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Holländer trinken Heineken. Das ist kein Vorurteil, sondern Fakt. Auf den Hersteller aus Amsterdam entfallen über 50 Prozent des niederländischen Bierkonsums. Zum Vergleich: Den größten Marktanteil in Deutschland hat die Radeberger-Gruppe – mit unter oder annähernd 15 Prozent. Zu ihr gehören auch bekannte Marken wie Berliner Kindl, Jever oder Sternburg.
Die Dominanz von Heineken im Nachbarland lässt sich jedoch nicht nur mit dem Geschmack begründen, denn bei Bier ist Qualität nicht alles. Marktmacht, Image und Unternehmensstrategie sind entscheidend. All das hat Heineken sowohl in den Niederlanden als auch weltweit zu einem der größten Hersteller gemacht.
Viele Konsumenten wissen das nicht. Nicht immer finden sich auf den Produkten Hinweise darauf, welche Firma hinter einer einzelnen Marke steht. So gehören dem niederländischen Unternehmen Top-Marken wie Amstel (Niederlande), Desperados (Frankreich), das asiatische Tiger-Bier (Singapur), Gösser aus Österreich, Krušovice aus Tschechien oder Murphy’s aus Irland. Auch wer Cider von Bulmers oder Strongbow trinkt, konsumiert ein Heineken-Produkt.
Geschäftsmodell Saufen – ausgerechnet in Deutschland funktioniert das nicht
Heineken ist fast überall – in 190 Ländern hat sich das Unternehmen in den letzten Jahren Geschäfts- und Marktanteile gesichert, in einigen davon ist es marktbeherrschend. Und die Expansion ist noch nicht beendet. Die Konzernleitung will ihr Imperium insbesondere in Asien und Afrika weiter ausbauen – zum Teil mit zweifelhaften Strategien.
Der niederländische Konzern ist der zweitgrößte Bierproduzent weltweit und gehört gemeinsam mit dem globalen Marktführer Anheuser-Busch InBev (Belgien), China Resources Breweries Ltd. und Carlsberg (Dänemark) zu einem Oligopol mit gewaltiger Marktmacht. Allein diese vier Braukonzerne vereinen über die Hälfte des weltweiten Bierhandels auf sich. Nicht aber in Deutschland. Hier agieren die Konzerne sehr zurückhaltend.
Das hat Gründe. Der deutsche Biermarkt gilt als zersplittert und daher kompliziert. Zwar verfügen auch hier große Brauereien über wesentliche Anteile am Biermarkt und auch hier wissen Konsumenten nicht immer, an welchen Konzern ihr Geld fließt, wenn sie diese oder jene Marke kaufen. Allerdings ist die Konkurrenz traditioneller Marken untereinander größer und die Macht einzelner Akteure wesentlich geringer. Die Konsequenz: Während die Gewinnmargen der Brauereien in Wachstumsmärkten häufig im zweistelligen Prozentbereich liegen, erwirtschaften sie hierzulande deutlich niedrigere Gewinne. Diese niedrigen Renditeerwartungen bieten für Investitionen oder Übernahmen aus dem Ausland nur wenig Anreize.
Großkonzerne angeln Jugendliche und Frauen mit Himbeer- und Cappuccinobier
Zudem steht die Branche in Deutschland seit Jahren unter Druck. Der Markt schrumpft, der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum sank zwischen 1993 und 2018 von jährlich 136 Liter Bier auf 102 Liter. Über viele Jahre haben die großen Brauereien deshalb Mitarbeiter entlassen. Inzwischen stabilisieren sich Konsum und Beschäftigungssituation zwar wieder, für ausländische Konzerne barg der Markt in der Vergangenheit jedoch zu viele Risiken.
Verantwortlich für den gesunkenen Bierabsatz ist unter anderem eine veränderte Arbeitswelt, in der alkoholische Getränke zur Mittagspause nur noch selten geduldet werden, sowie der demografische Wandel, denn ältere Menschen trinken tendenziell weniger Bier. Darüber hinaus sorgt vor allem das gestiegene Gesundheitsbewusstsein für einen niedrigeren durchschnittlichen Alkoholkonsum – auch unter jungen Menschen unter 26 Jahren, bei denen der Konsum besonders deutlich zurückgegangen ist.
Dieser Trend zwingt die Unternehmen, sich anzupassen: Sie bieten vermehrt alkoholfreies Bier sowie milde und fruchtige Geschmacksrichtungen an, die Frauen als Zielgruppe gewinnen sollen. Veltins entwickelte für seine jugendorientierte Serie V+ gar ein Cappuccinobier. Selbst in das wachsende Geschäft mit Craftbiersorten sind einige Großanbieter inzwischen eingestiegen, obwohl diese eigentlich als Anti-Konzern-Biere gelten. Denn bei diesen stehen nicht Absatzzahlen, sondern das Brauhandwerk und experimentelle Geschmacksrichtungen im Vordergrund. Dass Kunden bereit sind, für solche Biere mehr zu zahlen, weckt jedoch auch das Interesse großer Brauereien.
Zwei Großkonzerne dominieren den Markt in Österreich und der Schweiz
Anders als in Deutschland sind die Biermärkte in Österreich und der Schweiz weniger stark von sinkenden Absatzzahlen betroffen, oder sie haben sich nach Einbußen zu Beginn der Neunziger stabilisiert. In der Schweiz stieg der Verbrauch seit 2017 sogar wieder an – ebenso wie die Zahl der Hersteller.
Inzwischen ist die Schweiz das Land mit der höchsten Brauereidichte weltweit, nirgends gibt es mehr Brauereien pro Einwohner. Besonders in den letzten Jahren sind zahlreiche neue entstanden – allerdings vor allem kleine Produzenten und Craftbier-Hersteller. Ihr Marktanteil ist gering. Die kleinsten 900 Brauereien der Schweiz stellen nicht einmal ein Prozent der Gesamtmenge her.
Stattdessen stechen in der Alpenrepublik zwei Großkonzerne hervor: Heineken und Carlsberg. Gemeinsam vereinen die Unternehmen aus den Niederlanden beziehungsweise Dänemark über 60 Prozent des Schweizer Marktanteils auf sich. So befindet sich der Hersteller Feldschlösschen, der allein etwa 40 Prozent Marktanteil erreicht, seit 2000 im Besitz von Carlsberg. Feldschlösschen liefert sowohl die eigene Marke als auch zahlreiche regionale und lokale Sorten aus – etwa Cardinal, Valaisanne, Warteck oder Gurten. Heineken vertreibt neben der eigenen Marke ebenfalls eine Vielzahl von Traditionsbieren, unter anderem Calanda, Eichhof, Haldengut, Ziegelhof und Ittinger.
Österreicher trinken überwiegend Heineken-Produkte – vermutlich ohne es zu wissen. Hier hat das niederländische Unternehmen im Jahr 2003 die Brau-Union übernommen, die einige Jahre zuvor aus der Fusion führender österreichischer Brauereien hervorgegangen war. Zu ihrem Imperium gehören absatzstarke Marken wie Gösser, Zipfer oder Puntigamer ebenso wie kleine Regionalmarken. Mit der geplanten Übernahme der Brauerei Fohrenburg beträgt der Anteil Heinekens am österreichischen Biermarkt über 60 Prozent. Zu viel, kritisieren mittelständische Konkurrenten. Heineken sei zu mächtig und dominiere die Supermarktregale nach Belieben. Sie hoffen, dass die Wettbewerbsbehörden die jüngste Übernahme stoppen.
Unbekannter Bierkonzern macht mehr Umsatz als Coca-Cola
Von diesen Konzentrationsprozessen dürften die meisten Konsumenten nichts mitbekommen. Denn Marktmacht beim Bier kommt kaum durch Exporte zustande, die Ausfuhr abgefüllter Flaschen ist teuer und lohnt sich nur bei Premiumsorten. Stattdessen kaufen die Konzerne bestehende Marken. Damit bleibt den Kunden die Vielfalt erhalten, und für die Konzerne ist das trotzdem ein lohnendes Geschäft: Wettbewerber schlucken, Kosten senken und – wenn die Marktmacht es zulässt – Preise erhöhen. Das funktioniert insbesondere dann, wenn zu dem Konzern auch Lieferanten gehören und enge Absprachen etwa mit Hotels, Bars und Restaurants bestehen.
Längst sind in zahlreichen Ländern Duo- oder Oligopole entstanden. Ob in Europa oder weltweit: Mindestens einer der vier großen Konzerne ist in der Regel beteiligt. An jeder Flasche Hasseröder oder Beck’s, an jedem Maß Löwenbräu verdient auch in Deutschland ein solcher Konzernriese mit: Anheuser-Busch InBev, der größte Bierhersteller der Welt. Das Unternehmen mit einem Weltmarktanteil von fast 30 Prozent setzt inzwischen deutlich mehr um als etwa Coca-Cola (55 Milliarden zu 35 Milliarden Dollar), ist allerdings bei Weitem nicht so bekannt.
Expansion nach Afrika: perfide Marketingstrategien
Inzwischen stagniert der Biermarkt in Westeuropa jedoch, in einigen Ländern schrumpft er sogar. Die großen Brauereien suchen daher neue Absatzmärkte – etwa in Indien, China und afrikanischen Staaten. Afrika gehört zu den Regionen mit dem geringsten Bierkonsum. Noch. Denn die multinationalen Brauereikonzerne wollen das ändern. Sie rechnen mit hohen Gewinnen. Die Bedingungen sind günstig: Die Mittelschicht wächst, die Bevölkerung ist jung und die Werbemöglichkeiten werden kaum gesetzlich eingeschränkt. Afrika verfügt heute bereits über den am stärksten wachsenden Biermarkt weltweit – etwa in Kenia, Kamerun oder Südafrika.
Nicht nur Bier-, auch andere multinationale Alkoholproduzenten haben deshalb den Kontinent für sich entdeckt. Die Folge: Afrika ist einer neuen Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge inzwischen der Kontinent mit den meisten Alkoholschäden, vor allem durch alkoholbedingte Krankheiten, aber auch Verkehrstote und hohe Abhängigkeitsraten. Daran tragen die Bier-Weltmarktführer eine Mitschuld.
Das folgert ein Wissenschaftlerteam um Carina Ferreira-Borges vom Institut für Hygiene und Tropenmedizin der Universität Lissabon. Es hat untersucht, wie sich die Expansion der Alkoholhersteller auf die öffentliche Gesundheit auswirkt und welche Maßnahmen die Politik ergreifen sollte. Den Forschern zufolge führt die starke Konkurrenz der mächtigen Konzerne dazu, dass sie besonders schnell und mit aggressiven Werbestrategien die neuen Märkte besetzen wollen. Dazu gehören neben TV- und großflächiger Plakatwerbung auch das Sponsoring von Sportveranstaltungen und -mannschaften – Maßnahmen, die vor allem auf die junge Generation abzielen.
Heineken selbst bewertet sein Engagement anders. Der Konzern wirbt damit, einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Kontinents zu leisten, indem er etwa die regionale Wirtschaft fördere und mit lokalen Bauern bei der Herstellung von Rohstoffen kooperiere. Zudem beteilige sich das Unternehmen an Maßnahmen zur HIV-Bekämpfung und Alkoholprävention.
Ohne Heineken könnte die Diktatur in Burundi kaum überleben Alkoholhersteller, die Entwicklung fördern und Alkoholismus bekämpfen. Funktioniert das? Überwiegend nein, folgert der investigative Journalist Olivier van Beemen in seiner Fallstudie »Heineken in Africa«. Er hat die Projekte und Strategien von Heineken in zahlreichen afrikanischen Ländern vor Ort untersucht. Ihm zufolge fehlen grundlegende Voraussetzungen, um tatsächlich ein Entwicklungsförderer zu sein: allen voran Regeln und Kontrolle.
Die Steuern in afrikanischen Staaten sind niedrig, Alkoholwerbung wird kaum beschränkt, eine institutionalisierte Aufklärung über Folgen des Alkoholkonsums fehlt. Auch die WHO empfiehlt, durch höhere Steuern und Werbeverbote die Ausbreitung des übermäßigen Alkoholkonsums zu verhindern. Befolgt werden ihre Maßnahmen auf dem Kontinent bislang kaum – auch, weil die Konzerne über politischen Einfluss verfügen.
Heineken, so schreibt van Beemen, unterhalte beispielsweise enge Verbindungen in höchste politische Kreise und nutze diese fürs Geschäft. Dabei scheue sich der Konzern nicht, Gewinne auf Kosten von Menschenrechten zu machen – etwa in Burundi, wo der ursprünglich demokratisch gewählte Präsident Pierre Nkurunziza das Land in eine Diktatur geführt hat. Ohne Heineken, so der Journalist, könnte sich das Regime finanziell nur schwer halten. Für etwa ein Drittel des burundischen Steueraufkommens sei Heineken mit seiner dortigen Tochterfirma verantwortlich.
Firma und Politik sind dabei auch personell verflochten. Der Vorsitzende des höchsten Gerichtes ist seit 2015 zugleich Aufsichtsratschef der Brauerei – auf Wunsch Nkurunzizas, der durch eine staatliche Minderheitsbeteiligung über Mitspracherechte verfügt. Nur kurz nach dieser Neubesetzung fällte das höchste Gericht ein entscheidendes Urteil zum Machterhalt des Präsidenten: Anders als in der Verfassung vorgesehen, konnte Nkurunziza eine dritte Amtszeit antreten.
Vorbild Monsanto: Heineken und Carlsberg patentieren Gerste
Auch in Europa verfolgen die Bierkonzerne umstrittene Strategien, um Einfluss und Umsatz zu steigern. So haben sich Carlsberg und Heineken 2016 gemeinsam Patente auf einige Sorten Braugerste gesichert, denen bestimmte unerwünschte Geschmacksstoffe fehlen.
Über 40 Organisationen, darunter zahlreiche deutsche und österreichische Brauereien sowie die Plattform »Keine Patente auf Saatgut«, hatten dagegen Einspruch erhoben. Sie werfen den beiden Unternehmen vor, das Patentrecht zu missbrauchen.
Das Problem: Das EU-Recht erlaubt eigentlich nur Patente auf genmodifizierte Sorten, da diese als Erfindung gelten. Nahrungsmittel, die durch konventionelle Züchtung zustande kommen, können hingegen nicht geschützt werden. Die betreffenden Gerstensorten waren jedoch durch zufällige, natürliche Mutationen entstanden. Für solche Fälle existieren im EU-Recht keine eindeutigen Regelungen. Diese Lücke versuchen Carlsberg und Heineken zu nutzen. Die Strategie erinnert an Saatgutkonzerne wie Monsanto beziehungsweise Bayer, die ebenfalls über solche Unklarheiten in den Vorschriften versuchen, konventionell entstandenes Saatgut als Eigentum zu schützen – und damit etwa bei Brokkoli, Mais oder Baumwolle teilweise erfolgreich waren.
2018 hat das Europäische Patentamt in München das Patent auf Braugerste deutlich eingeschränkt. Während es vorher für alle Pflanzen galt, denen die unerwünschten Geschmacksstoffe fehlten, bezieht es sich jetzt nur noch auf Pflanzen mit spezifischen Mutationen, die die Bildung dieser Stoffe beeinflussen können. Beendet ist der Streit damit jedoch nicht, denn die Gegner der Konzerne wollen eine vollständige Aufhebung der Patente erwirken.
Generell ist die starke Stellung der Konzerne problematisch. Sowohl für Konkurrenten als auch Kunden kann deren große Marktmacht negative Folgen haben. Den Weltmarktführer AB InBev verurteilte die Europäische Kommission 2019 wegen Wettbewerbsverzerrung auf dem belgischen Markt zu einer Strafe von 200 Millionen Euro. Er hatte versucht, preiswerte Importe seiner eigenen Marken aus dem Ausland zu verhindern. Auch Heineken musste 2007 bereits eine ähnlich hohe Strafe wegen Preis- und Kundenabsprachen zahlen – unter anderem gemeinsam mit einer Vorgängerfirma von AB InBev, die aber als Kronzeugin straffrei ausging.
Dieser Text erschien in der 17. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.
Autor:innen
Geboren 1988, von 2017 bis 2022 bei KATAPULT und Chefredakteur des KNICKER, dem Katapult-Faltmagazin. Er hat Politik- und Musikwissenschaft in Halle und Berlin studiert und lehrt als Dozent für GIS-Analysen. Zu seinen Schwerpunkten zählen Geoinformatik sowie vergleichende Politik- und Medienanalysen.