gründe. Erstens sind die USA nicht mehr die überlegene Macht, da die VR China unter Xi Jinping ordentlich aufgerüstet hat, etwa was Mittelstreckenraketen angeht. Zweitens hat sich das Selbstverständnis der Bevölkerung Taiwans gefestigt - in Abgrenzung zur Volksrepublik China. Und drittens ist Taiwan ein optimaler Spielball zwischen den USA und China - geographisch, technisch und ein Konflikt "zwischen liberal-demokratischer und autoritärer Gesellschaftsordnung". Ob und inwiefern sich dieser auch durch den Krieg Russlands weiter verschärft und wie sich Europa positioniert, bleibt abzuwarten.
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Autor:innen
Geboren 1986, ist seit 2020 Redakteur bei KATAPULT. Er hat Politikwissenschaft und Geschichte in Freiburg und Greifswald studiert und wurde mit einer Arbeit im Bereich Politische Ideengeschichte promoviert. Zu seinen Schwerpunkten zählen die deutsche Innenpolitik sowie Zustand und Entwicklung demokratischer Regierungssysteme.
Seit 2019 bei KATAPULT, seit 2020 Onlinechefin. Vor allem für die Berichterstattung über sozialpolitische Themen zuständig.
Geboren 1994, ist seit 2021 Grafikerin bei KATAPULT. Sie hat visuelle Kommunikation in Graz studiert und ist Illustratorin.
Seit 2020 als Redakteurin bei KATAPULT vor allem für aktuelle Berichterstattung zuständig. Sie ist ausgebildete Fotografin und studierte Technikjournalismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.