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Studie

Viele lernen die Demokratie erst dann zu schätzen, wenn sie zu verschwinden droht

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Studie: „In the Mood for Democracy? Democratic Support as Thermostatic Opinion“ von Christopher Claassen (August 2019)

Der Mensch will oft das, was er gerade nicht haben kann. Erhält er mehr Freiheitsrechte, will er weniger davon. Nehmen autoritäre Kräfte ihm seine Rechte, will er sie plötzlich zurück. Das zumindest legt eine Studie des Politikwissenschaftlers Christopher Claassen von der Universität Glasgow nahe.

Dafür wertete er Daten zur Qualität der Demokratie in 135 Staaten aus und verglich sie mit Daten zur öffentlichen Meinung. Die Werte reichen über einen Zeitraum von 30 Jahren, von 1988 bis 2017, und zeigen einen bedenklichen Trend auf: Mehr Demokratie kann zu einer verstärkt antidemokratischen Stimmung in der Bevölkerung führen. Nicht jede Reform sorgt für eine ablehnendere Haltung. Das Mehrheitsprinzip findet in autokratischen wie demokratischen Staaten großen Anklang. Es ist eine spezielle Art demokratischer Reformen, die sich negativ auf die öffentliche Meinung zur die Demokratie auswirkt: liberale, antimajoritäre Politik, die zum Beispiel die Rechte von Einzelnen und Minderheiten vor dem Willen der Mehrheit schützen und die Exekutive kontrollieren will. Solche Maßnahmen schwächen Claassen zufolge den Rückhalt der Demokratie in der Bevölkerung. Werden diese Rechte jedoch abgeschafft und autoritäre Tendenzen nehmen zu, steigt die Unterstützung für demokratische Freiheitsrechte wieder.

In Venezuela etwa, wo unter Hugo Chávez systematisch demokratische Institutionen und Rechte erodierten, stieg parallel dazu die Unterstützung für ebendiese demokratischen Rechte und Institutionen massiv an. Ein ähnlicher Effekt lässt sich in geringerem Umfang in den USA feststellen; auch der Amtsantritt von Aljaksandr Lukaschenka, »Europas letztem Diktator«, im Jahr 1994 in Weißrussland schlägt sich deutlich erkennbar in der Unterstützung für die Demokratie nieder. Besonders ausgeprägt ist der Trend in Staaten, die erst vor Kurzem eine nennenswerte Wandlung durchgemacht haben, aber auch in autoritären Staaten.

In den alten und etablierten Demokratien hingegen ist die Unterstützung in der Regel mehr oder weniger konstant mit kleineren Ausschlägen. Die Demokratie schaffe sich also nicht ihre eigene Nachfrage, so Claassen. Nur weil sie alt ist und immer mehr Generationen in ihr sozialisiert wurden, heißt das nicht, dass die Unterstützung für sie deshalb wächst oder auf demselben Niveau bleibt. Das bedeutet: Demokratie sollte nicht als selbstverständlich angesehen werden.

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