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Etwa 4.300 Menschen starben in diesem Jahr im westlichen Sahel bei Anschlägen, Kämpfen und Angriffen auf die Zivilbevölkerung. So wurden in Mali, Burkina Faso und Niger in nur sechs Monaten fast so viele Zivilisten, Soldaten und Milizionäre getötet wie im gesamten vergangenen Jahr. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Zahl der Toten im März und ging seither zurück. Die Vereinten Nationen zählen zudem etwa 1,4 Millionen Binnenvertriebene in den drei Ländern, mehr als 900.000 davon in Burkina Faso.
Die Region hat sich zu einem Epizentrum des dschihadistischen Terrorismus entwickelt. Die aktivsten Milizen sind die al-Qaida-nahe „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ und der „Islamische Staat in der größeren Sahara“. Beide Fraktionen gehen extrem brutal vor.
Anschlag in Côte d’Ivoire
Die aktuelle Krise begann 2012 mit dem Vormarsch von Tuareg-Separatisten und islamistischen Kämpfern im Norden Malis. 2013 intervenierte die französische Armee. Seither kommt die Region nicht zur Ruhe und die Krise weitete sich aus. Auch in Burkina Faso eskalierte in den letzten Jahren die Gewalt und bedroht nun auch die angrenzenden Staaten. Anfang Juni überfielen Dschihadisten einen Kontrollposten im Norden der Côte d’Ivoire und töteten 14 Uniformierte.
Die Islamisten instrumentalisieren bestehende gesellschaftliche Konflikte und verstärken sie. So rekrutieren sie relativ erfolgreich unter den marginalisierten Fulani. Als halb-nomadische Hirten geraten sie immer wieder in Konflikte mit sesshaften Bauern. Es geht um die Verteilung knapper Ressourcen wie Land. Andere Bevölkerungsgruppen stigmatisieren die Fulani nun und werfen ihnen vor, für den Terror verantwortlich zu sein. Um Rache zu nehmen oder ihre Gemeinschaft zu verteidigen, schließen sich junge Männer dann ethnischen Milizen an, die regelmäßig Gräueltaten begehen. Im März 2019 massakrierten solche Gruppen mehr als 150 Fulani im malischen Ogossagou, darunter Frauen, Kinder und Alte.
Die Gewalt des schwachen Staates
Je mehr Chaos und Unzufriedenheit herrscht, desto einfacher können die Dschihadisten ihre Macht ausweiten und neue Mitglieder rekrutieren. Dass auch die staatlichen Sicherheitskräfte schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen und Zivilisten töten, spielt ihnen dabei in die Hände. Einige Schätzungen gehen davon aus, dass dieses Jahr mehr Zivilisten von Soldaten getötet wurden als von Dschihadisten. Human Rights Watch verdächtigt die Armee Burkina Fasos, für Dutzende außergerichtliche Hinrichtungen verantwortlich zu sein. Die Vereinten Nationen werfen malischen Soldaten mehr als 100 Hinrichtungen vor sowie Dutzende Fälle von Folter und erzwungenem Verschwindenlassen – und das allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres.
100 französische und estnische Soldaten sollen nun gemeinsam mit malischen Einheiten eine neue Taskforce bilden. Ende des Jahres werden sie durch 60 Tschechen verstärkt, im Januar sollen 150 Schweden folgen. Insgesamt hat Paris rund 5.000 Soldaten in der Region stationiert. Die Bundeswehr bildet im Rahmen einer EU-Mission einheimische Kämpfer aus und stellt der 15.000 Mann starken UN-Stabilisierungsmission Blauhelme zur Verfügung.
Proteste gegen Malis Regierung
Mittlerweile sieht man in Paris Fortschritte im Kampf gegen den Terror im Sahel. Anfang Juni gelang dem französischen Militär die Tötung von Abdelmalek Droukdel, dem Anführer von „al-Qaida im Islamischen Maghreb“. Doch die Probleme in der Region greifen tief, das zeigen die jüngsten Proteste in Mali. Seit Wochen demonstrieren Tausende für den Rücktritt von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta. Dieser tue nicht genug gegen Korruption und den Konflikt. Weiter angefacht wird der Zorn der Menschen durch die ökonomische Misere, die durch die Corona-Pandemie weiter verschärft wurde. Zudem sind die Ergebnisse der jüngsten malischen Parlamentswahlen umstritten. Mehrere Protestierende wurden getötet. Das Gesicht der Protestbewegung ist Mahmoud Dicko, ein konservativer Imam.
Ob Soldaten allein die Lage im westlichen Sahel lösen können, ist fraglich. Die Staaten der Region sind schwach. Die Extremisten schöpfen aus einem riesigen Reservoir von Frustrierten und Perspektivlosen. Eine Stabilisierungsmission müsste die soziale Not der Menschen, die Korruption und die gesellschaftlichen Konflikte anpacken. Vor allem aber sollten die Menschen dem Staat vertrauen können, statt ihn fürchten zu müssen.
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Authors
Jan-Niklas Kniewel
KATAPULT