
Als Kasem Togan nach zwölf Jahren zum ersten Mal nach Syrien zurückkehrte, bat er den Beamten an der Passkontrolle, zu prüfen, ob er „einen Namen habe“ – ob er also als einer von Millionen auf den Fahndungslisten des gestürzten Assad-Regimes stand.
„Du wirst von Abteilung 235 gesucht“, erwiderte der Beamte mit einem Lächeln. „Vom Geheimdienst.“
Togan, der als Journalist früher für oppositionelle syrische Medien gearbeitet hatte, war begeistert. „Heute fragt jeder Syrer ganz selbstverständlich: ‚Wurde ich gesucht?‘ Wer vom Assad-Regime inhaftiert oder gesucht wurde, empfindet das mittlerweile als eine Art Auszeichnung“, erzählt Togan.
Mehr als fünf Jahrzehnte lang übte der Assad-Clan – zuerst Hafis al-Assad, dann sein Sohn Baschar – seine Schreckensherrschaft über Syrien aus. Wer auf den Fahndungslisten von Geheimdienst, Militär oder einem der zahlreichen anderen Sicherheitsdienste stand, lebte in ständiger Gefahr. Jederzeit konnte man am Flughafen, an der Grenze oder auf der Polizeiwache festgenommen und in das berüchtigte Gefängnissystem verschleppt werden.
Das verstand man in Syrien unter „einen Namen haben“. Wer früher fürchtete, vom Sicherheitsapparat als Akte geführt zu werden, fragt Beamte heute offen nach seinem Status und prahlt damit gegenüber Bekannten oder in den Sozialen Medien. Von einem Regime, das Millionen seiner Bürger gefoltert und ermordet hat, gesucht worden zu sein, gilt heute als Ehrenzeichen – als Beweis dafür, sich gegen die Unterdrückung gestellt zu haben.
Manche der Gesuchten zitieren heute den arabischen Dichter al-Mutanabbi aus dem 10. Jahrhundert: „Von einem Unzulänglichen kritisiert zu werden, ist Beweis meiner Vollkommenheit.“ Nicht nur Protestierende oder bewaffnete Rebellen galten der Regierung als Bedrohung. Schon ein politischer Witz unter Freunden, das Mitführen von Fremdwährung oder ein längerer Auslandsaufenthalt konnten dazu führen, einen Namen zu erhalten.

Die meisten der Gesuchten waren Männer. Viele hatten sich der Wehrpflicht entzogen und sich dem bewaffneten Widerstand angeschlossen, doch auch Frauen und sogar Kinder standen auf den Listen.
Wer erwischt wurde, verschwand meist in den berüchtigten Gefängnissen des Regimes, wo Folter und Hinrichtungen an der Tagesordnung waren. Viele kehrten nie von dort zurück.
Die Gefahr, verfolgt und verhaftet zu werden, trieb Millionen Syrer ins Exil oder in den Untergrund. Viele Aktivisten und Rebellen legten sich im Laufe des Bürgerkriegs einen Decknamen zu, um sich und ihre Familien zu schützen.
Togan, heute 36, hat die Szene an der Passkontrolle im Januar bei seiner Rückkehr aus Saudi-Arabien, wo er inzwischen lebt, aufgezeichnet und in Sozialen Netzwerken gepostet. Ein konkreter Grund, warum er gesucht wurde, war in seiner Akte nicht vermerkt. „Stell dir vor, ich wäre zurückgekommen, bevor dieses kriminelle Regime gestürzt wurde.“
Nachdem die Rebellen im Dezember Assad gestürzt und mit dem Aufbau einer neuen Regierung begonnen hatten, übernahmen sie einen ganzen Bürokratieapparat. Sie erhielten Zugang zu den alten Akten und Datenbanken mit Informationen zu Millionen von Syrern. Die riesige Dokumentensammlung könnte in Zukunft eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Gerechtigkeit und der Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes spielen.
Ein Beamter des Innenministeriums erklärte kürzlich im syrischen Fernsehen, dass über acht Millionen Syrer vom alten Regime gesucht wurden.

„Natürlich haben wir viele dieser Fälle bereits geschlossen, zum Beispiel was die Wehrpflicht oder Reservisten betrifft“, sagt der Beamte Khaled al-Abdullah. „Das ist ein großer Teil. Sie spielen keine Rolle mehr.“
Urteile von Zivilgerichten sowie strafrechtliche Anklagen aus der Assad-Zeit wolle die neue Regierung jedoch nicht einfach streichen. Tamer Turkmane ist vor Kurzem ebenfalls nach Jahren zum ersten Mal nach Syrien zurückgekehrt. Bei der Einreise aus der Türkei, wo der 35-Jährige zwischenzeitlich gelebt hatte, wurde seine Vergangenheit nicht überprüft.
Doch als er das Land später über den Grenzübergang in den Libanon verließ, fragte ihn der Beamte: „Was hast du getan, dass gleich mehrere Abteilungen des Regimes hinter dir her waren?“ Turkmane erzählt, daraufhin habe er nur gelacht.
Er wusste bereits, dass er gesucht worden war – die Sicherheitskräfte hatten damals Verwandte aus Homs unter Druck gesetzt, um ihn dazu zu zwingen, sich zu stellen. Zumindest aber sollte er aufhören, die Menschenrechtsverletzungen des Regimes zu dokumentieren. Welche Behörden ihn konkret suchten, wusste er jedoch nicht.
Zu Beginn des Aufstands gegen Assad hatte Turkmane das Syrische Revolutionsarchiv gegründet – eine Datenbank mit Videos, Fotos und anderem Material zu jener Revolte, die zum Bürgerkrieg wurde. Mehrere Abteilungen von Militär und Inlandsgeheimdienst waren hinter ihm her. „Darauf war ich sehr stolz“, sagt Turkmane.
Er bat den Beamten, schnell ein Foto des Bildschirms mit seiner Akte zu machen – für Instagram. Viele der Kommentare unter dem Post waren Glückwünsche. Kürzlich drängten sich vor dem Einwanderungs- und Passamt von Aleppo Dutzende Männer und Frauen die Treppe hinauf, um Pässe zu verlängern oder verlorene Ausweise ersetzen zu lassen. Aber auch, um ihren Aktenstand unter den Sicherheitsbehörden des Regimes zu erfragen.
Im zweiten Stock saß Ahmad Rahim, seit 15 Jahren bei der Archivabteilung, Tag für Tag vor seinem Computer, um die Antragsteller zu überprüfen.
Ein Mann, der zwölf Jahre lang im Ausland gelebt hatte, übergab Rahim seinen syrischen Ausweis. Auf dem Bildschirm erschien: gesuchter Wehrdienstverweigerer – ein Delikt, das noch vor wenigen Monaten Gefängnis oder Fronteinsatz bedeutet hätte. „Das war's, mein Herr. Sie haben nichts“, sagte Rahim und gab ihm den Ausweis zurück – ohne die Fahndungsnotiz zu erwähnen.
Rahim erklärt, dass er solche Informationen nur dann herausgibt, wenn jemand ausdrücklich danach fragt. Auf diese Weise wolle er verhindern, dass sich die Leute sorgen, die neue Regierung könnte alte Anschuldigungen weiterverfolgen.

Fuad Sajed Issa, der in Syrien die Hilfsorganisation Violet gegründet hat, befand sich im Februar auf dem Rückweg in die Türkei, wo er während des Krieges gelebt hatte. Er berichtet, am Flughafen von Damaskus habe der Beamte kurz innegehalten, als er Issas Pass scannte.
„Wird nach mir gesucht?“, fragte der 29-Jährige.
„Ja, von mehreren Sicherheitsdiensten“, habe der Beamte geantwortet. Die Kriminalpolizei und die Einwanderungsbehörde fahndeten nach ihm, weil er sich dem Wehrdienst entzogen hatte.
„Für uns ist das fast schon lustig“, sagte Issa. Im Krieg war er Teil eines Netzwerks, das die Bevölkerung in den Rebellengebieten vor bevorstehenden Angriffen syrischer und russischer Flugzeuge warnte.
Das Assad-Regime habe sie verfolgt, „als wären wir Terroristen“.
übersetzt aus dem Englischen von Jette Schramm und Philipp Bauer
This article originally appeared in The New York Times
©2025 The New York Times Company