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Medienwirkung

Wie Facebook Rassisten produziert

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Macht Facebook uns zu Rassisten? Möglicherweise. Das ist zugegebenermaßen eine gewagte Behauptung, allerdings gibt es wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür. Zumindest scheinen wir rassistischen Inhalten und Meinungen auf Facebook eher zuzustimmen. Das behaupten die amerikanischen Psychologinnen Shannon Rauch und Kimberley Schanz. Trotz dieser kühnen These hat die deutsche Presse die Studie, die 2013 veröffentlicht wurde, bisher nicht thematisiert.

Die Publikation mit dem Titel »Fortschreitender Rassismus durch Facebook: Häufigkeit und Zweck der Facebook-Nutzung und die Akzeptanz von vorurteilsbehafteten und egalitären Nachrichten« erschien in der Zeitschrift »Computers in Human Behavior«. Die Autorinnen wollten herausfinden, ob die Häufigkeit und die Motivation, mit der Menschen Facebook nutzen, Aussagen darüber zulassen, wie sich jemand gegenüber rassistischen Posts und Nachrichten verhält.

Dazu befragten Rauch und Schanz insgesamt 623 »weiße« Internetnutzer. 69 Prozent der Teilnehmer waren weiblich, im Alter zwischen 18 und 66 Jahren (im Durchschnitt 23,73) und vor allem Studenten (71,1 Prozent). Fast alle, genauer gesagt 590 der Teilnehmer (94,7 Prozent), besaßen einen Facebook-Account. Die restlichen Probanden hingegen nutzten gar keine sozialen Medien, weil ihnen die Zeit dafür zu wertvoll schien, sie Online-Freundschaften ablehnten oder Probleme in Hinblick auf den Datenschutz sahen.

Um ihr Verhalten bei der Facebook-Nutzung festzustellen, sollten die Befragten zunächst einschätzen, wie oft sie die Internetseite besuchen. Ein Drittel (31,6 Prozent) gab an, sich mindestens siebenmal am Tag auf Facebook einzuloggen, ein weiteres Drittel (29,7 Prozent) tat dies zumindest noch drei- bis sechsmal täglich. Darüber hinaus gaben die Probanden an, warum sie die Seite besuchten. Der häufigste Grund war, sich mit anderen Menschen zu verbinden und Kontakt zu halten, gefolgt von der Motivation, sich abzulenken, unterhalten zu lassen und Langeweile entgegenzuwirken. Am unwichtigsten war es den Probanden, sich mit Informationen und Nachrichten zu versorgen.

Würden Sie einen rassistischen Beitrag liken?

Den experimentellen Teil der Studie bildeten drei erfundene Facebook-Beiträge eines »Jack Brown«. Er ist 26 Jahre alt, weiß und auf seinem Profilbild nur von hinten zu sehen, sodass Sympathien oder Abneigungen aufgrund des Aussehens ausgeschaltet waren.

Alle Beiträge hatten einen Bezug zum Thema Ethnie (»race«), wobei zwei jeweils rassistisch argumentierten, der dritte hingegen das faktische Fortbestehen von Rassismus lediglich bezeugte und darstellte. Keine der Nachrichten sollte den Leser von einer Meinung überzeugen.

Den ersten Beitrag, der am eindeutigsten rassistisch motiviert war, nannten die Autorinnen Überlegenheits-Nachricht (»Superiority Message«). Zusammengefasst drückte Jack darin aus, dass die Weißen der schwarzen »Rasse« überlegen seien und man als Weißer stolz darauf sein sollte. Im zweiten, als Opfer-Nachricht (»Victim Message«) bezeichneten Beitrag behauptet Jack, die Weißen seien heutzutage die am meisten diskriminierte ethnische Gruppe.

Der dritte, wenn man so will »neutrale«, Beitrag diente als Referenzwert. In dieser Gleichberechtigungs-Nachricht (»Egalitarian Message«) erklärt Jack, dass die Diskriminierung Schwarzer heute immer noch Realität sei.

Den Probanden wurde jeweils eine der drei Nachrichtentypen gezeigt, woraufhin sie zunächst ihre persönliche Einstellung gegenüber dem Beitrag wiedergeben sollten: Wie sehr stimmen sie der Aussage zu? Wie treffend fanden sie die Aussage? Wie sachkundig fanden sie den Autor? Wie sehr mochten sie den Autor? Wie ähnlich sind sie ihm?

Ein zweiter Fragenkomplex bezog sich auf die praktische Reaktion der Leser auf den Beitrag: Mit welcher Wahrscheinlichkeit würden Sie den Beitrag liken, teilen, eine Freundschaftsanfrage des Autoren annehmen – oder dagegen argumentieren?

Wer oft auf Facebook ist, wird leichtgläubig

Die Erkenntnisse der Studie? Vor allem die Nutzer, die sich besonders häufig auf Facebook aufhalten, hatten eine positivere Einstellung gegenüber den rassistischen Beiträgen. Obwohl der neutraleren Gleichberechtigungs-Nachricht sowohl die Viel- als auch die Wenignutzer am ehesten zustimmten, ist die Diskrepanz der Einstellungen gegenüber der eindeutig rassistischen Überlegenheits-Nachricht besonders hoch. Während Wenignutzer sich sehr von dem Beitrag distanzierten, stimmten Vielnutzer diesem sehr viel stärker zu.

Diese unkritische Einstellung gegenüber den rassistischen Beiträgen spiegelt sich ebenso in der Interaktion wider. Vielnutzer würden diese eher liken und teilen als Wenignutzer.

Abgrenzen muss man diese Betrachtung jedoch in Bezug auf die Motivation für die Facebook-Nutzung. Die Probanden, die Facebook vornehmlich für die Versorgung mit Informationen und Nachrichten aufrufen – darunter können auch die Vielnutzer sein –, stehen den rassistischen Beiträgen auch eher kritisch gegenüber, würden weniger liken oder teilen. Diejenigen, die die Plattform hingegen weniger für diese Zwecke nutzen, empfinden die rassistischen Beiträge als unproblematischer.

Was bedeutet das nun? Zunächst muss einschränkend festgehalten werden, dass es sich hier lediglich um Korrelationen, also Zusammenhänge, handelt. Es kann nicht allein aufgrund dieses Befundes behauptet werden, dass Menschen zu Rassisten werden, nur weil sie zu oft zu Unterhaltungszwecken auf Facebook surfen. Es könnte nämlich auch andersherum sein, nämlich, dass besonders Rassisten oft die Plattform besuchen.

Dennoch steht dieser Zusammenhang im Raum. Die Wissenschaftlerinnen diskutieren verschiedene Gründe. Ein Grund könne beispielsweise die geringere kognitive Leistungsfähigkeit sein, die mit einer intensiven Facebooknutzung einhergeht, wie einige Wissenschaftler argumentieren. Allgemein leide das Erinnerungsvermögen und die Fähigkeit, über etwas konzentriert nachzudenken, durch eine starke Internetnutzung. Das würde eine unkritische Übernahme von Meinungen erklären.

Ein weiterer Grund, der sich auf den Zweck der Nutzung bezieht, könnte der Wunsch nach Verbindung mit anderen Menschen sein. Wie diese und andere Studien zeigen, ist die primäre Motivation der Facebook-Nutzer, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und sich mit ihnen zu »verbinden«, nicht Kritik zu üben. Zugehörigkeit wird durch Konsens geschaffen. Diese Atmosphäre wird zusätzlich von Facebook unterstützt. Natürlich kann man auf Facebook streiten, aber strukturell unterstützt werden nur positive Reaktionen wie liken, teilen oder empfehlen. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Erkenntnisse einer Arbeit von Sharad Goel, Winter Mason und Duncan J. Watts. Sie fanden heraus, dass Facebook-Nutzer häufig den Grad an Übereinstimmung überschätzen, den sie zu politischen Themen mit Freunden besitzen. Daher sind sie unkritischer gegenüber Beiträgen ihrer Freunde.

Im Kern dieser Studie stehen daher eher die Hinweise darauf, dass eine intensive Facebook-Nutzung Menschen unkritischer gegenüber Meinungen und Nachrichten aller Art machen könnte – darunter eben auch Rassismus.

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Footnotes

  1. Rauch, Shannon; Schanz, Kimberley: Advancing racism with Facebook: Frequency and purpose of Facebook use and the acceptance of prejudiced and egalitarian messages, in: Computers in Human Behavior, (29)2013, H. 3, S. 610-615.
  2. Die Selbsteinschätzung wurde anhand einer 8-Punkte-Skala vorgenommen: weniger als einmal pro Woche, 1-2 mal pro Woche, mehrmals pro Woche, 1-2 mal pro Tag, 3-6 mal pro Tag, 7-12 mal pro Tag, 13-19 mal pro Tag oder 20 oder mehr Male pro Tag.
  3. Die Selbsteinschätzung wurde anhand einer 8-Punkte-Skala vorgenommen, jeweils von »fast nie« bis »zu häufig«. Durchschnittliche Werte: »Mit anderen verbinden« (3,37), »Unterhaltung« (3,36), »Informationen suchen und weitergeben« (2,25).
  4. Vgl. Carr, N.: The shallows: What the internet is doing to our brains, New York 2011; Sparrow, B., Liu, J., & Wegner, D. M. (2011). Google effects on memory: Cognitive consequences of having information at our fingertips. Science, 333, 776-778.
  5. Vgl. auch Garber, Megan: When Your Facebook Friend Is Racist, auf: theatlantic.com (05.04.2013).
  6. Goel, S.; Mason, W.; Watts, D. J.: Real and perceived attitude agreement in social networks. in: Journal of Personality and Social Psychology, (99)2010, H. 4, 611-621.

Authors

Tim Ehlers, geboren 1983, ist seit 2015 Redakteur bei KATAPULT und vor allem als Layouter, Grafiker und Lektor tätig. Er hat Germanistik, Kunstgeschichte und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Greifswald studiert.

Sein wissenschaftliches Hauptinteresse liegt im Bereich der Sprachwissenschaft, speziell der Psycho- und Politolinguistik.

 

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