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Für über 97 Prozent der Klimaforscher ist Fakt, dass der Mensch die gegenwärtige globale Erwärmung verursacht. Horst-Joachim Lüdecke, emeritierter Physikprofessor einer saarländischen Hochschule, gehört zu den restlichen drei Prozent. Für ihn ist der menschengemachte Klimawandel eine unbewiesene Behauptung, mehr noch: eine Frage der Ideologie. Die Debatte um den Klimawandel bezeichnet er als »Alarmismus«. Angesichts dessen, was Staaten wie China oder die USA emittierten, sei die Klimadebatte in Deutschland nicht rational – eher religiös und ideologisch.
Das sagt er auch denen, die es nicht unbedingt hören wollen – etwa den Grünen oder der SPD. Denn Lüdecke ist Sachverständiger im Umweltausschuss des Bundestages, berufen von der AfD. In sozialen Medien feiern ihn viele für seine Stellungnahmen, weil er die »Klimahysterie im Bundestag« entlarve. Nicht alle davon dürften seinen Hintergrund kennen.
Der emeritierte Physiker gehört auf dem Klimagebiet nur zu den Hobbyexperten, akademisch beschäftigte er sich mit Strömungsmechanik und Rohrversorgungssystemen – und er zählt zu den umstrittensten Charakteren der Debatte. Lüdecke beruft sich häufig auf Berechnungen und Theorien, die in der Klimawissenschaft als widerlegt gelten.
Seine Kritiker halten ihm deshalb vor, sich nicht auf einen Diskurs einzulassen, der auf wissenschaftlichen Fakten basiert. Mit seiner Haltung ist Lüdecke allerdings nicht allein, er gehört zu einem zahlenmäßig kleinen, aber gut vernetzten Personenkreis, der ein klares Ziel verfolgt: Zweifel säen.
Seit 2007 gibt es dafür in Deutschland eine Organisation, das Europäische Institut für Klima und Energie (Eike). Formal ist das Eike kein wissenschaftliches Institut, sondern ein eingetragener Verein mit Sitz in Jena. Seine Mitglieder rekrutieren sich nur zu einem Teil aus Wissenschaftlern, viele sind Politiker oder Wirtschaftsvertreter. Das Eike betreibt eigenen Angaben zufolge »ideologiefreie Klimaforschungskritik«, will aber auch unmittelbar politisch Einfluss nehmen und veranstaltet Seminare, etwa gemeinsam mit dem Thüringer Wirtschaftsrat der CDU oder dem Institut für Unternehmerische Freiheit der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Kurz: Eike ist ein Lobbyverein und keine Forschungseinrichtung, wie der Name nahelegt.
Als Vorbild dienen Thinktanks und klimaskeptische Netzwerke in den USA, die mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit sehr erfolgreich sind. Das Heartland Institute, eine der einflussreichsten Denkfabriken, berät eigenen Angaben zufolge sogar Mitarbeiter der Regierung Trumps im Bereich der Umweltpolitik. Mit diesem und weiteren internationalen Klimaleugnerverbänden arbeitet Eike eng zusammen.
Bekannte Klimaleugner in den USA so häufig zitiert wie renommierte Klimawissenschaftler
Wie wirkungsvoll die Klimaskeptiker in den USA arbeiten, hat zuletzt eine Studie von Forschern der University of California veranschaulicht. Sie verglichen, wie oft seriöse Klimaforscher in großen US-amerikanischen und internationalen Medienartikeln zitiert werden und wie oft hingegen die gleiche Anzahl bekannter Klimaleugner zu Wort kommt. Dazu stellten sie 386 der renommiertesten Klimaforscher die gleiche Zahl bekannter Klimaskeptiker gegenüber.
Sie stellten fest, dass die Thesen der Skeptiker in den etwa 100.000 untersuchten Artikeln häufiger aufgegriffen wurden als die der Klimaforscher. Selbst in namhaften Zeitungen wie dem Wall Street Journal oder der New York Times, aber auch im britischen Guardian fanden ihre Meinungen eine ähnlich starke Berücksichtigung. Bei einigen Nachrichtenportalen, etwa dem konservativen Sender Fox News, dominieren Skeptiker sogar die Berichterstattung.
Den Forschern zufolge lässt sich das Untersuchungsergebnis auf das journalistische Selbstverständnis zurückführen, möglichst ausgewogen berichten zu wollen – also sowohl die Klimawissenschaftler als auch ihre Kritiker gleichermaßen abzubilden. Das sei allerdings problematisch, denn die »unverhältnismäßige Sichtbarkeit skeptischer Positionen« erwecke den Eindruck, als stünden sich zwei verschiedene Sichtweisen von Experten gleichberechtigt gegenüber. Gerade das aber ist nicht der Fall. Die Klimaskeptiker weisen zum Großteil keine vergleichbaren wissenschaftlichen Kompetenzen auf. Nur wenige der häufig zitierten Skeptiker verfügen über eine nennenswerte Forschungsreputation. Hingegen handelt es sich bei den Positionen renommierter Klimaforscher um Erkenntnisse, die in der Fachwelt anerkannt und durch andere wissenschaftliche Untersuchungen meist zusätzlich belegt sind.
Industriefinanzierte Klimaleugner streuen Falschinformationen
Die Untersuchung zeigt: Von diesen 386 Klimaforschern und den 386 Klimaleugnern kommen die Skeptiker häufiger in den Medien vor. Dieses Ergebnis kann aber nicht stellvertretend auf alle Medien angewandt werden. Der Grund dafür ist einfach: Die Gesamtzahl an seriösen Klimaforschern dürfte schließlich größer sein als die der Klimaskeptiker. Dennoch bestätigt die Studie eine Erkenntnis, die bereits die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes vor einigen Jahren gewonnen hatte. Sie verglich für den Zeitraum von 1993 bis 2003 die Häufigkeit, mit der in Publikationen der menschengemachte Klimawandel bestritten wurde. Während dies in fast 1.000 untersuchten wissenschaftlichen Publikationen zum Stichwort »globale Klimaveränderung« kein einziges Mal der Fall war, thematisierte etwa die Hälfte der TV- und Zeitungsbeiträge skeptische Positionen.
Dafür macht Oreskes aber nicht allein das journalistische Selbstverständnis verantwortlich. Zwei andere Faktoren seien ebenfalls zentral: Vernetzung und Geld. Die Szene der Klimaleugner besteht aus einem weitverzweigten Geflecht aus Denkfabriken, Bloggern und Lobbyisten. Hinter zahlreichen Organisationen stünden Unternehmen, die deren Desinformation subventionierten. Die Strategien, Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu streuen, würden denjenigen der Tabakkonzerne voriger Jahrzehnte gleichen. Diese hatten lange die Gefährlichkeit des Rauchens geleugnet und dafür korrupte Forscher und gezielte Werbemaßnahmen genutzt. Teilweise überschneiden sich die Personalien. So bestritt der US-Physiker Fred Singer damals zugunsten unterschiedlicher Industrieverbände etwa Gesundheitsschäden durch Passivrauchen – oder die Wechselwirkung zwischen FCKW und dem Ozonloch. Heute gehört er zu den prominentesten Leugnern des Klimawandels.
Das wohl bekannteste Beispiel im Energiebereich ist der US-amerikanische Ölkonzern Exxon Mobil, der spätestens seit einer internen Studie im Jahr 1981 vom Zusammenhang zwischen CO2 und Erderwärmung wusste. Die Ergebnisse hielt der Konzern jedoch zurück und finanzierte stattdessen aufwendige Kampagnen, Anzeigen und Organisationen, die diesen Zusammenhang bestritten.
Zum Feld der Klimaskeptiker gehören demnach mehr als nur Wissenschaftler und Organisationen, sondern auch bezahlte Leugner, ideologische Skeptiker und enttäuschte Zweifler – etwa emeritierte oder pensionierte Personen mit wissenschaftlicher Kompetenz, aber fehlender Zustimmung in der Forschungsgemeinde.
Klimaleugner als Experten im Öffentlich-Rechtlichen
Lassen sich die Ergebnisse der Studien auf Deutschland übertragen? Die Anhörung von Klimaskeptikern in Bundestagsausschüssen jedenfalls verdeutlicht, dass sich das Phänomen nicht auf die USA beschränkt. Selbst in Talkshows des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Zeitungen treten sie gelegentlich als Experten auf. So war der Journalist und Klimawandelleugner Alex Reichmuth Ende 2017 bei Maischberger zum Thema »Extremwetter und Klimawandel« zu Gast. Im September 2019 porträtierten die Saarbrücker Zeitung und der Pfälzische Merkur den Eike-Pressesprecher Horst-Joachim Lüdecke, der als Gutachter im Umweltausschuss sitzt – unkritisch.
Dennoch sei die Breitenwirkung der organisierten Klimaleugner in Deutschland eher begrenzt, meint Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber von der Freien Universität Berlin. Er hat die deutsche Skeptikerszene analysiert und folgert, dass insbesondere seriöse Medien ihnen nicht mehr so kritiklos Platz einräumten wie noch zu Beginn des Jahrtausends. Damals berichteten etwa RTL, Der Spiegel oder Die Welt oft unkritisch über vermeintliche »Klimalügen«, obwohl diese Position bereits als wissenschaftlich unhaltbar galt. Eine Qualitätskontrolle der Medien blieb häufig aus, sodass »in vielen Beiträgen oder auch Talkshows hunderten Fürsprechern des Klimaschutzes oder renommierten Wissenschaftlern einer Handvoll Skeptiker gleich viel Raum und Zeit eingeräumt wird«.
Skepsis in Deutschland richtet sich gegen Umsetzung von Klimapolitik
Zensiert die deutsche Presse und verschweigt bewusst wichtige Kritik? Solchen Vorwürfen widerspricht einer, der sich selbst als Skeptiker bezeichnet. Michael Miersch arbeitete als Journalist unter anderem für taz, Cicero und Die Welt. Er gehört zu denen, die eine Erderwärmung durchaus einräumen, aber den Prognosen über die fatalen Auswirkungen und dem menschlichen Anteil daran zweifelnd gegenüberstehen. An der Veröffentlichung klimaskeptischer Perspektiven sei er nur ein einziges Mal von der Chefredaktion gehindert worden – im Jahr 2011 beim Bayerischen Rundfunk.
Eine größere Bedeutung als diejenigen, die wissenschaftliche Erkenntnisse bestreiten, haben in Deutschland Kritiker, die sich etwa gegen die Energiewende aussprechen. Viele Zeitungen wie die FAZ (etwa Jasper von Altenbockum) oder Die Welt (Henryk M. Broder) räumen erklärten Kritikern von Klimapolitik viel Raum in Kolumnen, Porträts oder Analysen ein. Sie bilden eine weitere Facette des Diskurses und stellen den Klimawandel zwar nicht infrage, beanstanden aber die politischen Lösungsvorschläge. Erneuerbare Energien oder eine CO2-Steuer bewerten sie als ökonomisch gefährlich und ökologisch unwirksam. Gemeinsam mit lokalen Initiativen wie solche von Windradgegnern bilden sie ein starkes Gegengewicht zu engagierter Klimapolitik in Deutschland. Dabei ergeben sich Schnittmengen mit organisierten Kimaleugnern, die jedoch keine dominante Rolle einnehmen. Der Erfolg von Klimaskeptikern in anderen Ländern und die starke ideologische Polarisierung der letzten Jahre könnten ihre Position jedoch stärken, vermutet Brunnengräber.
Große Teile der deutschen Industrie gehören ebenfalls zu den Widersachern der Klimapolitik, etwa die Automobilkonzerne. VW-Chef Herbert Diess beispielsweise gastiert regelmäßig als Interessenvertreter der Wirtschaft in themenbezogenen Talkshows. Im Gegensatz zu den USA lassen sich in Deutschland zwischen Industrie und organisierten Klimaskeptikern jedoch kaum finanzielle Verbindungen nachweisen.
Im Netz und in rechtskonservativen Medien haben Klimawandelleugner ein Forum
Allerdings haben Klimawandelleugner eine Öffentlichkeit abseits der Massenmedien aufgebaut. Sie nutzen einerseits Kanäle wie Blogs, Foren oder YouTube, bei denen eine redaktionelle Kontrolle weitgehend ausbleibt. Andererseits werden ihre Thesen von Medien verbreitet, bei denen Stimmungsmache gegen einen diagnostizierten »Mainstream« zur redaktionellen Zielsetzung gehört. Dazu gehören die Epoch Times, Tichys Einblick, Compact, Cicero, Russia Today Deutschland, die Monatszeitschrift eigentümlich frei und der Autorenblog Achse des Guten. Beim Thema Klimawandel bilden sie eigene »Zitierkartelle«, in denen immer wieder aufeinander querverwiesen wird. Diese Medien gehören oft einem rechtskonservativen bis rechtspopulistischen Meinungsspektrum an. Der gemeinsame Gegner ist die sogenannte »Elite«.
Politische Kultur der USA ist beim Klimawandel gespalten – in Deutschland nicht
Auch die Akteure von Eike warnen vor der Klimapolitik als Projekt linker Eliten, die zu ihrem eigenen Vorteil eine totalitäre Verbotsdiktatur einführen und die Freiheit und den Wohlstand der Bürger gefährden würden. Oder davor, dass der »Ökounsinn« die deutsche Autoindustrie zerstöre und das Land auf den Stand eines Entwicklungslandes zurückwerfe.
Neun von zehn Klimaforschungsinstituten sollten geschlossen und das Geld stattdessen in andere Bereiche wie die Krebs- oder Atomforschung investiert werden, fordert Eike-Präsident Holger Thuß, CDU-Mitglied in Jena und Vereinsgründer. In seiner politischen Absicht orientiert er sich deutlich an den US-amerikanischen Vorbildern. Dort hätten liberale und konservative Organisationen in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich gegen den linken Mainstream angekämpft.
Allerdings sind die Ausgangsbedingungen im Bereich der Klimapolitik sehr unterschiedlich. In Deutschland gehört die Existenz des menschengemachten Klimawandels seit Langem zum parteiübergreifenden Konsens. Auch in den konservativen und liberalen Parteien befinden sich Skeptiker deutlich in der Minderheit. Erst mit der AfD haben Klimawandelleugner eine parlamentarische Vertretung gefunden.
In den USA hingegen hat sich in den letzten 20 Jahren eine starke Polarisierung der Öffentlichkeit vollzogen. Diese folgte, wie die US-Soziologen Aaron McCright und Riley Dunlap schildern, einem allgemeinen Auseinanderdriften der politischen Pole des Landes. Dabei haben sich die Skeptiker vor allem aufseiten der Republikaner konzentriert – und deren Haltung zum Klimawandel verfestigt. Waren zu Beginn des Jahrtausends noch viele unentschlossen, ist inzwischen nur noch ein geringer Teil der Republikaner von einem Konsens innerhalb der Klimaforschung überzeugt.
Die richtige Form von Kritik
Kritik ist nötig und gehört zur Wissenschaft. Das betonen auch die Klimaforscher selbst. Ist etwa der Ton der Auseinandersetzung angemessen und sind die vorgeschlagenen Maßnahmen sozial ausgewogen? Auch für Journalisten ergibt sich beim Klimawandel eine besondere Herausforderung: Selbstverständlich müssen sie differenziert über Zweifel berichten und Kritik üben, andererseits jedoch konsequent auseinanderhalten, wer wirklich Experte ist und wer andere Ziele vertritt – etwa ideologische Motive oder wirtschaftliche Interessen.
Zudem müssen wissenschaftliche Modelle und Methoden kritisch geprüft werden. Dabei soll eine sehr junge Forschungsrichtung helfen: die Zuordnungswissenschaft, die sich seit etwa einem Jahrzehnt zu einem eigenständigen Zweig der Klimaforschung entwickelt. Sie versucht zu ermitteln, welche Umweltveränderungen tatsächlich vom Menschen verursacht werden. Resultieren etwa bestimmte Extremwetterereignisse aus dem CO2-Anstieg, oder sind andere Ursachen wahrscheinlicher? Auch für deren Vertreter ist der menschengemachte Klimawandel eine Tatsache. Doch nicht für jeden Waldbrand und jedes Hochwasser sei dieser der Auslöser. Das sollten auch Journalisten beachten. Für fast jedes Flut- oder Dürreereignis wird derzeit der Klimawandel als Erklärung herangezogen, tatsächlich wissen können sie es bislang jedoch nur selten.
Dieser Text erschien in der 16. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.
Autor:innen
Geboren 1988, von 2017 bis 2022 bei KATAPULT und Chefredakteur des KNICKER, dem Katapult-Faltmagazin. Er hat Politik- und Musikwissenschaft in Halle und Berlin studiert und lehrt als Dozent für GIS-Analysen. Zu seinen Schwerpunkten zählen Geoinformatik sowie vergleichende Politik- und Medienanalysen.