Unabhängigkeit oder mehr Autonomie? Über diese Fragen werden die Einwohner von Papua-Neuguineas autonomer Region Bougainville ab kommendem Samstag zwei Wochen lang abstimmen. Die Inselgruppe besteht aus zwei größeren Inseln, Buka und Bougainville, sowie mehreren kleinen Atollen. Insgesamt hat die Region rund 300.000 Einwohner, die etwa 25 Sprachen sowie viele weitere Dialekte sprechen. Das Referendum ist der vorläufige Höhepunkt eines zwei Jahrzehnte währenden Friedensprozesses: Von 1988 bis 1998 war Bougainville Schauplatz eines Bürgerkriegs zwischen Rebellen und der Armee Papua-Neuguineas, dem etwa ein Zehntel der damaligen Bevölkerung zum Opfer fiel. Beobachter wie der australische Journalist Ben Bohane, der den Konflikt und seine Nachwirkungen intensiv verfolgt hat, glauben, dass eine große Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmen wird. Dadurch allein würde Bougainville aber noch kein eigener Staat, denn das Referendum ist nicht bindend: Erst muss das Parlament Papua-Neuguineas das Ergebnis ratifizieren, dann würden die weiteren Details verhandelt. Auch ob Bougainville ökonomisch auf eigenen Beinen stehen kann, ist mehr als fraglich. Dabei ist die Insel reich an natürlichen Ressourcen. Doch an ihrer Ausbeutung entzündete sich auch der Krieg. Seit drei Jahrzehnten steht die Pangunamine, einst wichtigster Wirtschaftsfaktor Bougainvilles, deshalb still. Aus Furcht davor, dass ihre Wiedereröffnung neue Konflikte mit sich bringt, hat die Regierung der autonomen Region die Förderung von Kupfer, Silber und Gold in Panguna zeitlich unbegrenzt auf Eis gelegt. Doch wenn tatsächlich eine Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmen sollte, müsste die Frage nach der Wiedereröffnung der Mine wohl neu gestellt werden. Eine ganze Reihe australischer Unternehmen wittert bereits einträgliche Geschäfte, wie der »Sydney Morning Herald« berichtet. Als Deutschland und Großbritannien die Salomon-Inseln aufteilten Neben den Rohstoffen ist die Geschichte der Insel von ihrem kolonialen Erbe geprägt. Das ist auch auf deutsche Politik zurückzuführen: 1884 hisste die kaiserliche Marine die Flagge des Deutschen Reichs im Nordosten Neuguineas und auf mehreren benachbarten Inseln. Dabei standen die Deutschen in Konkurrenz zu den Briten. 1886 einigten sich beide Parteien auf eine Grenze, die quer durch den Pazifik verlief und in den Folgejahren noch mehrfach neu verhandelt werden sollte. Dabei wurden auch die Salomon-Inseln aufgeteilt: Die Deutschen übernahmen die nördlichen Inseln Buka und Bougainville und verwalteten sie fortan als Teil Deutsch-Neuguineas. Diese administrative Aufteilung behielt auch Australien bei, nachdem es während des Ersten Weltkriegs die Kontrolle über die deutschen Kolonien übernommen hatte. Download Graphic Nur: Bougainville war den Salomon-Inseln nicht nur geografisch, sondern auch kulturell viel näher. Menschen aus Neuguinea hingegen wurden in Bougainville wegen ihrer helleren Hautfarbe lange als „Rothäute“ geschmäht. 1975 wurde Papua-Neuguinea zum selbstständigen Staat und Bougainville blieb dessen Provinz. Kurz zuvor hatte es zwar selbst seine Unabhängigkeit erklärt, war jedoch einfach ignoriert worden. Zum Trost erhielt es einige Autonomierechte. Doch die Sezessionsbestrebungen nahmen dadurch kein Ende. Stattdessen schürte die 1972 von einem Tochterunternehmen des britisch-australischen Bergbauriesens Rio Tinto eröffnete Pangunamine neue Konflikte. Nur ein kleiner Teil der Einnahmen landete in Bougainville Zwar wurde Bougainville durch sie in den 1980ern zu einer der wohlhabenderen Regionen Papua-Neuguineas und war für fast 50 Prozent aller Export- und 17 Prozent der Staatseinnahmen des Landes verantwortlich – doch zugleich führte der Bergbau auch zu erheblichen Schäden an der Umwelt, die viele Inselbewohner um ihre Lebensgrundlage bangen ließ. Auch zerrütteten der Einbruch des Industriekapitalismus, die Urbanisierung und der Zuzug Tausender Arbeiter aus Neuguinea und Australien das traditionelle soziale Gefüge. Und nicht zuletzt landete nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der in Panguna erwirtschafteten Summe in Bougainville – der Rest ging nach Papua-Neuguinea, Großbritannien und Australien. So formierte sich unter der Führung eines ehemaligen Mitarbeiters der Mine, Francis Ona, die Rebellenmiliz Bougainville Revolutionary Army (BRA). Ende 1988 kam es zu ersten Sabotageakten in Panguna, einige Monate später musste die Mine schließen. Es folgte ein zehn Jahre währender Krieg zwischen Onas Kämpfern und der Staatsgewalt Papua-Neuguineas. Dabei trieb insbesondere die Brutalität der Armee Papua-Neuguineas immer neue Kämpfer in die Reihen der Rebellen. Zugleich gründeten sich konkurrierende Milizen, die mit dem Zentralstaat kollaborierten und gegen die BRA kämpften. Bis zu 20.000 Menschen starben, meist durch Krankheiten und den Zusammenbruch der medizinischen Versorgung infolge einer von Papua-Neuguinea verhängten Seeblockade. Ein unabhängiges Bougainville könnte sich rasch inmitten geopolitischer Auseinandersetzungen wiederfinden. Die Vereinigten Staaten und Australien fürchten, dass die Insel in die chinesische Einflusssphäre im Pazifik fallen könnte. Erst im September haben sich die Salomonen und Kiribati Peking zugewandt und ihre einstige Allianz mit Taiwan aufgegeben. Und auch Indonesien wird besonders interessiert verfolgen, was nun im Nachbarland geschieht, denn in den 1960er Jahren annektierte es den Westen Neuguineas – und sieht sich dort seinerseits mit Sezessionsbestrebungen konfrontiert, die es brutal unterdrückt. AKTUALISIERUNG 11.12.2019 Bougainville stimmt für Unabhängigkeit. 98 Prozent der Wähler votierten für die Trennung von Papua-Neuguinea. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren