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Küsten- statt Klimaschutz

Dann machen wir halt die komplette Nordsee dicht

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Klimawandel führt zu Erderwärmung führt zu Dürren und: einem wahrscheinlich deutlichen Anstieg des Meeresspiegels. Seit Jahrzehnten schlägt die Wissenschaft Alarm, mit mäßigem Erfolg. Das von nahezu allen Ländern gefasste Ziel, die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf 1,5 Grad zu begrenzen, wurde bereits jetzt gerissen. Bei gleichbleibenden Gegenmaßnahmen gehen Klimaforscher von einem Meeresspiegelanstieg von ein bis zwei Metern in den nächsten 75 Jahren aus. Rund 75 Hauptstädte weltweit würden in diesem Fall überflutet.

Angesichts dieses Ausmaßes und der unzureichenden Klimaschutzbemühungen haben zwei Wissenschaftler eine radikale Idee entwickelt: Sie schlagen vor, die komplette Nordsee mithilfe eines Damms vom Atlantik zu trennen, um Überflutungen in Nordeuropa zu verhindern. Denn ihren Berechnungen zufolge wären von einem Anstieg von zwei Metern 15 Länder und über 25 Millionen Menschen im Bereich von Nord- und Ostsee betroffen.

Preis: 250 bis 500 Milliarden Euro

Der von ihnen geplante Nordeuropäische Abschlussdamm hat eine Gesamtlänge von 637 Kilometern und muss Wassertiefen von bis zu 320 Metern überwinden. Da durch Flüsse permanent Wasser in den abgeschlossenen Bereich gelangt, müssten zudem Pumpstationen installiert werden, die 40.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in den Atlantik befördern. Ein solches Vorhaben hat natürlich seinen Preis: 250 bis 500 Milliarden Euro, schätzen die Wissenschaftler.

Und es brächte weitreichende Veränderungen mit sich: Durch den ständigen Zufluss von Süßwasser etwa würde sich der Salzgehalt in dem Becken deutlich verringern, mit gravierenden Folgen für Ökosysteme, Artenvielfalt und die Fischerei. Auch die Schifffahrt müsste neu gedacht werden.

Klingt alles undenkbar – klar, dass einer der beiden Fantasten aus den Niederlanden stammt. Dort hat man jahrhundertelange Erfahrung damit, der Nordsee mithilfe von Deichen Land abzutrotzen. Und doch sei der Megadamm im Vergleich zu Schutzmaßnahmen einzelner Staaten „mit ziemlicher Sicherheit die kostengünstigste Option“, wie die Wissenschaftler schreiben.

Was Sjoerd Groeskamp vom Königlich-­Niederländischen Institut für Meeresforschung allerdings noch verrät: Die Idee sei eher eine Warnung als ein tatsächlicher Vorschlag – das meinte er zumindest noch 2020. „Wenn wir nichts tun, dann ist dieser extreme Damm möglicherweise die einzige Lösung.“

Dieser Artikel erschien erstmals in der 36. Ausgabe des KATAPULT-Magazins.

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Fußnoten

  1. Groeskamp, Sjoerd; Kjellsson, Joakim: NEED: The Northern European Enclosure Dam for if Climate Change Mitigation Fails, in: Bulletin of the American Meteorological Society, 101(7) 2020.

Autor:innen

Geboren 1983, ist seit 2015 Redakteur bei KATAPULT und vor allem als Layouter, Grafiker und Lektor tätig. Er hat Germanistik, Kunstgeschichte und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Greifswald studiert.

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