Die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA war für viele eine Überraschung – manche meinen, sogar für ihn selbst. Bei der Suche nach möglichen Erklärungen stießen Journalisten bald auf die ominöse Beratungsfirma Cambridge Analytica, die eine besondere Kommunikationsstrategie fuhr: Sie nutzte die Daten aus Facebook-Profilen, um die Persönlichkeitsstrukturen potentieller Wählerinnen und Wähler zu vermessen und diesen dann auf ihre Persönlichkeit maßgeschneiderte Wahlwerbung zuzuspielen. Zwar hegen einige Wahlforscher berechtigte Zweifel, ob solch ein Mikrotargeting für den Wahlausgang entscheidend sein kann. Jedoch bestätigt der zeitweilige Erfolg von Cambridge Analytica zumindest, was die politische Psychologie seit einigen Jahren lehrt: Wie sich ein Mensch in politischen Fragen verhält, hängt mit der jeweiligen Persönlichkeit zusammen. Download Graphic Wie kann man etwas Komplexes wie Persönlichkeitsunterschiede zwischen Menschen in Zahlen messen? Eine Antwort bietet der Ansatz der »Big Five«. Dieser beschreibt fünf grundlegende Persönlichkeitsfaktoren: (1) Offenheit für Erfahrungen, (2) Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus), (3) Extraversion (Geselligkeit/Heiterkeit), (4) Verträglichkeit (Rücksichtnahme/Kooperationsbereitschaft) und (5) Neurotizismus (Launenhaftigkeit/Nervosität/Verletzlichkeit). Mit Umfragen lässt sich ermitteln, inwiefern diese Faktoren auf einzelne Personen zutreffen. Die Ergebnisse geben beispielsweise an, ob die befragte Person eher zurückhaltend oder eher gesellig ist, ob sie leicht nervös wird, zur Faulheit neigt, gründlich arbeitet oder eine reichhaltige Phantasie hat. Interessanterweise ist dieses Modell in unterschiedlichen Ländern anwendbar. Wenn nun die Persönlichkeit eines Menschen beeinflusst, ob er politisch eher rechts oder links steht, und wenn populistische Wahlkampagnen Persönlichkeitsmerkmale berücksichtigen, dann liegt die Vermutung nahe, dass manche der Big Five auch mit populistischen Einstellungen einhergehen. »Populistisch eingestellte« Menschen sollten also eine spezifische Persönlichkeitsstruktur aufweisen. Darüber hinaus könnten manche Konfigurationen dafür anfällig sein, während des Wahlkampfes eine populistischere Haltung zu entwickeln – insbesondere, wenn man ohnehin einer populistischen Partei nahesteht. Download Graphic Riesiger Datensatz: Über 16.000 Menschen in Deutschland und Großbritannien untersucht Die Erfolge populistischer Parteien und Bewegungen in den letzten Jahren haben viel Aufsehen erregt und dafür gesorgt, dass sich immer mehr Forschende dem Phänomen widmen. Im Unterschied zur etwas losen Verwendung in der öffentlichen Debatte definiert die Wissenschaft Populismus üblicherweise als »schmale« Ideologie, die zwei Annahmen trifft: Erstens stehe dem »wahren« Volk die korrupte Elite antagonistisch gegenüber. Zweitens gebe es einen einheitlichen Volkswillen, dem die Politik zu folgen habe. Populistisch orientiert ist demnach, wer Aussagen zustimmt wie: »Politiker reden zu viel und handeln zu wenig«; »normale Bürger ziehen an einem Strang«; »das Volk und nicht die Politiker sollen die wichtigsten politischen Entscheidungen treffen«; oder »Abgeordnete müssen dem Willen des Volkes folgen«. Die meisten empirischen Analysen beschäftigen sich allerdings mit dem populistischen Angebot, also den Parteien, Bewegungen und Kandidaten. Überraschend dürftig ist dagegen das Wissen über den Teil der Wählerschaft, der populistische Positionen nachfragt. So wäre theoretisch zu vermuten, dass Menschen, die offen für neue Erfahrungen sind, weniger populistische Einstellungen äußern als solche, die vorsichtig und zurückhaltend gegenüber Neuem sind, was oft mit Vorurteilen einhergeht. Offenheit liegt schließlich einem pluralistischen Diskurs zugrunde, der dem Weltbild eines einheitlichen Volkswillens widerspricht. Allerdings könnten offene Menschen gleichzeitig anfälliger dafür sein, sich während eines Wahlkampfes neue, populistische Positionen anzueignen. Wer besonders gewissenhaft ist, ändert dagegen wohl eher nicht so schnell seine Meinung. Da Gewissenhafte großen Wert auf Gründlichkeit, Fleiß und Verlässlichkeit legen, urteilen sie aber wahrscheinlich von vornherein strenger über vermeintlich korrupte Politiker. Außerdem könnten sie ablehnend reagieren, wenn sie die Einheit des Volkes bedroht sehen. Bei Extrovertierten sind populistische Einstellungen genauso denkbar wie bei Introvertierten. Erstere sind aber vielleicht eher bereit, populistische Positionen einer Partei zu übernehmen, der sie nahestehen, da sie ihr gegenüber ein größeres Pflichtgefühl verspüren. Von allen fünf Faktoren ist Verträglichkeit die Charaktereigenschaft, die am deutlichsten (und zwar negativ) mit der Wahlentscheidung für eine populistische Partei zusammenhängt, wie frühere Studien gezeigt haben. Entsprechend stimmen unverträgliche Menschen wahrscheinlich auch vermehrt populistischen Aussagen zu. Diejenigen verträglichen Wähler, die sich dennoch mit populistischen Parteien identifizieren, sind dafür aufgrund ihrer kooperativen und solidarischen Art anfälliger, ihre Einstellung zu ändern. Zuletzt müssten Neurotiker, die sich schnell aufregen, nervös und angespannt sind, leichter auf populistische Argumente anspringen als emotional stabile Menschen. Umfragedaten zu den jüngsten Parlamentswahlen in Deutschland und Großbritannien ermöglichen es, diese hypothetischen Vermutungen empirisch zu testen. Die Datensätze enthalten nämlich Messungen sowohl der Persönlichkeitsfaktoren als auch populistischer Einstellungen. Letztere wurden sogar zu Beginn und nochmals zum Ende des Wahlkampfes abgefragt, sodass auch analysiert werden kann, ob sie zu- oder abnahmen. Statistische Modelle schätzen für jeden der fünf Persönlichkeitsfaktoren den Zusammenhang mit populistischen Einstellungen sowie mit deren Veränderung während der Kampagne. Dabei werden Unterschiede aufgrund von Alter, Geschlecht und Bildungsgrad konstant gehalten, um Scheinkorrelationen auszuschließen, die sich beispielsweise ergeben könnten, wenn Männer im Vergleich zu Frauen durchschnittlich neurotischer sind und zugleich populistischere Einstellungen aufweisen. Mit 10.515 Befragten in Deutschland und 5.850 in Großbritannien stehen die Beobachtungen so zahlreich zur Verfügung, dass die Modelle auch kleine Unterschiede aufspüren können. Die Ergebnisse lassen sich zwischen den Ländern vergleichen, um zu erfahren, ob populistische Personen in Deutschland die gleiche Persönlichkeitsstruktur aufweisen wie in Großbritannien. Was unterscheidet deutsche von britischen Populisten? Welchen Befund liefert die Analyse? Bestätigen die Modelle die aufgestellten Hypothesen? Betrachtet man die Abbildung auf der gegenüberliegenden Seite, lautet die Antwort: nur in wenigen Fällen. Die Abbildung liest sich wie folgt. Die schwarzen Punkte veranschaulichen die Zusammenhänge für Befragte in Deutschland, die blauen Dreiecke für Befragte in Großbritannien. Liegen sie rechts der roten Linie, gibt es einen positiven Zusammenhang des Faktors mit populistischer Einstellung, links davon einen negativen. Wie jede Schätzung ist die Verallgemeinerung der Befragten auf die Gesamtbevölkerung jedoch mit Unsicherheiten behaftet. Deshalb lässt sich nur dann ausschließen, dass sich der Zusammenhang nicht nur zufällig in der Stichprobe ergibt, wenn der dazugehörige Balken die rote Linie nicht schneidet. Das ist offensichtlich nicht bei allen Persönlichkeitsfaktoren der Fall. Bei Offenheit gegenüber Erfahrungen beispielsweise kann man nicht auf einen Zusammenhang mit populistischen Meinungen schließen. Und entgegen den Vermutungen liegen alle, deren Schätzung signifikant unterschiedlich von null ist, rechts der Linie. Damit ist das einzige haltbare Ergebnis, was den Erwartungen entspricht, dass Neurotiker im Durchschnitt populistischere Einstellungen äußern. Extrovertierte und gewissenhafte Menschen scheinen nur in Deutschland populistischer zu sein. Bei der Verträglichkeit weist die Analyse sogar einen positiven Zusammenhang auf, obgleich die theoretischen Annahmen einen negativen nahelegen. Allerdings ist auch bei den signifikanten Koeffizienten zu beachten, dass sie sich zwar eindeutig von null unterscheiden, aber dennoch nur eine sehr kleine Differenz beschreiben. So erzielen die deutschen Befragten, die (um eine Standardabweichung) gewissenhafter sind, nur 0,1 Punkte oder 2 Prozent mehr auf der Populismus-Skala. Wie steht es um die Hypothesen, die eine Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und der Veränderung populistischer Meinungen vermuten? Übernehmen Menschen, die populistischen Parteien nahestehen, während des Wahlkampfes populistische Positionen? Den Analysen der deutschen und britischen Wählerschaft zufolge ist dem nicht so. Weder verändern sich populistische Einstellungen abhängig von der Persönlichkeit, noch neigen bestimmte Persönlichkeiten eher zu Meinungsänderungen, wenn sie einer Partei nahestehen, deren Rhetorik Experten als antielitär und gegen das Establishment gerichtet einstufen.
Insgesamt bietet sich damit ein gemischtes Bild. Populistische Einstellungen sind nicht vollends auf die Persönlichkeit eines Menschen zurückzuführen. Zwei Befunde aber lassen sich festhalten: Erstens sind Neurotiker in den Umfragen geringfügig populistischer als emotionale stabile Menschen. Das deckt sich mit der theoretischen Vermutung – und vielleicht mit mancher anekdotischer Beobachtung. Zweitens unterscheiden sich die Ergebnisse der beiden Länder zum Teil deutlich. So äußern in Deutschland auch gewissenhafte und extrovertierte Menschen populistische Meinungen. Das könnte darauf hinweisen, dass Populismus in einem Land nicht unbedingt das Gleiche bedeutet wie im anderen. Vor diesem Hintergrund sind vorschnelle Erklärungen für den länderübergreifenden Erfolg von Populismus mit Vorsicht zu genießen. Zunächst sollte überprüfen werden, ob die Populisten in der Bevölkerung tatsächlich so vergleichbar sind, wie es die Ähnlichkeit der Populisten unter den Politikern nahelegt. In der Tat könnte zukünftige Forschung auch untersuchen, wie sich die Persönlichkeit von populistischen Politikern darstellt, da Persönlichkeitsmessungen immer ausgefeilter und Datensätze umfangreicher werden. Was die Wahlkampfstrategie betrifft, Botschaften auf Persönlichkeitsprofile zuzuschneiden, bestätigen sich die Zweifel einiger Wahlforscher. Die Sprengkraft hält sich eher in Grenzen. Natürlich verspricht eine Orientierung an der jeweiligen Zielgruppe bis zu einem gewissen Grad größeren Erfolg und einen effizienteren Ressourceneinsatz, als wenn jeder Wähler ungeachtet seiner Persönlichkeit und politischen Präferenzen die gleichen Nachrichten erhält. Aber Wähler lassen sich kaum in einem Maße manipulieren, dass allein durch psychografisches Mikrotargeting Wahlen gewonnen werden können. Aktuelle Ausgabe Dieser Text erschien in der 13. Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren