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Musikstreaming

9,99 Euro monatlich für Drake und Daniel Ek

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Spotify-Gründer Daniel Ek wurde im August 2020 in einem Interview mit dem Musikblog Music Ally mit der Situation zahlreicher Künstler:innen konfrontiert: Sie könnten im Streaming-Zeitalter aufgrund einer unfairen Bezahlung immer seltener von ihrer Musik leben. Seine Antwort? Die Musiker:innen müssten sich eben an die neuen Mechanismen der Musikindustrie anpassen. Es würde halt einfach nicht mehr ausreichen, nur noch alle drei bis vier Jahre ein Album zu veröffentlichen. Also zusammengefasst: Ihr wollt mehr Geld, also macht mehr Musik und spielt nach unseren Spielregeln!

Dieser Tipp ist in vielerlei Hinsicht wahlweise witzig bis endlos zynisch und verlogen. Zum einen entspricht Daniel Eks Vermögen umgerechnet ungefähr 1,3 Billionen Spotify-Streams – das sind 34-mal so viele wie die des Rappers Drake, dem meistgestreamten Musiker aller Zeiten. Irgendwas wirkt hier also schon mal faul. Zum anderen ist es aber auch Fakt, dass – wenn alle Künstler:innen seinem Ratschlag nachgingen und mehr Musik veröffentlichten – den Einzelnen noch weniger Geld bliebe, während Spotify und damit Daniel Ek noch reicher werden würden.

Ich zahl 9,99 Euro monatlich an Spotify – was passiert damit?

Wie fast alle Streamingdienste nutzt Spotify ein sogenanntes „Pro-Rata-System“. Was bedeutet das? Spotify hat in 178 Ländern weltweit rund 180 Millionen monatliche Nutzer:innen. Knapp die Hälfte davon sind Premium-Kund:innen. Sie bekommen unter anderem Zugang zu allen Inhalten auf Spotify ohne Werbeunterbrechungen. Sie zahlen dafür in Deutschland einen Beitrag von 9,99 Euro monatlich (14,99 Euro für ein Familienkonto mit mehreren Zugängen). Dieser Betrag schwankt von Land zu Land – zwischen rund 1,30 Euro in Indien und etwa 13,30 Euro in Dänemark. Alle eingezahlten Beiträge gehen zusammen mit den eingefahrenen Werbeeinnahmen in einen Topf. 

Spotify nimmt davon erst mal 30 Prozent für sich. Der Rest geht an die Vertriebe, Labels und Künstler:innen, die abhängig von ihrem Anteil an der Gesamtzahl aller monatlichen Spotify-Streams ausgezahlt werden – also: Angenommen ein Prozent aller Streams in einem bestimmten Monat sind Lieder von Drake (das wär unheimlich viel – sogar für Drake), dann bekommen Drake, sein Label und sein Vertrieb auch genau ein Prozent des restlichen Geldtopfs ausgezahlt. Die Künstler:innen werden also nicht fest pro Stream vergütet, sondern für ihren Anteil an allen Spotify-Streams in einem bestimmten Abrechnungszeitraum. Der Betrag pro Stream schwankt also immer etwas, abhängig davon, ob in dem Monat insgesamt viel oder weniger viel gestreamt wurde, wie hoch die Werbeeinnahmen waren und wie viel im jeweiligen Monat in den Topf eingezahlt wurde –  in Deutschland liegt er durchschnittlich zwischen 0,0028 und 0,0032 Euro. Dieser Streamwert ist also kein festgesetzter Wert, wie häufig angenommen, sondern wird immer nur am Ende eines Monats und für alle Künstler:innen leicht unterschiedlich berechnet.

Ein perfektes Ausbeutungssystem

Künstler:innen stehen in der Regel jedoch nicht direkt mit den Streamingdiensten in Geschäftsbeziehungen. Nachdem Spotify 30 Prozent der Einnahmen für sich abgezogen hat, gehen die restlichen 70 Prozent in den meisten Fällen an die Labels und Vertriebe der gestreamten Künstler:innen. Wie dieser Anteil weiterverteilt wird, ist jeweils vertraglich geregelt. Legt man einen typischen Deal mit einem Majorlabel zugrunde, gehen am Ende nur noch 7,5-12 Prozent der Gesamteinnahmen von Spotify an die Künstler:innen. Diese Zahlen kursieren zumindest immer wieder in den Medien. Die Anteile können in den verschiedenen Fällen durchaus stark variieren – eben je nach den spezifischen Vertragsdetails zwischen den Künstler:innen und den Labels. Die mangelnde Datenlage und das häufig intransparente Geflecht aus Verträgen in der Musikbranche erschwert den Austausch zwischen den Künstler:innen untereinander, was wiederum die Formulierung gemeinsamer Forderungen nach strukturell größeren Anteilen an den Gewinnen der Musikindustrie beeinträchtigt.

Auf die allgemeine Kritik vieler Künstler:innen, Spotify würde ihre Arbeit nicht fair entlohnen, antwortete Spotify im März 2021 mit einer ganzen Imagekampagne. Mit „Loud & Clear” präsentiert sich das Unternehmen als scheinbar verständnisvoll, transparent und solidarisch mit den Musiker:innen. Spotify schiebt die Schuld an der unfairen Vergütung auf die Labels und Vertriebe, weil diese ja zu einem großen Teil für die unfaire Verteilung des Topfs verantwortlich seien – und Spotify liegt damit auch nicht völlig falsch. Weder Spotify noch die großen Labels haben aber ein Interesse daran, etwas am aktuellen System zu ändern. Beide Seiten profitieren vom Boom in der Musikbranche. 

Die Leidtragenden sind die Künstler:innen. Sie stehen in diesem System immer im direkten Wettkampf miteinander – mehr Lieder als die anderen, mehr Tophits als die anderen, größere Anteile an den Gesamtstreams als die anderen. Genau wie Daniel Ek es ihnen eben rät. Dabei macht der Erfolg einzelner Künstler:innen nicht den Topf größer – wie Ek es nahelegt –, sondern verkleinert nur die Anteile der anderen. Es ist also ein Wettrennen, das am Ende immer Spotify gewinnt. Denn Spotify bestimmt die Art des Vergütungssystems, die Preise für die Abonnements und teils direkt, teils indirekt die Höhe der Vergütungen.

Was auch nicht unterschätzt werden darf: Spotify bestimmt, welche Musiker:innen in welche einflussreichen Spotify-Playlists aufgenommen werden und kann dadurch auch über den Erfolg oder Misserfolg einzelner Künstler:innen mitentscheiden. Als Werbung für Spotify dient dabei nur sehr begrenzt die Leistung des Unternehmens, sondern fast ausnahmslos die Arbeit der Künstler:innen, die kaum Alternativen haben, als nach den Spielregeln von Spotify und der großen Labels zu spielen.

Kaum Alternativen?

Spotify ist mit 34 Prozent Marktanteil internationaler Marktführer. Die anderen großen Streamingdienste wie Apple Music, Amazon Music, oder Youtube Music funktionieren alle ziemlich ähnlich – die gleichen strukturellen Probleme und Ungerechtigkeiten, nur die Auszahlungen pro Stream schwanken etwas von Plattform zu Plattform.

Der französische Streamingdienst Deezer versucht seit Längerem das sogenannte „User Centric Payment System” durchzusetzen. Hier landen nicht erst wie im Pro-Rata-System alle Beiträge in einem Gesamttopf und werden dann verteilt. Im System von Deezer hätten alle Nutzer:innen einen eigenen Topf, der dann gemäß des tatsächlichen Hörverhaltens aufgeteilt wird. Zahle ich also den Abobeitrag von 9,99 Euro an Deezer und höre dann einen Monat kein anderes Lied außer dem neuen Track der Garagenband meiner Nachbarin, dann gehen drei Euro an Deezer und die restlichen sieben Euro an die Garagenband meiner Nachbarin beziehungsweise deren Label und Vertrieb. Dafür bräuchte die Band im Spotify-System umgerechnet mehrere Tausend Spotify-Streams. 

Das Problem an diesem System: Bereits Deezers Pilotprojekt in Frankreich ist gescheitert. Die großen Majorlabels müssen als Vertragspartner an Bord sein, stellen sich aktuell jedoch noch quer. Warum? Zum einen haben sie wenig Interesse, sich vom Pro-Rata-System abzuwenden, denn das hat sie aus der Post-CD-Krise gerettet und funktioniert für sie ja nach wie vor auch ganz gut. Zum anderen befürchten sie zurecht, dass der Einfluss von Leuten, die viel Musik hören (meist jüngeren Menschen), zugunsten von Leuten, die weniger Musik hören (meist älteren Menschen) abnimmt, was die ganze Dynamik in der Musikbranche ändern könnte. Einfacher gesagt: Wenn ich den ganzen Monat mit meinem Deezer-Account tagelang Hunderte nischige Underground-Artists und mainstreamferne Newcomer höre und mein Papa mit seinem Account genau einmal im Monat „Bohemian Rapsody” von Queen und sonst nichts, dann bekommt Queen am Ende des Monats sieben Euro von meinem Papa und meinen Bands und Künstler:innen bleiben wieder nur Centbeträge.

Probleme und Bedenken gibt es also viele, durchsetzungsfähige Lösungen wenige. Aber es tut sich was: Künstler:innen werden laut und gründen Gewerkschaften, im britischen Parlament prüft derzeit ein Untersuchungsausschuss die Legalität des Bezahlmodells der Streamingdienste und die ersten plädieren sogar für eine Verstaatlichung der Streaminganbieter.


Richard Connerth war der Recherche und Aufarbeitung der Thematik behilflich. Er setzt sich auf seinem Blog All About Theory” mit der Verteilung und Methodik im Musikstreaming auseinander.

Footnotes

  1. Berechnet mit einem durschnittlichen Spotify-Streamwert von 0,003 Euro pro Stream und einem Vermögen von 3,8 Milliarden Euro. Forbes [Hrg.]: Daniel Ek, auf forbes.com (5.12.2020).
  2. Vgl. Chartmasters [Hrg.]: Most streamed artists ever on Spotify, auf chartmasters.org (abgerufen am 12.5.2021).
  3. Spotify [Hrg.]: Company Info, auf: spotify.com (abgerufen am 12.5.2021).
  4. Wieso nur in Deutschland? Tatsächlich sind Streams nicht gleich viel wert. So sind beispielsweise Streams aus Ländern mit höheren Abopreisen generell eher mehr wert als Streams aus Ländern mit niedrigeren Preisen. Eine Analyse des Musikvertriebs iGroove hat 2020 gezeigt, dass ein Stream aus Island knapp achtmal so viel wert ist wie beispielsweise ein Stream aus Tunesien.
  5. Music Ally [Hrg.]: Deezer still pushing for user-centric payouts: ‘We will continue fighting…’, auf: musically.com (1.10.2020).

Authors

Julius Gabele, geboren 1993, ist seit 2017 Redakteur bei KATAPULT und vor allem für die Berichterstattung internationaler Politik zuständig. Er hat Geographie an der Universität Augsburg und der Universitat de Barcelona studiert. Er ist zudem als freiberuflicher Fotograf tätig.

Zu seinen Schwerpunkten zählen geopolitische Konflikte und Entwicklungspolitik.

Veliko Kardziev, 1993 geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität in Dresden. Seit 2020 ist er Projektleiter bei KATAPULT.

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