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Außenpolitik

Der Konflikt um die US-Stützpunkte auf Okinawa

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Anfang Mai musste das japanische Verteidigungsministerium eine peinliche Niederlage eingestehen. Die umstrittene Erweiterung der US-Militärbasis Camp Schwab auf der Insel Okinawa musste gestoppt werden, weil der Meeresboden laut einem Gutachten von 2016 weich wie Mayonnaise ist. Für die japanische Regierung allerdings hat der Ausbau mit neuem Schiffsanleger und zwei Landebahnen höchste Priorität. Sie trieb das Projekt gegen die Einwände von Ausbaugegnern voran. Der Bau kostete bisher schon 240 Millionen Euro. Sein Stopp ist die jüngste Wendung in einem Dauerkonflikt um die amerikanischen Stützpunkte auf der Inselgruppe Okinawa.

Der Ausbau von Camp Schwab ist Teil eines größeren Plans zur Verlegung einer anderen Basis, die ebenfalls zum US Marine Corps auf Okinawa gehört: der Marine Corps Air Station Futenma in Ginowan im Süden der Insel. Überlegungen, die Basis mit Landebahnen und Hubschrauberlandeplätzen umzusiedeln, gibt es schon seit den 1960er-Jahren. Gegner fürchten, dass durch den Umzug mehr Truppen auf die Insel verlegt werden könnten – mit all den negativen Begleiterscheinungen.
Die Präfektur Okinawa, zu der neben der Hauptinsel auch einige kleinere Inseln gehören, umfasst nur 0,6 Prozent des japanischen Staatsgebiets. Allerdings sind 70 Prozent der US-Streitkräfte in Japan hier konzentriert. Nach US-Angaben erreicht die Zahl der auf Okinawa lebenden Amerikaner nahezu 80.000. Ungefähr 30.000 sind im aktiven Militärdienst. Knapp über 2.000 Personen arbeiten direkt für das Verteidigungsministerium oder in den Schulen auf der Insel. Bei etwa 25.000 Personen handelt es sich um Familienangehörige von Soldaten im aktiven Dienst.

Diese Truppenkonzentration geht auf den Zweiten Weltkrieg zurück. Die Schlacht um Okinawa war die einzige große militärische Auseinandersetzung zwischen Japan und den USA, die auf japanischem Territorium ausgefochten wurde. Im Gegensatz zu den Hauptinseln Japans blieb Okinawa bis 1972 unter direkter amerikanischer Besatzung. Während des Koreakrieges und des Vietnamkrieges bildeten US-Basen auf der Insel wichtige logistische Drehscheiben für Bombardierungen oder den Transport von Soldaten zu ihrem Einsatzgebiet.

Heute ist der wichtigste Grund für die amerikanische Präsenz geostrategisches Kalkül. Die Stützpunkte erlauben es den USA, im nordasiatischen Pazifikraum ihre militärische Abschreckung aufrechtzuerhalten. Die auf Okinawa stationierten Truppen könnten im Konfliktfall schnell innerhalb der Region eingesetzt werden. Mit China, Russland und Nordkorea sind dort drei potenzielle Gegner präsent, die andere politische und wirtschaftliche Interessen verfolgen als die Partner USA, Japan und Südkorea.
Neben seiner geostrategischen Bedeutung dient das subtropische Okinawa den US-Marines auch zur Akklimatisierung und Ausbildung im Dschungelkampf. Und schließlich haben die Basen auch eine touristische Funktion: Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan eingesetzt waren, machen hier Urlaub. Einige dieser Soldaten kehren mit traumatischen Erfahrungen aus den Kampfeinsätzen auf die Insel zurück.

Vergewaltigungen und Morde an japanischen Frauen durch Soldaten

Für die Zivilbevölkerung hatte die amerikanische Präsenz aber immer auch negative Folgen. Nach der besonders blutigen Schlacht um Okinawa in den letzten Kriegsmonaten wurde die Infrastruktur der Insel ab 1945 nach den Erfordernissen der Amerikaner wiederaufgebaut. Wo zuvor Felder und Weiden waren, sind heute Truppenübungsplätze. Die großen Verkehrsadern sind Autobahnen, die die US-Stützpunkte verbinden.

Okinawa ist auch nach dem Ende der Besatzung 1972 eine wirtschaftlich unterentwickelte Präfektur geblieben. Die Inseln sind bis heute von Hilfen der japanischen Regierung abhängig. Die Transferzahlungen waren immer an die Existenz und Unterhaltung der amerikanischen Militärinfrastruktur geknüpft. Ein wirtschaftlicher Aufschwung war deshalb nicht denkbar, ohne die US-Truppenpräsenz zu verringern.

An der Basis Futenma zeigen sich die Nebenwirkungen der amerikanischen Militärpräsenz, die – neben historischen Gründen wie der Erinnerung an die Kriegs- und Besatzungszeit – seit Jahrzehnten zum Dauerkonflikt beitragen. Der Stützpunkt liegt mitten in der Stadt Ginowan und ist auf allen Seiten von Wohngebieten umgeben. Laute Starts und Landungen von Kampfhubschraubern und Transportflugzeugen belasten die Zivilbevölkerung. Hinzu kommen die Abgase der Flugzeuge und Hubschrauber, die tief über die Wohnhäuser zu ihren Landebahnen einfliegen und immer wieder Ladung verlieren oder sogar abstürzen. Auch Unfälle in den Basen und Kampftrainings, von denen kontaminierte Munitionsreste zurückbleiben, verschmutzen die Umwelt.

In der Oura-Bucht, wo Baufirmen begonnen hatten, ein Riff zuzuschütten, um Land für Landebahnen zu gewinnen, leben auch einige wenige Dugongs. Bei diesen Meeressäugern handelt es sich um eine akut vom Aussterben bedrohte Art – und eine der letzten vier weltweit noch existierenden Seekuharten. Die Zahl und Größe der Stützpunkte führt überdies vor allem im Süden der Insel zu Landknappheit. Ein Dauerthema zwischen Einheimischen und US-Militärs sind auch Körperverletzungen, Ladendiebstähle, Vandalismus und alkoholbedingte Verkehrsunfälle durch Soldaten. Vergewaltigungen und Morde an japanischen Frauen führten immer wieder zu inselweiten Protesten. Gleichzeitig hat die Anwesenheit der amerikanischen Streitkräfte bisher wenig zum Wachstum der Wirtschaft beigetragen, die nicht direkt mit den Militärbasen zusammenhängt.

Japan hat bis heute keine reguläre Armee

Der Dauerstreit ist auch deshalb so komplex, weil er gleichzeitig auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene stattfindet. Ein Vertrag zwischen den USA und Japan regelt, wieviele US-Soldaten auf japanischem Boden stationiert werden dürfen. Und die USA haben gegenwärtig kein Interesse daran, ihre Präsenz im Asien-Pazifik-Raum zu verringern. Gegenüber den Konkurrenten China und Russland, die auch potenzielle militärische Gegner sind, bilden die USA eine Schutzmacht für Japan und Südkorea. Für die USA selbst bedeutet die Truppenpräsenz auf Okinawa eine verbesserte »Projection of Power«, also der Fähigkeit, global militärisch eingreifen zu können.

Die japanische Regierung ist ganz froh, dass die US-Soldaten auf Okinawa stationiert sind und nicht auf den Hauptinseln. In den Augen des Premierministers Shinzō Abe trägt die Bevölkerung Okinawas selbstlos eine schwere Bürde für die gesamte Nation. Weil sie seit Jahrzehnten mit den Amerikanern lebe, sei sie auch besser mit den Herausforderungen dieses Zusammenlebens vertraut als der Großteil der restlichen japanischen Bevölkerung.

Hinter dieser zweifelhaften Erklärung stehen reale Machtinteressen. Als ein Ergebnis der politischen Nachkriegsordnung besitzt die japanische Verfassung mit Artikel 9 noch immer eine Pazifismusklausel, die eine reguläre Armee verbietet. Die Regierung Abe versuchte während ihrer bislang vier Amtszeiten, diesen Artikel zu ändern und die japanischen Selbstverteidigungskräfte in eine reguläre Armee umzuwandeln. Dies löste landesweit große Proteste aus. Durch den besonderen Status der Selbstverteidigungskräfte verlässt sich Japan seit Ende des Zweiten Weltkriegs auf das Bündnis mit den USA.
Auf regionaler Ebene will der Gouverneur der Präfektur Okinawa, Danny Tamaki, die Wirtschaft jenseits der US-Stützpunkte stärken. Sein zentrales Wahlversprechen lautete, sich für die Verringerung der Truppenpräsenz einzusetzen. Die Machtbasis des Mitte-links-Politikers bildete bei der Wahl 2018 die All-Okinawa-Plattform, ein Zusammenschluss verschiedener politischer Kräfte und Nichtregierungsorganisationen mit dem Ziel, die amerikanische Truppenstärke auf den Inseln zu reduzieren.

Eine Präfektur ist im politischen System Japans die mittlere Verwaltungsebene zwischen Nationalstaat und den Kommunen. Die Präfekturregierung unter Tamaki nahm Einfluss auf den Ausbau der Basis Camp Schwab, indem sie Bauarbeiten und Genehmigungsverfahren verzögerte oder bereits erteilte Erlaubnisse widerrief. Dabei stritt sich die Präfekturregierung seit 2018 wiederholt vor Gericht mit dem japanischen Verteidigungs- und dem Umweltministerium, um Sondergenehmigungen aus Tokio rückgängig machen zu lassen. Zuvor hatte die Staatsregierung versucht, die Blockade der Präfektur auszuhebeln, um den Fortgang der Bauarbeiten zu ermöglichen.

Um die Stützpunkte herum liegen Basetowns, Wohn- und Vergnügungsviertel, deren Wirtschaftskraft wesentlich von der Präsenz der Amerikaner abhängt. In der Nachkriegszeit und den Jahren der Besatzung bis 1972 prostituierten sich in den Basetowns viele arme Japanerinnen; sie waren oft schutzlos gegenüber den Gewalttaten von Soldaten. Offiziell ist Prostitution in Japan zwar verboten, doch auf Okinawa wurden Wege gefunden, Frauen von den Philippinen als Gastarbeiterinnen im Rotlichtgewerbe anzuheuern.

In den Basetowns gibt es viele Restaurants, Bars, Tattoostudios und Nachtklubs, außerdem Gebrauchtwagenhändler, Second-Hand-Läden und Handwerksbetriebe aller Art sowie einen Dienstleistungssektor, dessen Hauptkundschaft Angehörige der amerikanischen Streitkräfte sind. Hinzu kommen Jobs als Verkäufer, Hausmeisterinnen oder Reinigungskräfte auf den Stützpunkten und Pachtzahlungen für die Landbesitzer, auf deren Grund die Stützpunkte liegen.

Eine der längsten Protestbewegungen Japans

Auch deshalb sind sich die Bürger Okinawas nicht einig. Die Anwohner der Basen und jene, die unter der erhöhten Kriminalität leiden, bilden die Grundlage für den Kampf gegen die Militärpräsenz. Diejenigen hingegen, die von Pachtzahlungen oder Jobs in und um die Stützpunkte profitieren, wollen ihren Erhalt. Teilweise wurden Proteste in der Vergangenheit auch dafür genutzt, höhere Kompensationszahlungen aus Tokio durchzusetzen. Aus diesen Gründen haben Lokalpolitiker der Regierungspartei von Shinzō Abe eher das Ziel verfolgt, die Basen als Motor für die lokale Wirtschaft zu nutzen und sich mit der Anwesenheit der Amerikaner abzufinden. In der Gemeinde Henoko schwand die anfängliche Zustimmung für das unmittelbar anliegende Camp Schwab in dem Moment, als die Truppenstärke dort nach dem Vietnamkrieg reduziert wurde. Heute gleicht das Dorf tagsüber einer Geisterstadt ohne eigene Wirtschaft. Der kleine Fischereihafen ist bedeutungslos geworden, weil die Gewässer der Oura-Bucht militärisches Sperrgebiet sind.

Der Widerstand gegen die Basen gehört zu den am längsten und stärksten ausgetragenen Protestaktivitäten in der japanischen Gesellschaft, in der heute – nach einem sehr blutigen Verlauf der Studentenbewegung der 1970er-Jahre – politischer Protest auf der Straße nur eine kleine Rolle spielt. Für antimilitaristische Aktivisten aus ganz Japan sind die Proteste in Henoko ein wichtiger Bezugspunkt.

Eine Landebahn auf Mayonnaise zu bauen, ist zwar kaum möglich. Es ist aber unwahrscheinlich, dass das gesamte Ausbauprojekt scheitert. Für die japanischen Steuerzahler wird es nur sehr teuer werden.

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Fußnoten

  1. Hiroji, Yamashiro; Tsuyoshi, Kitaueda: More Reasons Why a New Base Must Not/Cannot Be Built at Henoko, Okinawa, in: The Asia-Pacific Journal, (16)2018, H. 24, Nr. 5.
  2. Fujiwara, Shinichi: Soft seabed at Henoko forces state to write off 30 billion yen, auf: asahi.com (2.5.2020).
  3. O.A.: U.S. eyed Okinawa for huge offshore base in mid-1960s, auf: japantimes.co.jp (4.6.2001, via web.archive.org).
  4. Yoshida, Reiji: Basics of the U.S. military presence, auf: japantimes. co.jp (25.3.2008).
  5. United States Marine Corps (Hg.): Okinawa Information, auf: 1stmaw.marines.mil.
  6. Lummis, Douglas: On A Firm Foundation of Mayonnaise: Human and Natural Threats to the Construction of a New U.S. Base at Henoko, Okinawa, in: The Asia-Pacific Journal, (16)2018, H. 10, Nr. 4.
  7. Johnson, Akemi: Night in the American Village. Women in the shadow of the U.S. military bases in Okinawa, New York 2019, S.12.
  8. Vogt, Gabriele: Political protest from the periphery. Social movements and global citizen- ship in Okinawa, in: Chiavacci, David; Obinger, Julia (Hg.): Social Movements and Political Activism in Contemporary Japan. Re-emerging from Invisibility, Abingdon 2018, S. 71-92.
  9. Treaty of Mutual Cooperation and Security Between the United States and Japan, 19.1.1960, in Kraft getreten am 19.5.1960.
  10. O.A.: Alleviate Okinawa’s burden, auf: japantimes. co.jp (18.5.2013).
  11. Akemi 2019, S. 5.
  12. Ebd., S. 278.
  13. Ichihashi, Aya: Okinawa sues Tokyo again to stop MCAS Futenma relocation project, auf: stripes.com (18.7.2019).

Autor:innen

Justus-Liebig-Universität Gießen

Forschungsschwerpunkte
Politische Partizipation und Demokratietheorie, Protest- und Bewegungsforschung

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