30 bis 66 Prozent rechtsextrem
Als die Alternative für Deutschland (AfD) 2017 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, galt dies vielen Beobachter:innen aus Politik und Medien als Zäsur. Denn was der rechtsradikalen NPD immer verwehrt blieb, gelang der AfD: als Partei rechts der CDU/CSU ins bundesdeutsche Parlament einzuziehen. Aber: Welche politischen Positionen kamen mit der Partei in den Bundestag? Wer saß nun in der Fraktion? Rechtsradikale, gar Rechtsextreme, nationalistische Europaskeptiker:innen oder doch nur Konservative, denen die Union unter Angela Merkel zu fortschrittlich geworden war? Die Redaktion von ZEIT ONLINE nahm diese Fragen 2017 zum Anlass, die Mitglieder der AfD-Bundestagsfraktion in Kategorien einzuordnen. Ergebnis: Von 92 Abgeordneten ließen sich 30 als “nationalkonservativ” klassifizieren, 13 konnten dem „ultrarechten“ Lager zugeordnet werden, 16 galten den Redakteur:innen zufolge als “gemäßigt” und bei 33 war die Orientierung zum damaligen Zeitpunkt „unbekannt“.1
Das Problem der damaligen Analyse: Was genau sich hinter den Kategorien verbarg, war nicht klar. Außerdem waren die Kategorien nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Die damalige AfD-Politikerin Frauke Petry etwa galt dem ZEIT-ONLINE-Team als Führungsfigur der Gemäßigten. Jene Frauke Petry, die 2016 gefordert hatte, die europäischen und deutschen Außengrenzen notfalls mit der Schusswaffe zu verteidigen - und damit eine Position einnahm, die zwar nicht jenseits des Gesetzes lag, von Jurist:innen im Falle geflüchteter Menschen aber allenfalls als theoretisches Gedankenspiel abgetan wurde.2
Andere Abgeordnete wurden von ZEIT ONLINE als „nationalkonservativ“ beschrieben. Der Unterschied zu den Ultrarechten ist aber unklar. Martin Reichardt etwa, den die Autor:innen als engen Verbündeten des ultrarechten André Poggenburg und des Flügel-Chefs Björn Höcke bezeichneten, fand sich im nationalkonservativen Lager wieder. Ebenso Enrico Komning aus Mecklenburg-Vorpommern, überzeugtes Mitglied der Burschenschaft Rugia in Greifswald. Diese wird zusammen mit der ebenfalls in der Hansestadt ansässigen Burschenschaft Markomannia Aachen vom Verfassungsschutz MV wegen rechtsextremer Umtriebe beobachtet.3 Wo lässt sich Komning also letztlich zuordnen? Noch deutlicher gefragt: Wo hört der Nationalkonservatismus auf und wo fängt das ultrarechte Denken an?
Die weit gefassten Kategorien dürften auch darauf zurückzuführen sein, dass man zum damaligen Zeitpunkt teilweise einfach nicht mehr über die Partei und ihre Abgeordneten wusste. Mittlerweile ist die Lage eine andere. Denn nach vier Jahren im Bundestag voller öffentlicher Reden, nach vier Jahren voller Wahlkampfauftritte und unzähligen Beiträgen auf den bekannten Social-Media-Plattformen sind Orientierungen deutlich zu sehen. Was ist mit denjenigen geworden, über die wenig bekannt war? Was mit denen, die bereits damals als extrem galten? Und: Mit welchen Begriffen lassen sich die Mitglieder der Fraktion heute am besten beschreiben?