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Editorial KNICKER N° 5

Bäumepflanzen allein ist keine Klimapolitik

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Und? Heute schon einen Baum umarmt? Soll ja helfen. Für ein besseres Immunsystem und mehr Sinnlichkeit, gegen Stress und Entwurzelung. Dem von der Moderne geplagten Menschen verspricht ein aktueller Trend Linderung: das Waldbaden. Anleitung dazu bietet eine wachsende Zahl von Büchern, Internetblogs und Seminaren. Zurück zur Natur, bei Bedarf mit einer guten Portion Esoterik.

Beim Bäumeumarmen ist genug für alle da. 400 Stück kommen auf einen Menschen – statistisch betrachtet. Diese Zahl dürfte jedoch künftig sinken. Nicht nur, weil die Weltbevölkerung wächst, sondern auch weil in vielen Regionen Wälder zerstört werden. Die Ursache dafür ist der Mensch, seine Lebens- und Konsumweise, die für die Natur und das Klima gravierende Auswirkungen hat.

Seit einiger Zeit schwänzen deshalb viele junge Menschen freitags die Schule, um mit Streiks die Politik zum Handeln zu bringen. Umweltschutz dominiert erstmals seit Langem wieder die öffentliche Auseinandersetzung. Dazu trugen auch die Waldbrände dieses Sommers bei – im Amazonasgebiet ebenso wie in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Inmitten dieses trockenen Sommers versprach eine Studie aus Zürich einen Ausweg: Wenn die Menschheit weltweit stärker aufforstet, können die Wälder bis zu zwei Drittel der menschengemachten CO2-Emissionen aufnehmen. Potentielle Flächen für solche Vorhaben haben die Autoren vor allem in Russland, den USA, Kanada, Australien, Brasilien und China ausgemacht.

Endlich kein »5 vor 12« mehr. Aufforsten statt CO2-Steuer und Verbotspolitik. So zumindest interpretierten viele diese Studie. Selbst Markus Söder von der CSU verkündete, Bayern solle weg vom Wirtschafts-, hin zum Klimawald.

Die schlechte Nachricht: Aufforstungen lassen sich oft weder einfach noch konfliktfrei umsetzen. Das zeigen die jüngeren Debatten um den Amazonas-Regenwald, dessen Schutz unter dem neuen Präsidenten Bolsonaro keine politische Priorität mehr genießt. Medial weniger Beachtung finden Regenwälder in Südostasien oder Westafrika. Auch sie sind für Klima und Artenvielfalt wichtig, auch sie werden gerodet.

Den Autoren der Studie kann man nicht vorwerfen, dass ihre Erkenntnisse im öffentlichen Diskurs vielfach als Ausrede für einen weiterhin ungehemmten Konsum dienen. Ihre Aufgabe besteht darin, Vorschläge auf wissenschaftlicher Basis zu erarbeiten – nicht, politische Manöver vorherzusehen. Was Statistik nicht ausdrücken kann: Der Wald ist kein unpolitischer Raum – selbst in Deutschland nicht. Er dient nicht nur der Erholung – stattdessen ist er Lebensraum, Klimapuffer und Wirtschaftszweig zugleich. Für manche auch Kapitalanlage.

Bereits vor Jahrhunderten entdeckten europäische Fürsten, dass sich Wälder finanziell lohnen. Zuvor war der Wald meist Allgemeingut, er diente Bauern als Reservefläche und Futterquelle, die Bevölkerung gewann daraus Brenn- und Baumaterial. Im 16. Jahrhundert wuchs dann die Zahl der Forstordnungen, die Raubbau und Rodungen regulierten. Die neuen Nutzungsbestimmungen der Herrscher hatten jedoch auch eigennützige Gründe: Der Holzhandel wurde zum einträglichen Geschäft. Absatzmärkte eröffneten sich vor allem durch die Schiffbau- und Rüstungsprogramme Englands, der Niederlande und der Republik Venedig. Für Brennholz musste die Bevölkerung nun häufig zahlen. Zur maximalen Ausnutzung der Wälder entstand allmählich ein neuer Forschungszweig: die Forstwissenschaft. Sie sollte Baumbestände professionell verwalten und die Erträge erhöhen.

Beim Thema Bäume geht es nicht nur um Natur, sondern auch um handfeste Interessen – und viel Geld. Warum vermindert Aufforstung zwar die Erderwärmung, verursacht unter bestimmten Umständen aber Hunger? Was hat Ihr Möbelkauf mit Terrorfinanzierung zu tun? Das erfahren Sie in diesem KNICKER! Die riesige A1-Karte enthält massenhaft Bäume, zeigt die Wälder der Schweiz, Österreichs und Deutschlands. Allerdings nicht zum Umarmen, eher zum An-die-Wand-Hängen.

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Autor:innen

Geboren 1988, von 2017 bis 2022 bei KATAPULT und Chefredakteur des KNICKER, dem Katapult-Faltmagazin. Er hat Politik- und Musikwissenschaft in Halle und Berlin studiert und lehrt als Dozent für GIS-Analysen. Zu seinen Schwerpunkten zählen Geoinformatik sowie vergleichende Politik- und Medienanalysen.

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