Artikel teilen
Unsere Vorwürfe gegen den Spiegel betreffen vier Punkte:
1. Herabwürdigung von Mitarbeitenden
2. Verzerrte und falsche Zitate
3. Manipulation der Mitarbeitenden
4. Verletzung der Sorgfaltspflicht
Vorweg: Als wir unseren Buchladen in Chemnitz aufgebaut haben, ließ ich (Benjamin Fredrich) die Spiegel-Mitarbeiterin Vicky Bargel in unser Haus. Ich war offensichtlich naiv, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass eine Spiegel-Journalistin Mitarbeitende von KATAPULT, Freunde und Freundinnen des Buchladens und engagierte Chemnitzer mit verfälschten Zitaten und falsch dargestellten Ereignissen herabwürdigen und in einem völlig verzerrten Licht darstellen würde.
Dafür trage ich die Verantwortung und das tut mir leid! Bevor wir gemeinsam als Buchladen-Team auf den Spiegel-Artikel antworten, überlasse ich an dieser Stelle den Personen das Wort, die der Spiegel degradiert hat.
Einzelstatements
Doreen (Unterstützerin Buchladen Chemnitz)
Der Spiegel-Artikel klingt so, als hätte jemand den Auftrag, KATAPULT zu diffamieren. Allein schon bei der Darstellung meiner Person merkt man, dass hier falsche Tatsachen behauptet werden: Ich hatte weder eine Daunenjacke an noch einen Autoschlüssel in der Hand. Zum Einkaufen geschickt hat Benni mich auch nicht. Ich wollte das und habe auch nicht aus Höflichkeit meine Hilfe angeboten. Ich will helfen, weil ich an den Laden in Chemnitz glaube. Ich finde es sehr traurig, dass Hilfsbereitschaft und Unterstützung als Ausnutzen dargestellt werden. Ich hatte keine Kenntnis davon, dass ich in einem Spiegel-Artikel vorkommen werde. Ich habe den Spiegel seit nunmehr fast 30 Jahren abonniert und hätte mir so ein Verhalten nie vorstellen können.
Janna (Buchladen Chemnitz)
In ihrem Artikel stellt Vicky Bargel in nur einem Satz über mich gleich zwei Dinge falsch dar (siehe Beitrag Berichtigungen des Spiegel-Artikels „Ewig Anfänger“, Punkt 4 und 5). Für mich stellt sich die Beschreibung meiner Person im Artikel so dar, als würde ich ehrenamtlich helfen, aber ich werde für meine Arbeit im Buchladen bezahlt.
Wohlwollend könnte ich Vicky Bargel als eine Person lesen, die Situationen fehlinterpretiert, weil sie es nicht besser weiß. Da sie es aber immerhin zur Journalistin beim Spiegel gebracht hat, liegt es näher, dass sie einen Aufreger brauchte, um Relevanz für ihren Artikel herzustellen. Dafür zeichnet sie ein einseitiges Bild, das vor allem die weiblichen Teammitglieder herabwürdigt.
Es wird suggeriert, wir seien naive Helferinnen, die ausschließlich im Dienste von Benjamin Fredrich stehen. Was ich als Ausdruck von Teamgeist und kollegialem Miteinander betrachte, deutet Bargel zu Unterwürfigkeit um. Ihre Perspektive wirkt auf mich an dieser Stelle patriarchal geprägt und misogyn.
Bargel verfasst feministische Artikel, zum Beispiel über Thomas Gottschalk. Daher finde ich es besonders irritierend, dass ausgerechnet sie engagierte Frauen, die unabhängig von Benjamin Fredrich ihren unterschiedlichen Berufen nachgehen und nicht in der Öffentlichkeit stehen, auf diese Weise diskreditiert. Im Hinblick auf journalistische Ethik empfinde ich ihre Darstellungen daher als sehr problematisch.
Trotz des Falles rund um Claas Relotius hatte ich das Vertrauen in die hohe journalistische Qualität des Spiegels nicht gänzlich verloren. Umso enttäuschender ist es, nun selbst zum Gegenstand von Falschdarstellungen durch ein Medium geworden zu sein, das eigentlich dem Leitspruch ihres Gründers „Sagen, was ist“ folgen will. Denn so, wie Bargel es in ihrem Artikel beschreibt, ist es aus der Perspektive des gesamten Teams und der Nachbar:innen vom Sonnenberg, die an diesem Tag geholfen haben, definitiv nicht gewesen. Der Buchladen ist nun eröffnet und entwickelt sich durch Ideen von all diesen Personen jeden Tag weiter.
Mandy (Unterstützerin Buchladen Chemnitz)
Ich habe viele der Gespräche im Buchladen mitbekommen. Viele Aussagen im Spiegel-Text entsprechen nicht dem, was vor Ort gesagt wurde. Ich finde es nicht gerechtfertigt, wie das Team hier dargestellt wird. Auch ich werde falsch dargestellt. Ich habe selbstverständlich nicht nur geputzt, ich bin vor allem handwerklich begabt und habe Ideen für den Buchladen eingebracht. Ich habe die Eingangstür repariert, das hat Frau Bargel auch mitbekommen und ich habe es ihr sogar gesagt.
Ich habe versucht, Aufgaben zu übernehmen, für die gerade keiner ein Auge hat, die aber wichtig waren. Meist ganz ohne Anweisungen. Ich bin gerne im Buchladen, nicht aus flammender Überzeugung, nicht weil ich Benni vergöttere, sondern weil das Projekt genau das ist, was Chemnitz und der Sonnenberg brauchen: Kultur zum Anfassen, ein Kleinod, ein Geschäft wie kein zweites und einen unterstützenswerten Zweck: Leute zum Lesen und Nachdenken bringen (und zwar ohne ihnen in irgendeiner Weise vorzugeben in welche Richtung).
Rahel (Buchladen Chemnitz)
Frau Bargel hat mich offenbar nicht mehr ernstgenommen, als ich ihr gesagt habe, dass ich 18 Jahre alt bin. Später war sie erstaunt, dass ich aufwendige Ladenschilder baue. Bargel hat gesehen, dass hier viele Leute selbständig und kreativ gearbeitet haben, es im Artikel aber so dargestellt, als würden alle Frauen gewissermaßen nur einen Lappen von links nach rechts wischen können.
Dorle (Buchladen Chemnitz)
Wir möchten klarstellen, dass wir keine Handlanger von Benni sind, sondern ein Team von Menschen, die hinter dem Katapult-Verlag stehen. Jeder von uns bringt sich mit seinen unterschiedlichen Stärken und Zielen in den Buchladen ein. Unsere Arbeit geht weit über einfache Unterstützung hinaus; wir verfolgen gemeinsam die Vision, ein Ort für Austausch, Kultur und Literatur zu sein. Es ist erschreckend, dass das in diesem Artikel untergeht.
Ole (Buchladen Chemnitz)
Ich möchte mal anmerken, dass ich falsch zitiert wurde. Ich war von Anfang an nicht sonderlich von der Idee überzeugt, dass Vicky Bargel uns schon vor der Eröffnung des Buchladens besuchen kommt. Benni hingegen vertraute ihr, ein Vertrauen, welches Bargel sich anscheinend unter falschem Vorwand aufbaute. War Benni da, war Bargel interessiert und bemühte sich, stets sympathisch zu wirken. Waren nur wir da, wurde es komisch. Der Ton wechselte, die Suggestivfragen nahmen zu und es schien uns so, als suchte sie nach einem großen Skandal. Ich sagte ihr daraufhin, dass die von ihr genannte Kritik für mich nicht den positiven Impact überschatten könne, den KATAPULT und Benni haben. Später wird sie mich nicht nur falsch und zusammenhanglos zitieren, sondern auch unreflektiert erscheinen lassen: „Man kann Benni gar nicht so viel kritisieren, dass schlecht wird, was er Gutes tut.“ Sie schrieb ebenfalls, dass ich die Bücher allein vom Paketauto in den Laden trug. Sie erwähnt nicht, dass im Laufe des Tages fast alle Leute Bücher in den Laden getragen haben. Das mag jetzt kleinlich wirken, es sind jedoch zwei Beispiele einer Konstante in Vicky Bargels Artikel, dass sich fast unbemerkt der Artikel immer weiter von der Realität entfernt. So werden durch einen falschen oder zusammenhanglos geschriebenen Artikel Menschen zu dümmlichen, unbezahlten Handlangern, die in Wirklichkeit das Gegenteil sind.
Fanny (Buchladen Chemnitz)
Ich habe den Eindruck, dass es in dem Artikel darum ging, Benni zu verunglimpfen. Dabei hat sie es aber nicht belassen sondern außerdem andere, nicht öffentliche Personen in ihrer Darstellung als minderwertig abgebildet. Sie hat diese Menschen unfair und unangemessen in die Öffentlichkeit gezerrt. Es kam nicht raus, wie harmonisch, wertschätzend und unterstützend alle aus dem Team miteinander umgehen, wie alle zusammen kreativ und gleichgestellt den Buchladen zu einem kulturellen/literarischen Wohlfühlort machen und ihn immer weiterentwickeln.
Gemeinschaftliches Statement des KATAPULT-Teams in Chemnitz (Doreen, Dorle, Janna, Mandy, Fanny, Ole, Rahel und Benjamin Fredrich):
1. Herabwürdigung von Mitarbeitenden
Als der Spiegel-Artikel „Ewig Anfänger“ erscheint, entstehen größte Verletzungen bei den Frauen, die im Chemnitzer Buchladen arbeiten. Wie wir in den Einzelstatements bereits ausgeführt haben, stellt Bargel die Frauen im Team als reine Gehilfinnen dar, die nicht selbstbestimmt entscheiden können.
Auch von der Arbeit der Frauen vor Ort zeichnet Bargel ein verzerrtes Bild. Im Artikel nennt sie hauptsächlich Tätigkeiten wie Putzen oder Häkeln, oder lässt es wirken, als wären das Dienerinnen:
- „Mandy [...] Man sieht sie im Laden vor der Eröffnung nie ohne Lappen oder Staubsaugerrohr in der Hand.“
- „Doreen [...] bringt Blechkuchen in den Laden. Sie hat Käuze gehäkelt, Wolleulen, die einem Symbol von ,Katapult' nachempfunden sind.“
- „Da ist noch Janna, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, die für Fredrich Essen kauft und sein Auto tankt.“
Die Frauen, die an diesem Tag im Buchladen arbeiteten, konzipierten jedoch Schaufenster-Auslagen, reparierten Türen, bauten Tische und brachten Ideen ein. Und das alles, während Bargel im Laden war.
Noch kritischer ist, dass Frau Bargel mit einigen Frauen von KATAPULT länger gesprochen hatte. Sie kennt ihre beruflichen Pläne und trotzdem porträtiert sie die Frauen als reine Hilfsarbeiterinnen eines Mannes. Arbeitsleistungen und Karrieren dieser Frauen erfahren von Vicky Bargel keinen angemessenen Respekt.
2. Verzerrte und falsche Zitate
Im Spiegel-Artikel gibt es Zitate, die auf zwei Arten zustande gekommen sind. Das sind erstens Zitate von Benjamin Fredrich, die er vorher abgesegnet hat, und zweitens sind es Zitate, die vor Veröffentlichung nicht an uns geschickt und somit auch nicht abgesegnet wurden. Leider sind die Zitate aus der zweiten Gruppe größtenteils falsch oder aus dem Zusammenhang gerissen (siehe obige Einzelstatements). Ein Zitat ist übrigens auch dann falsch, wenn es lediglich in einem falschen Kontext präsentiert wird. Das ist bei fast allen Zitaten im Spiegel-Artikel der Fall.
Bargel versuchte außerdem, kontextfreie Zitate wie beispielsweise „Ich will den nächsten Knall“ absegnen zu lassen, was für die betreffende Person (hier Fredrich) immer ein Risiko ist. Den Satz hat Fredrich beispielsweise nicht gesagt. Eine weitere Methode der Verzerrung sind neben falschen Zitaten auch falsche Informationen. Dass Janna zum Beispiel nicht „für Fredrich“, sondern für das ganze Team Essen holte, scheint wenig relevant. Da sich derartige Verzerrungen jedoch durch den gesamten Artikel ziehen, entfalten sie eine Wirkung, die zur Verunglimpfung der betreffenden Personen führt.
3. Manipulation der Mitarbeitenden
Bargel hat auf zwei Weisen versucht, KATAPULT-Mitarbeitende zu manipulieren. Die erste betrifft Benjamin Fredrich. Bargel hat ihm gegenüber Vertrauen aufgebaut, versichert, eine faire Perspektive einzunehmen, ihm mehrfach klargemacht, sie habe großen Respekt für die KATAPULT-Arbeit. Sie thematisierte im Gespräch Fredrichs Familie und seinen verstorbenen Bruder. Das sind emotionale Themen. Und auch Bargel spricht über ihre Familiengeschichte. Wir haben das Gefühl, dass dieses Verhalten lediglich strategisch motiviert war. Durch ein derartiges Vorgehen verspielen sich Journalistinnen und Journalisten das Vertrauen, das ihr Berufszweig eigentlich dringend braucht.
Die zweite Art der Manipulation betrifft Mitarbeitende von KATAPULT und des Buchladens in Chemnitz. Bargel stellt Suggestivfragen, die bereits eine falsche Annahme beinhalten. Um bei solchen Fragen nicht das suggerierte Ergebnis versehentlich zu bestätigen, muss man hellwach sein und strikt ablehnen. Journalismus und Wissenschaft müssen aber andersrum arbeiten: ergebnisoffen. Man recherchiert/forscht und was rauskommt, schreibt man auf.
4. Verletzung der Sorgfaltspflicht
Der Spiegel steht trotz der Skandale der letzten Jahre für Integrität. Dass heute aber immer noch Artikel wie der von Vicky Bargel möglich sind, ist bedenklich. Denn es bleibt nicht bei falschen Zitaten, Manipulationen und Herabwürdigungen – Bargel verletzt auch ihre Sorgfaltspflicht.
Vicky Bargel konfrontiert Fredrich kurz vor Veröffentlichung des Artikels mit Fragen und auch mit Vorwürfen. Fredrich gibt mitunter ausführliche Antworten und entkräftet die Vorwürfe. Bargel lässt die Stellungnahme dann aber weitgehend unbeachtet. (Wir veröffentlichen an dieser Stelle Berichtigungen der falschen, verzerrten und degradierenden Informationen aus dem Spiegel-Artikel „Ewig Anfänger“)
Es ist einerseits journalistischer Standard, betroffene Personen mit Vorwürfen zu konfrontieren, andererseits müssen dann die Antworten auch genannt oder wenigstens klargemacht werden, dass die Gegenseite die Vorwürfe bestreitet. Bargel unterlässt häufig beides.
Das Ergebnis ist ein von der Realität entrückter Artikel. Unserem Eindruck nach hat Vicky Bargel:
- Zitate verfälscht
- versucht, Mitarbeitende zu manipulieren
- unsere Antworten auf ihre Fragen überwiegend ignoriert
- Situationen falsch dargestellt
- Mitarbeitende öffentlich verunglimpft und herabgewürdigt
Das Verhalten der Spiegel-Journalistin Vicky Bargel gefährdet das Vertrauen in den Spiegel und den Journalismus in erheblichem Maße.
Spiegel-Artikel verstößt gegen eigene Standards
Auch wir haben dem Spiegel Presseanfragen geschickt. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels wurden unsere sechs Fragen lediglich mit einem allgemeinen Hinweis auf die eigenen Spiegel-Standards beantwortet und dass der Artikel diesen entspreche. Diese Standards wurden in der Folge des Betrugsfalls Claas Relotius erstellt. Wir haben sie uns angesehen. Beispielsweise steht dort fett und in rot geschrieben:
„Wesentliches darf nicht weggelassen werden.“
„Es geht immer zuerst um Tatsachen, nicht um deren Überhöhung oder Interpretation.“
Bargels Spiegel-Artikel verletzt demnach die Spiegel-Standards in extremer Weise. Der Spiegel hat offensichtlich bis heute keine Gangart gefunden, Reportagen hinreichend zu überprüfen.
Autor:innen
KATAPULT erscheint viermal im Jahr gedruckt und jeden Tag online. Die Redaktion des Magazins besteht etwa aus 15 Menschen, die recherchieren, schreiben, prüfen und Grafiken bauen.